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Rechte Weltanschauung und der Sport
Konzerte, Fußball, Kämpfen

Die rechtsextremen Demonstrationen - teilweise Ausschreitungen - in Chemnitz im Spätsommer dieses Jahres haben auch im Sport wieder Fragen aufkommen lassen. Laut Szenekennern spielten Hooligans eine maßgebliche Rolle. Gewaltbereitschaft, rechte Weltanschauung und der Sport vermischen sich.

Von Jennifer Stange | 23.12.2018
    Chemnitz: Am 27. August 2018 gestikulieren und drohen Demonstranten aus der rechten Szene Gegendemonstranten Gewalt an. Nach einem Streit war in der Innenstadt von Chemnitz ein Mann erstochen worden.
    Chemnitz: Am 27. August 2018 gestikulieren und drohen Demonstranten aus der rechten Szene Gegendemonstranten Gewalt an. Nach einem Streit war in der Innenstadt von Chemnitz ein Mann erstochen worden. (dpa / picture-alliance)
    Olaf Leib beim Pratzentraining mit einem seiner Schützlinge. Der 17-jährige aus dem sächsischen Juniorkader legt sich rein in jeden Schlag, Boxtrainer Leib steht wie ein Baum. Doch der gewaltsame Tod eines Chemnitzers beim Stadtfest im Sommer, das habe ihn umgehauen, sagt er. Dann sei er noch diffamiert worden, weil er an dem berüchtigten Protesten teilgenommen hatte.
    "Ich hab direkt erfahren davon in den sozialen Medien, dass Fußballfans, also ich kenne viele Fussballfans, und da hat man das erfahren, dass man sich dann dort trifft, um eine Trauersituation gemeinsam zu tun." Man wolle zeigen, wer in der Stadt das sagen hat, hieß es wörtlich. Für Olaf Leib den Boxtrainer und Präsidenten des sächsischen Boxverbands ist und bleibt es ein Trauermarsch.
    Rechtsradikale seien nicht dabei gewesen
    "So hab ich das wahrgenommen. Aber wie gesagt, vielleicht auch zu engstirnig, zu behindert zu blind oder was. Aber so hab’ ich das wahrgenommen." Videoaufnahmen zeigen, wie aus dem Protestzug ein Polizeibeamter angegriffen und zu Boden geworfen wird. In rechten Kampfsport-Foren wird darüber gefachsimpelt, welcher Kampfsport-Move hier wohl angewendet wurde.
    Auf anderen Aufzeichnungen: Fliehende, die rassistisch beschimpft werden. Aufgerufen hatte die rechte Ultra-Gruppe Kaotic aus dem Umfeld des Chemnitzer FC. Laut Behörden sollen auch Hooligans von außerhalb angereist sein, die mit den Chemnitzern durch die Straßen zogen. Olaf Leib hat von all dem nichts bekommen sagt er, auch Rechtsradikale seien nicht dabei gewesen.
    Hooligans holen sich ihr Rüstzeug im Kampfsport
    "Ich hab ein paar Radikale gesehen zum Stadtfest dann, wo der Marsch war und das war der linke Block und das waren Radikale. Die haben sich wirklich sehr, sehr mistig benommen. Aber Rechtsradikalismus als solcher, also wir in unserem Verein, und ich sag mal, es gehören ja auch Fußballfans dazu, ne da steh’ ich auch dazu, sind wir ja auch stolz drauf, kann ich jetzt nicht als radikal, oder vielleicht noch rechtsradikal bezeichnen."
    Hooligans holen sich das Rüstzeug für die, wie sie es nennen, "dritte Halbzeit" häufig im Kampfsport. Es geht um Härte, Disziplin und Männlichkeit. Die Sehnsucht danach ist das Bindeglied zwischen Fußballfans, Kampfsport und Nazi-Szene. Eine Beziehung mit Tradition in Chemnitz.
    In diesem Youtube-Video steigt eine der Schlüsselfigur der Chemnitzer Neonaziszene der neunziger Jahren in den Boxring. Seine Fans feuern ihn an. HooNaRa, das ist Schlachtruf und Name einer gewalttätigen Hooligan-Gruppierung um den Chemnitzer FC. Der Abkürzung steht steht für Hooligans, Nazis und Rassisten. Einem der Mitglieder konnte nachgewiesen, dass er 1999 beteiligt war, als ein 17-jähriger Punker totgeprügelt wurde.
    Hoonara als Vorbild
    Offiziell gibt es die die Vereinigung schon lange nicht mehr, doch andere Gruppierungen in Chemnitz nehmen sich ein Vorbild an Hoonara. Konzerte, Fußball, Kämpfen. Das sind die Standbeine der rechten Erlebniswelt. Die Nazi-Szene veranstaltet immer häufiger eigene Turniere, oder ihre Kämpfer nehmen an so genannten Fight Nights in der Region teil.
    "Für mich ist das Rummelboxen. Damit habe ich nichts zu tun, weil das sportlich total wertlos ist und weil das auch überhaupt nicht meine Ideale sind", so Leib. Sein Ideal ist das olympische Boxen. Damit ist er immer so sehr beschäftigt, dass er sich nicht um Fight Night oder Ähnliches kümmere. Einen Beitrag von Spiegel TV aus dem vergangenen Jahr kennt er aber doch:
    "Man könnte fast annehmen, dass die Nazi-Hipster ihre Säuberungsaktionen aufgegeben hätte. Einer von ihnen ist Florian M."- "Das kenne ich aber." - "Sie kennen den auch?" - "Na klar."
    Mitglied in Nazigruppen
    Florian M. soll Mitglied des "Rechten Plenums" gewesen sein, einer Nazigruppe, die aus dem Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg mit Gewalt eine sogenannte "national befreite Zone" machen wollte. Ein linkes Internetportal outet die Beteiligten des "Rechten Plenums". Einer von ihnen ist Mitglied im Chemnitzer Boxklub. "Florian ist noch dabei, weil er uns gegenüber klipp und klar erklärt hat, dass er von solchen Situationen wirklich Abstand nimmt. Er kam ja selber auf uns zu und hat gesagt, ich bin da in so eine Sache rein geraten", erklärt Leib.
    Das ist offenbar schon früher passiert. Auf Facebook postete der Boxverein vor etwa zwei Jahren ein Foto vom jugendlichen Florian M. Auf seiner blauen Boxhose in weiss: das Konterfei eines Hitlerjungen, das Logo der Hooligan-Gruppe NS-Boys. Die Mitglieder gelten als Drahtzieher diverser gewalttätiger Ausschreitungen bei Auswärtsspielen des CFC und tauchen bei Neonazi-Demos auf.
    Polizeilich erwiesen sind Schnittmengen zur den 2014 verbotenen Kameradschaft "Nationale Sozialisten Chemnitz". Mit Schieß- und Kampfsporttraining soll die sich auf bewaffnete Auseinandersetzungen vorbereitet haben. Olaf Leib sagt, er weiß von dem mittlerweile gelöschten Fotos nichts. Dabei ist ihm durchaus klar: kampfsportliches Know-how bei den falschen Leuten, das kann gefährlich werden.
    "Wir lassen keinen hinten runterfallen"
    "Aber wir wollen keinen hinten runter fallen lassen. Wir sind in erster Linie eine große Sportfamilie und das ist wertvoll und wir lassen keinen hinten runterfallen. Wir sind anders als die Gesellschaft." Wer wissen will, wie Integration geht, solle zu ihm in den Boxklub kommen, das hat er auch Angela Merkel persönlich gesagt, als sie im November eine Bürgerrunde besucht hat:
    "Wir kümmern uns als Sportverein wieder um alle die hier in der Gesellschaft sind. Egal, ob rechts oder links oder aus der Mitte, ob Ausländer, Migranten oder eigene Kinder." Olaf Leib wirkt wie ein freundlicher und herzlicher Mensch. Doch wenn es um diese Gesellschaft geht, verfinstern sich seine Züge und er geht in Deckung. Als würde da irgendwo der Feind stehen. Nicht rechts, nicht in Chemnitz, nicht in seinem Verein.