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Regen in der Mikrowelle

Meteorologie. – Vielen sind die großen Flächenüberflutungen wie 2002 an der Elbe oder 1997 an der Oder, die so genannte Jahrhundert-Flut, noch bestens präsent. Darüber gerät mitunter fast schon wieder in Vergessenheit, dass es auch immer wieder zu fatalen ''Sturzfluten'' kommt, so beispielsweise in Alpen-Ländern. Das EU-Projekt ''Mantissa'' soll bald mehr Licht in die Entstehung solcher Katastrophen werfen und bessere Prognosen zu Sturzfluten liefern. Im Kern des Vorhabens steht eine neue Technologie zur Feststellung der Niederschläge an kritischen Orten.

    Von Volker Mrasek

    "Mantissa" - das ist kein exotischer Frauen-Name. Sondern so heißt ein EU-Forschungsprojekt, an dem Chris Collier mitwirkt. Der Meteorologe, Professor für Umwelt-Fernerkundung an der Universität Salford in England, ist sogar wissenschaftlicher Koordinator von "Mantissa" ...

    Es ist eine Abkürzung. Ich schau einmal gerade in dieser Arbeit hier. Nein! Da taucht sie nicht auf! Also, im Moment weiß ich gar nicht, was Mantissa genau heißt.

    Macht nichts! Hauptsache, der Chef weiß, was im Rahmen von "Mantissa" gespielt wird. Und das, sagt Collier, sei äußerst vielversprechend. Die Projekt-Beteiligten sind guter Hoffnung, dass sie die Flut-Vorhersage in Europa verbessern können. Und zwar in Gebirgs-Regionen, in denen es immer wieder zu katastrophalen Sturzfluten kommt ...

    Gefährdet ist insbesondere die Südseite der Alpen. Sturzfluten gibt es aber auch in anderen Ländern Europas. Die letzte Katastrophe dieser Art ist drei Jahre her. Das war im Piemont. Da fielen 600 Millimeter Regen innerhalb von ein paar Stunden. Eine Flutwelle stürzte zu Tal und forderte viele Todesopfer. Solche Ereignisse sind zwar selten. Aber sie treten regelmäßig auf.

    In den tief-eingeschnittenen Tälern fehlt es an Daten für die Niederschlags-Vorhersage. Regen-Sammelstationen in den steilen Hängen sind Mangelware, wenn überhaupt vorhanden. Und Satelliten dringen mit ihrem Niederschlags-Radar von oben nicht richtig in die engen Schluchten vor. Diese Lücke wollen die "Mantissa"-Forscher nun schließen. Indem sie Mikrowellen-Signale durch zwei Test-Täler in Norditalien schicken. Nicht vertikal von oben nach unten, sondern horizontal, auf gerader, freier Strecke - so, als würde man eine imaginäre Wäscheleine längs durch das Tal spannen. Entlang dieser Luft-Linie wandern dann die Mikrowellen. Sende- und Empfangsmasten sind bereits installiert. Eine große Messkampagne im Tal des Rio Centonara südlich von Bologna steht unmittelbar bevor. Natürlich wird auch Chris Collier vor Ort sein ...

    Wir schicken einen Puls elektromagnetischer Strahlung durch das Tal. Wenn er den Regen durchläuft, geht ein wenig von seiner Energie verloren. Das abgeschwächte Signal fangen wir am Ende der Strecke mit einem Empfänger wieder auf. Und können dann von der Energie-Differenz direkt auf die Niederschlagsmenge im Tal schließen. Wir verstehen unsere Methode dabei als Ergänzung. Die Regen-Sammler liefern Punkt-Messungen, das Satelliten-Radar Gebiets-Messungen. Die Mikrowellen schließen die Lücke dazwischen: Sie liefern uns Messdaten entlang einer Linie.

    Das System aufzubauen war kein großes Problem. Sender und Empfänger sitzen auf mittelgroßen Masten, wie man sie vom Mobilfunk her kennt. Sie stehen einige Kilometer auseinander. So lang ist nun die Niederschlags-Messstrecke in dem Flut-gefährdeten Tal. Jede Sekunde können die Forscher, wenn sie wollen, einen aktuellen Regen-Messwert abfragen. "In Echtzeit" wie es heißt, also ohne zeitliche Verzögerung. Das soll auch der Vorhersage von Sturzfluten zugute kommen ...

    Wir nehmen aus England eine mobile Wetterstation mit und bauen sie in dem Tal südlich von Bologna auf. Wir werden dort zwei Monate lang bleiben. In dieser Zeit werden wir alle möglichen Daten sammeln: von unserer Wetterstation, von unserem Mikrowellen-Experiment, und von einem Regen-Radar in der Nähe von Bologna. Diese ganzen Informationen werden wir dann gemeinsam auswerten und sehen, wie wir sie in Modelle für eine bessere Flut-Vorhersage einbauen können.

    Nicht nur in Italien haben die EU-Forscher übrigens Mikrowellen-Sender aufgebaut. Eine fast 30 Kilometer lange Messstrecke existiert auch in der Nähe von Essen, im Einzugsgebiet der Emscher. Dort gibt es zwar keine tiefeingeschnittenen Gebirgstäler, aber ein Niederschlags-Radar ganz in der Nähe. Hier haben die Mikrowellen-Messungen einen anderen Zweck: Sie dienen praktisch als zusätzliche Sehhilfe für das Boden-Radar und sollen helfen, es noch genauer zu eichen ...