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''Regenzeiten'' in den Alpen

Klimaforschung. – Die Alpen sind im doppelten Sinn herausragend für Wetter und Klima. Denn Europas größtes Gebirge behindert freien Austausch von Luftmassen, produziert Wolken, Regen und komplexe Phänomene wie den Fön. Die Sonderrolle der Alpen bestätigt jetzt auch eine EU-Studie, in der Niederschlagsdaten der vergangenen 120 Jahre von rund 200 Wetterstationen nicht nur aus der Alpenregion analysiert wurden.

    Das Wetter schlägt in den Alpen gerne ausgesprochene Kapriolen, weiß auch Wolfgang Fricke zu berichten, Meteorologe am Observatorium Hohenpeißenberg des Deutschen Wetterdienstes am bayerischen Alpenrand: "Wenn wir am Nordrand der Alpen Wind aus leicht nordwestlichen Richtungen haben, treten sofort Staubedingungen auf. Und die Windrichtung braucht nur um zehn, 20 Grad zu drehen und das Wetter wird schön, weil sich dann Fön-Effekte einstellen." Im Extremfall wirkten die Alpen quasi wie ein Wetter Schalter, der umgelegt wird, wenn sich die Windrichtung auch nur leicht ändert, und von Regen auf Sonnenschein umschaltet. Doch nicht nur von Moment zu Moment ändert sich das Wetter in Europas höchstem Gebirge – auch langfristige Klima-Zyklen stellten Klimatologen im Rahmen des EU-Projektes "Alp-Imp" fest, schildert Reinhard Böhm von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien und einer der Koordinatoren des Vorhabens: "Das Endziel ist eine Analyse von ungefähr 1000 Jahren Klimageschichte in den Alpen. Wir suchen in dem unüberschaubaren Puzzle der Messreihen nach erkennbaren Mustern, die man dann auch erklären kann. Und es scheint in den Alpen gegenläufige Trends im Niederschlag nordwestlich der Alpen – etwa von Ost-Frankreich über die Schweizer Gegenden nördlich der Alpen bis ins westliche Süddeutschland hinein – zum Niederschlag südlich der Alpen zu geben."

    Der Österreicher bezeichnet dieses Phänomen als einen "Niederschlags-Dipol", den man sich als alpine "Regen-Schaukel" vorstellen könne und die in extremer Langsamkeit hin und her schwinge. Über Jahrzehnte hängt die feuchte Schaukel auf der Alpen-Nordseite fest, um dann wieder auf die Alpen-Südseite zu wechseln. Dies belegen Niederschlagsdaten, die zum Teil bis ins Jahr 1800 zurückreichen und von rund 200 Wetterstationen in den Alpen und ihrem Umland stammen. "Dieses Muster beginnt ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts mit stark übernormalen Niederschlägen in der Po-Ebene gegenüber dem nordwestlichen Teil dieses Dipols." Ungefähr in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei dann ein allmählicher Wechsel eingetreten, in dessen Folge die Niederschläge nordwestlich der Alpen seit Mitte des 20. Jahrhunderts stark anstiegen, während in der Po-Ebene dagegen eine Tendenz zur Austrocknung eintrat. Seither herrsche in der Schweiz sowie in Süddeutschland quasi eine "Regenzeit", deren Jahres-Niederschlagsmengen durchweg größer ausfallen als auf der Alpen-Südseite.

    Reinhard Böhm verwundert dabei besonders, dass die Unterschiede in den Niederschlägen während des Winters am größten sind: "Die Differenzen liegen in den Zehnjahres-Mittelwerten bei Abweichungen von plusminus fünf bis sieben Prozent vom langjährigen Mittel." So erhalte der Nordwestteil der Alpen bereits seit 30 bis 40 Jahren ungefähr bis zu sieben Prozent mehr Niederschlag als üblich, während der Regeneintrag im oberitalienischen Raum sogar noch stärker nach unten abweiche. Vor diesem Hintergrund warnt Meteorologe Böhm vor allzu voreiligen Schlüssen. "Es wäre völlig falsch zu sagen, dass wir wissen, die Erde wird sich um so und so viel Grad erwärmen wird. Das mag noch stimmen. Aber dass damit auch der Niederschlag etwa steigt, ist auf die Welt betrachtet sicher richtig – nicht aber für jeden Fleck auf ihr." Die Analyse der Messdaten hätte vielmehr ergeben, dass es sogar auf so kleinräumigen Gebieten sehr unterschiedliche Trends gebe.

    [Quelle: Volker Mrasek]