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Referendum in der Türkei
30 Freunde gegen Erdogan

Vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei ist das "Ja"-Lager in den Medien allgegenwärtig. Die "Nein"-Kampagne kommt dagegen kaum vor. Junge, säkular eingestellte Türken kämpfen dennoch für ein "Nein".

Von Sabine Adler | 15.04.2017
    Im Bild sieht man eine Straßenszene in Ankara
    Um ihre Landsleute davon zu überzeugen, mit Nein zu stimmen, stellen 30 Freunde aus Ankara sogar ihre Jobs zurück. (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Ganz gleich wie das Referendum morgen ausgeht, heute wird gefeiert. Den Geburtstag von Engin Balim, der 36 wird, und sie feiern sich. Denn die rund 30 jungen Leute in Ankara haben geschafft, was sie sich vorgenommen hatten: Zu tun was sie können, damit die Türkei zum Verfassungsreferendum morgen nicht "Evet", "Ja" sagt.
    "Sag nein, nein um der Zukunft willen, nein zu dem was falsch ist."
    Murat zeigt das Video herum mit dem Hayir- dem Nein-Song, dass sie an jede Adresse schicken. Murat heißt anders, unter seinen Freunden hier in einer Kneipe im Szene-Viertel in Ankara, redet er offen, will aber nicht erkannt werden. Er ist Psychiater und ist wie die meisten an der Tafel in den vergangenen Wochen quer durch die Türkei gereist, Murat hat insgesamt 200 Dörfer, vor allem in Anatolien besucht, um dort die Bevölkerung zu überzeugen, gegen die angestrebte Präsidialrepublik zu stimmen.
    Murat will für seine Kinder ein Held sein, wenn seine Tochter und sein Sohn ihn später fragen sollten, was er gegen die Abschaffung der Demokratie in der Türkei unternommen hat, dann kann er ihnen davon erzählen, dass er wochenlang nur drei Tage pro Woche in seiner Privatklinik gearbeitet hat und die restlichen vier Tage unterwegs war. Seine Frau ist stolz auf ihn, wenngleich sie ihren bedachten Mann, mit dem runden Gesicht und der großen Brille vermisst hat.
    Die Freunde waren für keine der Parteien aktiv, denn denen trauen sie nicht, sondern einfach als Bürger, denen ihr Land am Herzen liegt.
    Eine unsichtbare Mauer
    Auf dem Bild ist ein Plakat mit türkischer Schrift zu sehen.
    Ein Nein-Plakat für das Verfassungsreferendum in der Türkei (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Engin, das Geburtstagskind, war Mitglied der wichtigsten Oppositionspartei, der sozialdemokratischen CHP
    "Der Parteivorsitzende Kemal Kilitschdaroglu hat fünf Wahlen in Folge verloren, sitzt aber immer noch auf seinem Stuhl als Vorsitzender. Wir haben ihn kritisiert, dass er sich wie Präsident Erdogan benimmt. Ich habe protestiert, vor unserem eigenen Parteigebäude."
    Wenn die Ja-Sager morgen gewinnen, so Engins Freunde, wird alles andere bedeutungslos werden.
    "Wir haben keine Mauer, die man anfassen und sehen kann wie die Mauer früher in Berlin, aber wir haben trotzdem eine Mauer in der Türkei. Es gibt sie, wir fühlen sie, auch wenn wir sie nicht sehen. US-Präsident Trump will seine Mauer erst noch haben, Erdogan hat seine schon gebaut. Sie geht mitten durch unser Volk, das total polarisiert ist."
    Der fröhliche Politikwissenschaftler wird traurig, als er von einem Freund spricht, den er verloren hat.
    "Als wir uns vor sechs Tagen sprachen, hat er Erdogan verteidigt und gesagt, dass er morgen mit Ja stimmen wird, für die Verfassungsänderung. Er konnte mir nicht begründen, warum er das tun will. Ich habe ihn zu meiner Party heute deswegen nicht eingeladen."
    Keine Auschreitungen erwartet
    So sehr sich die Türken über das Referendum zerstritten haben, der Politologe Yalcin Karatepe rechnet damit, dass es nach der Auszählung zu Gewalt kommen wird.
    "Ganz egal wie das Referendum ausgeht, Gewalt wird es nicht geben. Wenn die Befürworter gewinnen, wird Erdogan glücklich sein, denn dann hat er erreicht, was er seit 15 oder 20 Jahren wollte. Leute, die wie wir offen Kritik geübt haben, wird er nicht mit Samthandschuhen anfassen, das ist klar. Aber dass Leute auf die Straße gehen und gegen das Ergebnis protestieren – nein."
    Davon hält sie nicht zuletzt der Ausnahmezustand ab, der für das Land noch mindestens bis zum 19. April gilt. Und die Entlassungswelle nach dem Putsch ist eine ständige Mahnung, bei der 130.000 Beamte, Lehrer, Richter, Staatsanwälte, Journalisten, Ärzte und Krankenschwestern ihren Job verloren haben, weil man sie verdächtigte, Anhänger von Terrororganisationen zu sein. Die 36jährige Tugba Gayret, eine Kunsterzieherin, wurde nicht entlassen, aber ihre Universität wurde als eine von 15 geschlossen. Wie sie stimmt, steht seit Langem fest:
    "No."
    Auf ein Nein stoßen sie alle an.