Dienstag, 19. März 2024

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Rechtspopulisten in Europa
"Dieses Europa-Bashing müssen wir bekämpfen"

Angesichts des Erstarkens des Rechtspopulismus warnt EU-Kommissar Pierre Moscovici vor Passivität. Man sollte nicht der Versuchung erliegen, die Hände in den Schoß zu legen, auf die Populisten zu hören oder sie nachzuahmen, sagte er im DLF.

Pierre Moscovici im Gespräch mit Christoph Heinemann | 10.03.2017
    EU-Steuerkommissar Pierre Moscovici.
    Auf Europa einzuschlagen sei derzeit in Mode, sagte der EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovisci im DLF. (picture alliance / dpa / Laurent Dubrule)
    (Hören Sie hier das Interview im französischen Originalton)
    Christoph Heinemann: Warum haben Rechtsextreme gegenwärtig fast überall in Europa Wind in den Segeln?
    Pierre Moscovici: Die extreme Rechte und der Populismus sind in Europa stark, aber auch weltweit. Das kann man damit erklären, dass die Globalisierung Krisen und Gewinner geschaffen hat. Ich bin gegen Protektionismus, aber man muss doch zur Kenntnis nehmen sehen, dass sich viele unserer Mitbürger in dieser Globalisierung als Verlierer fühlen. Sie fordern von ihren Mitgliedsstaaten und Regierungen, dass diese sie schützen sollen: vor wirtschaftlichen Risiken und sozialer Ungewissheit. Sie erwarten mehr innere und äußere Sicherheit, mehr Demokratie. Und sie erwarten eine höhere wirtschaftliche Effizienz. Bezeichnend für unsere Gesellschaften sind Ungleichheit und Massenarbeitslosigkeit. Dieses Gefühl ist in Europa und in der Welt weit verbreitet. In Deutschland etwas weniger, trotz des Aufstiegs der AfD. Im Vergleich zwischen der AfD mit dem Front National – ich möchte die Gefahr, die von der AfD ausgeht nicht verharmlosen – ist bei uns die die Bedrohung viel stärker.
    "Populisten gegenüber in keinem Punkt nachgeben"
    Christoph Heinemann: In den Niederlanden möchte Geert Wilders Moscheen und Koranschulen schließen und den Verkauf des Korans verbieten. Und dieses Programm ist sehr populär. Haben die Eliten in Europa, auch die Medien, die Probleme mit der muslimischen Bevölkerung unterschätzt?
    Pierre Moscovici: Man darf Populisten gegenüber in keinem Punkt nachgeben und gar nicht erst zugestehen, dass ihre Ansätze mit berechtigten Problemen zu begründen sind. Herrn Wilders Äußerungen über Muslime und den Islam sind nicht hinnehmbar. Und die Niederländer werden diese nicht hinnehmen. Herr Wilders führt die Umfragen nicht mehr an. Und er wird glücklicherweise nicht in der Lage sein, in den Niederlanden eine Koalition zu bilden. Es ist sehr gut, dass es Reaktionen gegen ihn gibt. Gleichzeitig müssen wir unsere Grundsätze bekräftigen: in Frankreich das Prinzip die Laizität. Wir müssen Stärke zeigen wenn bestimmte Dingen herausfordernd zur Schau gestellt werden: in Frankreich ist es im öffentlichen Dienst verboten, ein Kopftuch zu tragen. Alle Gemeinschaften sind aufgerufen, sich vollständig ist das Leben der Nation zu integrieren. Aber das darf zu keinerlei Zugeständnissen führen gegenüber Rassismus, Islamfeindlichkeit und der Tendenz, alles in einen Topf zu werfen, wie Herr Wilders und Frau Le Pen dies tun, oder mit unterschiedlichem Zungenschlag auch die Vertreter der extremen Rechten in Deutschland. Gegenüber Populisten sollten wir nicht sagen, wir machen es so wie sie. Oder weniger schlimm oder besser als sie. Wir sollten anders handeln.
    "Ich wünschte mir, Emmanuel Macron stünde weiter links"
    Christoph Heinemann: Wie sieht es in Frankreich aus, zu Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes?
    Pierre Moscovici: Als EU-Kommissar bin ich sehr vorsichtig. Es ist bekannt, dass ich Sozialdemokrat und Europäer bin. Mein Status erlegt mir eine gewisse Vorsicht auf. In Europa trete ich für die europäische Linke ein. In Frankreich ebenso. Deshalb wünschte ich mir, dass sich einige, wie Herr Macron, der Europäer ist, etwas weiter links stünde. Während andere, Linke, etwas europäischer auftreten sollten. Ich versuche diese Botschaft in beide Richtungen zu senden. Die Bedrohung durch den Front National von Frau Le Pen sollten wir ernst nehmen. Deshalb benötigen wir einen Wahlkampf in Würde, in dem es um Programme geht. Ich bin kein Konservativer und nicht rechts, dennoch bin ich schon etwas beunruhigt, wenn ich mir anschaue, was bei der Partei 'Die Republikaner' gegenwärtig vor sich geht. Ich habe keine Urteile über Persönlichkeiten, Kandidaten oder Affären zu fällen. Nur sollte die Debatte langsam an die grundsätzlichen Probleme anknüpfen. Menschliche Dramen und Streit sollten nicht weiter polarisieren.
    "Deutscher Handelsüberschuss sorgt in der Eurozone für Verzerrungen"
    Christoph Heinemann: Zurück nach Europa: die Kommission hat Deutschland wegen seines Handelsüberschusses jüngst aufgefordert, die Wirtschaft weiter zu stimulieren. Wieso sollte man eine starke Wirtschaft beleben?
    Pierre Moscovici: Um es klar zu sagen: die Europäische Kommission möchte, dass die deutsche Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit behält und weiter ausbaut. Die Stärke der deutschen Wirtschaft ist gut für Deutschland und Europa. Wenn wir uns über den Überschuss geäußert haben, dann weil wir meinen, dass ein so hoher Überschuss nicht gut ist und in der gesamten Eurozone für wirtschaftliche und politische Verzerrungen sorgt. Ich erkenne aber auch an, dass Deutschland im vergangenen Jahr seine öffentlichen Investitionen angekurbelt hat. Die Kommission glaubt, dass mehr für die Nachfrage und vor allem für Investitionen getan werden müsste. Ein so niedriges Investitionsniveau könnte für die deutsche Wirtschaft zu negativen Folgen führen. Vor allem langfristig: wenn die Zuwanderung rückläufig ist und die Alterung der Gesellschaft im vorhersehbarem Umfang zunimmt. Ich sage auch nicht, dass diese Überschüsse auf null zurückgeführt werden müssten. Deutschland soll Überschüsse erzielen und wird es tun. Aber dies ermöglicht, mehr auszugeben und gleichzeitig die Schulden zu verringern. Und wir werden das sehr nah begleiten.
    Christoph Heinemann: In Deutschland sagen einige, bevor man Deutschland dafür kritisiert, sollte man lieber Sanktionen gegen Frankreich beschließen, weil das Land seit Jahren die Euro-Kriterien von Maastricht nicht einhält?
    Pierre Moscovici: Alles, was Frankreich und Deutschland in Opposition zueinander bringt, läuft auf eine schlechte Politik für Europa hinaus. Die Kommission fordert einiges von Frankreich. Ich auch und ich bin Franzose. Ich fordere von Frankreich, das Defizit weiter zu senken. Zum Glück entwickelt es sich gerade unter drei Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt.
    Christoph Heinemann: Bisher keine Sanktionen…
    Pierre Moscovici: Sie erwähnten eben den Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich. Meine Botschaft an die Kandidaten lautet: `eine Erhöhung der Defizite ist nicht verantworten. Baut sie weiter ab´. Gleichzeitig stelle ich fest, dass die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft wächst. Ein Frankreich in einer besseren Position, das ist eine gute Nachricht für Deutschland. Und das sollte fortdauern.
    "Auf Europa einzuschlagen, ist gerade in Mode"
    Christoph Heinemann: Europa ist gegenwärtig nicht in Mode. Welcher wird der kleinste gemeinsame Nenner für die Zukunft der Europäischen Union sein?
    Pierre Moscovici: Modeerscheinungen messe ich keine große Bedeutung bei. Mir geht es um den Kern der Dinge. In dieser für Europa so schwierigen Lage sollten wir nicht der Versuchung erliegen, die Hände in den Schoß zu legen, alles zu verlangsamen, auf die Populisten zu hören oder sie nachzuahmen. Die Pro-Europäer sollten nicht länger schüchtern und ängstlich sein. Sie sollten ihre Überzeugungen nicht verstecken. Sie sollten sagen, dass es sich bei Europa um ein großes Projekt handelt. Es hat Frieden geschaffen. Es gibt auch Probleme: dieses Projekt schafft zu viel Ungleichheit, seine Schutzfunktion ist nicht ausreichend. Es ist nicht demokratisch genug. Also packen wir diese Dinge an, aber für ein stärkeres, nicht für ein schwächeres Europa. Auf Europa einzuschlagen, ist gerade in Mode. Dieses Europa-Bashing müssen wir bekämpfen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.