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Rechtsextremismus und politische Mythenbildung
"Erst muss man die Köpfe erobern"

Auf der Leipziger Buchmesse gingen Ines Geipel und Christian Fuchs den Gründen nach, wie und weswegen der Rechtsextremismus in Ostdeutschland erstarkt. Dieser habe heutzutage, im 30. Jahr nach dem Mauerfall, eine ganz neue Qualität als noch im Vergleich zu den 1990er-Jahren.

Ines Geipel und Christian Fuchs im Gespräch mit Angela Gutzeit | 21.03.2019
Angela Gutzeit im Gespräch mit Ines Geipel und Christian Fuchs auf der Deutschlandfunkbühne der Leipziger Buchmesse 2019
Die Neue Rechte gehe sowohl in die Nische der Gesellschaft als auch in den öffentlichen Raum, um diesen zu besetzen, sagten Ines Geipel und Christian Fuchs auf der Deutschlandradiobühne der Leipziger Buchmesse 2019 (Jelina Berzkalns / Deutschlandradio)
Im 30. Jahr nach dem Mauerfall zeigt sich eine besondere Wut in Ostdeutschland, die zu einem Wiedererstarken des Rechtsextremismus führt - und das in einer ganz neuen Qualität. Christian Fuchs, Journalist im Investigativ-Ressort der ZEIT, spricht sogar von einer neuen Dimension:
"Die neue Dimension ist, dass es eine neuen Strömung der extrem rechten, nämlich der Neuen Rechten, gelungen ist, erstmals, ein breites Bündnis zu vereinen, also von denen ganz rechts-außen, den rechtsextremen Schlägertruppen, den alten rechten Neonazis aus dem Umfeld der Kameradschaften der NPD bis in bürgerliche-konservative Kreise hinein."
Das habe man besonders im vergangenen Jahr in Chemnitz beobachten können, so Fuchs. Im Gegensatz zu anderen Strömungen in den 1980er und 1990er Jahren, die Minderheiten waren und nicht von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert wurden, seien die heutigen Ideologien bis weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. Das zeige sich daran, dass Bundesminister Worte wie "Antiabschiebeindustrie" in ihren Wortlaut übernommen haben - oder, dass Talkshows von "Altparteien" sprechen, was zum Vokabular aus der NS-Zeit gehört, die die Neue Rechte reanimiert. Nach und nach habe die Neue Rechte dadurch einen Rechtsruck geschafft, was die Rechte seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr geschafft habe, so Fuchs.
In die Nischen der Gesellschaft
Das Interessante sei, dass sich die Neue Rechte dabei sehr stark an Strategien der Linken bedient habe. Sie würden ein Konzept benutzen, dass sich "die Eroberung der kulturellen Hegemonie" nennen würde und auf den italienischen Marxisten Antonio Gramsci zurückzuführen sei. Gramsci hätte gesagt: "Erst muss man die Köpfe erobern."
Christian Fuchs erklärt weiter, dass diese Aussage bedeute, dass man in die Nischen der Gesellschaft, in Subkulturen einsickern. Die Neue Rechte habe dies so in die heutige Zeit übertragen: "Die haben eine Gewerkschaft gegründet, eine Patriotische, ein Hipstermagazin, es gibt ein neurechtes Bier, es gibt eine Jugendbewegung, eine Frauenbewegung, Thinktanks, Verlage. Das ist die neue Dimension, die sehr eng verzahnt ist, die Medienlogik verstanden hat. Die wissen, wie man mit Tabubrüchen immer wieder Aufmerksamkeit generiert."
In Chemnitz habe sich gezeigt, dass es auch darum gehe, den öffentlichen Raum zu besetzen, sagte Ines Geipel, Schriftstellerin und Professorin an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch": "Da haben wir eine sehr fokussierte, radikalisierte Szene, die aber vergleichsweise noch gering ist. Und es gibt die Korona, also einen großen Hof und die Bereitschaft."
Geipel plädierte weiter dafür, eine Art von politischem Agreement zu finden, damit die politische Mitte stabilisiert werde, "vor allem auch die Mitte im Osten".
Ines Geipel: "Umkämpfte Zone. Mein Bruder, der Osten und der Hass"
Klett-Cotta, Stuttgart. 377 Seiten. 20 Euro.
Christian Fuchs und Paul Middelhoff: "Das Netzwerk der neuen Rechten. Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern"
Rowohlt Polaris, Reinbeck. 288 Seiten, 16,99 Euro.