Als Tragikomödie hat Gerhart Hauptmann "Die Ratten" bezeichnet - sein verstörendes menschliches Endspiel im Endlager theatralischer Requisiten. Ein Dachboden bedeutet die Welt, denn hier treffen Welten aufeinander: Im Münchner Residenztheater ist die Plunderhöhle des ehemaligen Theaterdirektors Hassenreuter, Fundus, Rüstkammer und Depot seines Maskenverleihs, ordentlich aufgeräumt, ja kahl. Aller Krempel findet sich im düsteren Hintergrund, verschlossen in vergitterten Metallcontainern. Der ideale Ort für Heimlichkeiten. Alle klettern durch die Bodenluken auf die von ein paar Spots spärlich beleuchtete Spielfläche. Hierher bestellt der Theaterdirektor die junge Schauspielelevin zum Tête-à-Tête; hier ergreift Frau John, seine Putzfrau, mit beiden Händen ihre Chance, doch noch zu einem Kind zu kommen, und luchst dem von allen ausgestoßenen, völlig verzweifelten und selbstmordgefährdeten Dienstmädchen Pauline ihr Baby ab.
"Fräulein, Ihnen ist geholfen! Und so derselbigen gleich noch mir. Außerdem ist meinem Mann geholfen, [...], weil das doch uns unser einziges, unser Adalbertchen, an der Bräune gestorben ist! Das Kind hat es gut!"
Kurz darauf bereut Pauline diesen Handel, fleht und wimmert, dem Tode nah, nach ihrem Kind. Das alles in rasendem Tempo und jähen Wechseln vor den Augen des dazwischen stehenden und sich als "Regisseur" fühlenden" Hassenreuter. Hingerissen von so vielen existenziellen Dramen, unterbricht er den Schauspielunterricht mit dem störrisch-unbegabten Kandidaten der Theologie und setzt sich samt Familie ganz begeistert ins Publikum. Sein Kommentar, an einen glücklosen Theaterenthusiasten gewandt: "Erfinden Sie so was mal ...!"
So viel vorgestelltes Unglück ist ein Glücksfall für das Theater. Aber der griechische Regisseur Yannis Houvardas zeigt in einer minutiösen Personen- und Affektregie, was es für die Figuren, die betroffenen Menschen bedeutet. Und er macht einsichtig, dass diese Notspirale nur nach unten führen kann. Nein, er inszeniert Hauptmanns mittlerweile selten gespieltes Erfolgsstück nicht aus griechischer Sicht, und er aktualisiert es auch nicht. Er ist aber natürlich durchaus geprägt von den Erfahrungen, welch dramatische Verelendung die hohe Staatsverschuldung für die Menschen bedeutet. Nicht um die Ebene, auf der die Menschen wie Wirtschaftsfaktoren behandelt werden, geht es ihm - sondern er zeigt, wie zwangsläufig die restlose Zerstörung des Lebensglücks in die Kriminalität führt. Und wie ängstlich und zugleich unberührt die ebenfalls verarmende Mittelschicht in Gestalt Hassenreuters darauf reagiert. Dessen Begeisterung für die Theatralisierung des Elends ist untrennbar mit der gefahrlosen Zuschaustellung der Unglücklichen verbunden: einzeln eingesperrt in die fein säuberlich aufgereihten Requisitenkäfige, die an die Raubtierhaltung in alten Zoos erinnern. Schöne Bilder, zum Begaffen freigegeben. Nur wer tot ist, ausgespielt hat wie am Ende Frau John, bleibt einfach auf offener Bühne liegen. Und als uns das Lachen vergeht, verlässt der halb joviale, halb gewissenlose Hassenreuter tiefzufrieden und quietschvergnügt mit rundum geretteter und versöhnter Familie samt Gespielin die Drehbühne, im Wahn, es läge in seiner Macht, zusammenzuhalten, was auseinanderdriftet.
Lebende Bilder, starke Affekte, wie sie auf Genrebildern festgehalten und jedem vertraut, für jeden dechiffrierbar sind, bisweilen komisch überspielt und ironisiert – darin zeigt sich Houvardas als meisterhafter Regisseur. Und dennoch hat die Inszenierung leider einen gravierenden Mangel. Wenn bei Hauptmann die armen Leut berlinern, ist das eine Kunstsprache, die so nie gesprochen wurde. Houvardas hat also, das ist legitim, ebenfalls eine aus Migrantendeutsch zusammengemixte Kunstsprache konzipiert, in der alle Figuren außer denen "da oben" - aneinander vorbeireden. Und die uns offenbar zeigen soll, dass wir keinen Zugang zu Menschen in Not haben, sie nicht "verstehen".
"Was ist das? Bin ich denn hier von Gespenstern umgeben? Was ist das? Die Sonne scheint, es ist helllichter Tag, ich weiß nicht, sehen kann ich es nicht. Das kichert, das wispert, das kommt geschlichen, und wenn ich danach greife, ist es nicht …"
Eine Entscheidung, die eine Art Zwei-Klassen-Sprache zur bitteren Konsequenz hat, pathetisch tönend oder sentimental-klischeehaft bei denen "da oben", artifiziell vernuschelt und leider streckenweise unverständlich hingerotzt oder hingetuschelt bei denen "da unten" - so als käme es nicht darauf an, was sie sagen. Das ist eine Art von Realismus am falschen Platz und kann nicht im Sinne einer Inszenierung von so hoher kritischer, gesellschaftspolitischer Absicht sein.
"Fräulein, Ihnen ist geholfen! Und so derselbigen gleich noch mir. Außerdem ist meinem Mann geholfen, [...], weil das doch uns unser einziges, unser Adalbertchen, an der Bräune gestorben ist! Das Kind hat es gut!"
Kurz darauf bereut Pauline diesen Handel, fleht und wimmert, dem Tode nah, nach ihrem Kind. Das alles in rasendem Tempo und jähen Wechseln vor den Augen des dazwischen stehenden und sich als "Regisseur" fühlenden" Hassenreuter. Hingerissen von so vielen existenziellen Dramen, unterbricht er den Schauspielunterricht mit dem störrisch-unbegabten Kandidaten der Theologie und setzt sich samt Familie ganz begeistert ins Publikum. Sein Kommentar, an einen glücklosen Theaterenthusiasten gewandt: "Erfinden Sie so was mal ...!"
So viel vorgestelltes Unglück ist ein Glücksfall für das Theater. Aber der griechische Regisseur Yannis Houvardas zeigt in einer minutiösen Personen- und Affektregie, was es für die Figuren, die betroffenen Menschen bedeutet. Und er macht einsichtig, dass diese Notspirale nur nach unten führen kann. Nein, er inszeniert Hauptmanns mittlerweile selten gespieltes Erfolgsstück nicht aus griechischer Sicht, und er aktualisiert es auch nicht. Er ist aber natürlich durchaus geprägt von den Erfahrungen, welch dramatische Verelendung die hohe Staatsverschuldung für die Menschen bedeutet. Nicht um die Ebene, auf der die Menschen wie Wirtschaftsfaktoren behandelt werden, geht es ihm - sondern er zeigt, wie zwangsläufig die restlose Zerstörung des Lebensglücks in die Kriminalität führt. Und wie ängstlich und zugleich unberührt die ebenfalls verarmende Mittelschicht in Gestalt Hassenreuters darauf reagiert. Dessen Begeisterung für die Theatralisierung des Elends ist untrennbar mit der gefahrlosen Zuschaustellung der Unglücklichen verbunden: einzeln eingesperrt in die fein säuberlich aufgereihten Requisitenkäfige, die an die Raubtierhaltung in alten Zoos erinnern. Schöne Bilder, zum Begaffen freigegeben. Nur wer tot ist, ausgespielt hat wie am Ende Frau John, bleibt einfach auf offener Bühne liegen. Und als uns das Lachen vergeht, verlässt der halb joviale, halb gewissenlose Hassenreuter tiefzufrieden und quietschvergnügt mit rundum geretteter und versöhnter Familie samt Gespielin die Drehbühne, im Wahn, es läge in seiner Macht, zusammenzuhalten, was auseinanderdriftet.
Lebende Bilder, starke Affekte, wie sie auf Genrebildern festgehalten und jedem vertraut, für jeden dechiffrierbar sind, bisweilen komisch überspielt und ironisiert – darin zeigt sich Houvardas als meisterhafter Regisseur. Und dennoch hat die Inszenierung leider einen gravierenden Mangel. Wenn bei Hauptmann die armen Leut berlinern, ist das eine Kunstsprache, die so nie gesprochen wurde. Houvardas hat also, das ist legitim, ebenfalls eine aus Migrantendeutsch zusammengemixte Kunstsprache konzipiert, in der alle Figuren außer denen "da oben" - aneinander vorbeireden. Und die uns offenbar zeigen soll, dass wir keinen Zugang zu Menschen in Not haben, sie nicht "verstehen".
"Was ist das? Bin ich denn hier von Gespenstern umgeben? Was ist das? Die Sonne scheint, es ist helllichter Tag, ich weiß nicht, sehen kann ich es nicht. Das kichert, das wispert, das kommt geschlichen, und wenn ich danach greife, ist es nicht …"
Eine Entscheidung, die eine Art Zwei-Klassen-Sprache zur bitteren Konsequenz hat, pathetisch tönend oder sentimental-klischeehaft bei denen "da oben", artifiziell vernuschelt und leider streckenweise unverständlich hingerotzt oder hingetuschelt bei denen "da unten" - so als käme es nicht darauf an, was sie sagen. Das ist eine Art von Realismus am falschen Platz und kann nicht im Sinne einer Inszenierung von so hoher kritischer, gesellschaftspolitischer Absicht sein.