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Re:publica 2014
"Es geht um die Macht!"

Die Aufregung ist groß unter vielen Experten der Netzgemeinde auf der "re:publica 14" in Berlin. Schon am ersten Tag des vielleicht weltgrößten Treffens von Bloggern und Programmierern wüten Netzaktivisten über die Nicht-Aufklärung des NSA-Skandals. Die Stimmen auf den Podien sind meist pessimistisch.

Von Frank Hessenland | 09.05.2014
    Besucher der Internetkonferenz Re:publica in Berlin
    Besucher der Internetkonferenz re:publica in Berlin (dpa picture alliance / Stephanie Pilick)
    "Es geht um Herrschaft, es geht um Macht und Kontrolle."
    Die Aufregung ist groß unter vielen Experten der Netzgemeinde auf der "re:publica 14" in Berlin. Schon am ersten Tag des mit 350 Veranstaltungen und 6000 Gästen vielleicht weltgrößten Treffens von Bloggern und Programmierern wütet Netzaktivist, Autor und Werbetexter Sasha Lobo:
    "Ich halte es für eine Unverschämtheit, für eine Katastrophe, was im Moment mit der Nicht-Aufklärung des NSA-Skandals, des Überwachungsskandals passiert."
    Die Stimmen auf den Podien sind meist pessimistisch. Sie beschwören eine Zeitenwende. Sie beschreiben eine technische Revolution, in der eine Handvoll Geheimdienste im Verbund mit global operierenden Sicherheitsfirmen die Totalüberwachung von Milliarden Menschen organisieren, ohne dass demokratische Gesellschaften wirksam gegensteuern können. Katja Gloger, Vorstandsmitglied der Organisation Reporter ohne Grenzen.
    "Das Internet hat die Tür zur weltweiten Überwachung geöffnet. Ein Staat, auch ein demokratischer Staat, kann die Privatsphäre seiner Bürger nicht länger schützen, denn das Recht hat mit den technologischen und politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre nicht Schritt halten können.
    Gemeint sind nicht nur die durch Edward Snowden bekannt gewordene unkontrollierte Massenüberwachung durch die NSA, das Absaugen aller Internetverbindungsdaten aus den Überseeglasfaserkabeln durch Amerika und Großbritannien, der Austausch der Daten mit dem BND, und gleichwertige Entwicklungen in China und Russland. Gemeint ist vor allem die rapide Entwicklung der Analyseprogramme zur Massenüberwachung durch etwa 200 private Firmen. Das erfolgt weltweit unter dem Stichwort "Big Data". Schon heute setzt das FBI mittels eines "Verbrechensvorhersage", Crime Forecast Systems, auf Twitteranalysen. Damit kann in amerikanischen Großstädten Polizei dorthin zu entsandt werden, wo ein Computerprogramm die Wahrscheinlichkeit von Verbrechen für den Tag als hoch einstuft. Viktor Mayer-Schönberger, Prof. für Internet der Universität Oxford.
    "Big Data sagt zukünftiges menschliches Verhalten überraschend genau voraus. Wie wir uns in Zukunft verhalten werden, nicht, wie wir uns bereits verhalten haben. Und das erlaubt dem Staat uns zu bestrafen für das, was vorhergesagt wird, noch bevor wir einen Gesetzesbruch überhaupt begangen haben.
    "In dieser Welt wäre Vorhersage gleichbedeutend mit dem Urteil der Schuld. Das wäre Strafe ohne Schuld. Wer aufgrund von Vorhersagen bestraft wird, hat jedenfalls gegenüber dem Staat keinen freien Willen mehr."
    Natürlich sind diese und ähnliche Programme nicht nur für die Vorhersage von Autodiebstählen nützlich. Big Data Analysen können auch zur Überwachung und Steuerung politischer, gewerkschaftlicher, zivilgesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Aktivitäten genutzt werden. Sie werden heute schon verkauft nach Syrien, China, Saudi-Arabien, den Iran, Bahrein und andere Staaten. Und sie steuern immer mehr das Schicksal jedes einzelnen "Konsumenten" in Europa und Amerika. Etwa, wenn ein Programm bestimmt, wer eine Versicherung oder einen Kredit oder eine Einreiseerlaubnis bekommt. Spätestens wenn das Programm einer Krankenversicherung darüber entscheidet, bei wem sich eine medizinische Behandlung noch "lohnt", stellen sich Fragen nach der Güte dieser Analysen und nach der Verantwortung der Entscheidungsträger. Wie viele Vortragende der re:publica 14 sieht auch Yvonne Hofstetter von der Firma Teramark für Datenanalysen die Zivilgesellschaft in der Pflicht. Und zwar im zivilen und militärischen Bereich
    "Meine Damen und Herren, das ist ein Suprastaat, was hier entsteht. Und das hat nichts mehr mit Demokratie zu tun. "Wir müssen neue Regeln haben. Wir müssen das irgendwie organisieren, einschränken. Wir würden in keiner anderen Industrie ein solches Monopol, wie es hier gerade entsteht, akzeptieren. Ändere was! Stelle neue Regeln auf!"
    Nötig wären - so unter anderem der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar -völkerrechtliche Initiativen zum Datenschutz, Regeln zur Vorratsdatenspeicherung bei Banken, Versicherungen, Internetunternehmen, die Lizenzierung von Analyseprogrammen durch öffentliche Institutionen ähnlich der Medikamentenlizensierung und – allem voran – eine öffentliche Diskussion. Auf der re:publica 14 wurde sie laut gefordert. Im politischen Berlin hat sie derzeit keine Priorität.