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Rechtsmedizin und COVID-19
Streit um Vorgaben für Obduktionen

Das Robert Koch-Institut hatte empfohlen, bei COVID-19-Verstorbenen auf eine Obduktion möglichst zu verzichten, um die Gefahr der Verbreitung des Coronavirus zu verringern. Diese Ansage rief Verschwörungstheoretiker auf den Plan - aber auch seriöse Kritiker, die um die Rechtssicherheit fürchten.

Von Michael Stang | 16.04.2020
Instrumente liegen am Obduktionstisch im Institut für Rechtsmedizin in Düsseldorf
Rechtsmediziner wollen verhindern, dass wegen der Corona-Pandemie weniger gerichtsmedizinische Untersuchungen stattfinden als sonst (picture alliance / dpa / Frederico Gambarini)
"Bei den Obduktionen ist es so, dass das Robert Koch-Institut gesagt hat, möglichst nicht obduzieren. Da sind wir der Auffassung, dass es hier abzuwägen gilt zwischen Gesundheitsschutz, aber auch eben der Rechtssicherheit. Denn die sogenannte gerichtliche Obduktion ist ja für die Rechtssicherheit in diesem Land extrem wichtig."
Sagt Stefanie Ritz-Timme. Die Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin in Düsseldorf ist amtierende Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Alle Beiträge zum Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Diese hatte, ähnlich wie die Deutsche Gesellschaft für Pathologie, folgenden Passus in den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zum Umgang mit COVID-19-Verstorbenen kritisiert:
"Eine innere Leichenschau, Autopsien oder andere aerosolproduzierenden Maßnahmen sollten vermieden werden. Sind diese notwendig, sollten diese auf ein Minimum beschränkt bleiben."
Gesundheitsschutz vor Rechtssicherheit unnötig
Die Vereinigung der Rechtsmediziner warnt vor den unerwünschten Folgen dieses Appells. Denn damit würden weniger Obduktionen stattfinden und in der Folge eventuelle Tötungsdelikte nicht entdeckt und aufgeklärt. Stefanie Ritz-Timme zufolge könnten dadurch Zweifel am Funktionieren des Rechtsstaates entstehen. Daher hat die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin eine Stellungnahme verfasst, die den Umgang mit verstorbenen und lebenden Infizierten mit SARS-CoV2 in der Rechtsmedizin regelt.
"Und wenn man weiß, dass in jedem Institut für Rechtsmedizin es Standard ist, sich zu schützen vor Schmierinfektion, vor Tröpfcheninfektionen, dann besteht eigentlich kein Grund dafür, dass der Gesundheitsschutz die Rechtssicherheit überwiegen soll. Sondern es ist eher umgekehrt insoweit, als dass die Rechtssicherheit das höhere Gut dann ist, wenn man sich ausreichend schützen kann. Und deswegen haben wir festgestellt, das nichts dagegen spricht, eben auch gerichtliche Obduktionen bei an COVID-19 Verstorbenen durchzuführen."
Infektionsschutz bei Obduktionen normal
Die Rechtsmediziner wollen verhindern, dass wegen der Corona-Pandemie weniger gerichtsmedizinische Untersuchungen stattfinden als sonst. Dank ausreichend vorhandener Schutzkleidung und etablierter Standards beim Infektionsschutz, gebe es dafür keinen Anlass, sagt Stefanie Ritz-Timme.
"Wenn wir in der Rechtsmedizin eine zweite Leichenschau machen oder eine Obduktion, wissen wir sehr häufig nicht, welche Infektionen der Verstorbene oder die Verstorbene möglicherweise in sich trägt. Das heißt, wir müssen immer so vorgehen, als ob wir uns infizieren können. Und das tun wir auch. Und insofern ist das neue Coronavirus eigentlich keine größere Herausforderung für uns."
Mittlerweile hat das Robert Koch-Institut auf die Kritik reagiert und die strittige Formulierung angepasst. Notwendige Obduktionen seien durchzuführen, heißt es nun, aber unter Einhaltung besonderer Schutzmaßnahmen.
Dunkelziffer der Infizierten durch Obduktion genauer abschätzbar
Rechtsmedizinerinnen und Rechtsmedizinern kommt bei der zweiten Leichenschau im Krematorium sowie bei der inneren Leichenschau eine besondere Aufgabe zu. Denn ein verstorbenes Unfallopfer könnte ja auch mit dem neuen Coronavirus infiziert gewesen sein. Ob es in der Statistik dann als COVID-19-Todesfall auftaucht, ist bislang oft Auslegungssache. Eine Obduktion würde Klarheit bringen.
"Es gibt ja diese Diskussion 'verstorben mit dem neuen Coronavirus' oder 'verstorben infolge einer Infektion'. Das kann ich natürlich viel klarer auseinanderdröseln, wenn ich obduziere und wenn ich dann entsprechend wirklich genau untersuchen kann, was im Einzelnen zu Tode geführt hat."

Das gilt auch die für die häufig im Totenschein vermerkte Todesursache "Lungenentzündung". Hier gilt es Stefanie Ritz-Timme zufolge zu klären, welcher Erreger genau zu der Lungenentzündung geführt hat - und letztlich zum Tod des Menschen. Der Rachenabstrich, dessen Analyse die Antwort liefert, funktioniert bei Toten genauso wie bei Lebenden. Wichtig sei daher, dass großflächig getestet wird, auch bei den Verstorbenen, betont die Düsseldorfer Rechtsmedizinerin. In einigen rechtsmedizinischen Einrichtungen und Pathologieinstituten sei das schon gängige Praxis. Die Rechtsmediziner hoffen dadurch ihren Beitrag leisten zu können, die Dunkelziffer der Infizierten genauer abschätzen zu können. Denn die Zahl jener, die gar nicht merken, dass sie sich mit dem neuen Coronavirus angesteckt haben und deshalb in keiner amtlichen Statistik auftauchen, spielt eine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung des neuen Coronavirus – und bei allen Maßnahmen zu seiner Bekämpfung.
"Wir tappen da ja insgesamt schon noch im Dunkeln. Und deswegen braucht es unbedingt systematische Untersuchungen dazu."