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Regierungsbildung in Italien
Zwei ungleiche Partner wollen Italien umkrempeln

Die Vereidigung von Italiens neuer Regierung steht kurz bevor - und damit der Beginn eines politischen Experiments: Die Koalitionspartner Fünf-Sterne-Bewegung und Lega haben sich zusammengerauft, um einen politischen Wandel herbeizuführen - damit stehen Europa großen Herausforderungen bevor.

Von Jan-Christoph Kitzler | 21.05.2018
    Die Fotomontage zeigt Luigi di Maio, Parteichef der Fünf-Sterne-Bewegung und Matteo Salvini, den Vorsitzenden der rechtsextremen Partei Lega.
    Luigi di Maio, Parteichef der Fünf-Sterne-Bewegung, und Matteo Salvini, Vorsitzender der Lega sind mit einem Projekt des Wandels angetreten, auch was die Europäische Union angeht (AFP / Tiziana Fabi)
    Italiens neue Regierung nimmt Formen an: Am Nachmittag wird voraussichtlich das Kabinett bekannt gegeben - und kann dann schon bald vereidigt werden. Die Chefs der beiden Koalitionsparteien, der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega werben in diesen Tagen auf Straßen und Plätzen für das Regierungsprogramm. Matteo Salvini von der Lega griff nach der letzten Etappe zum Megafon:
    "Heute Morgen haben wir uns verständigt, was den Ministerpräsidenten und die Minister angeht. Wir sind klar zum Start."
    Zwei ungleiche Partner
    Damit beginnt ein politisches Experiment in Italien. Zwei ungleiche Partner haben sich zusammengerauft, weil die Wähler ihnen am 4. März aus ganz unterschiedlichen Gründen zu politischer Stärke verholfen hatten.
    Die Lega wurde vor allem im Norden gewählt, hat mit rechtsnationalen, fremdenfeindlichen, antieuropäischen Tönen Wahlkampf gemacht - und will jetzt vor allem Law & Order-Politik machen. Zum Beispiel massenhaft Migranten abschieben. Die Fünf Sterne waren vor allem in Süditalien stark - mit dem Versprechen einer Grundsicherung, einer Rentenreform, eines Staats, der besser funktioniert. Luigi di Maio hält den Koalitionsvertrag, auf den sich beide geeinigt haben, für nichts weniger als eine Revolution:
    "Unsere Themen sind im Koalitionsvertrag und auch die der anderen. Je mehr Angriffen wir ausgesetzt sind, umso motivierter bin ich. Denn ich sehe bei einem gewissen Establishment viel Angst vor dem Wandel. Aber wer heute Angst vor dem Wandel hat, ist unser Feind. Denn es ist klar: Wir müssen uns entscheiden."
    Gemeinsamkeiten in der Europapolitik
    58 Seiten stark ist das Papier, das in vielen Punkten noch nicht besonders konkret ist. Aber man hat sich in den letzten Wochen zusammengerauft, auch wenn es lange nicht so aussah: Denn die Fünf Sterne, die sich gerne jenseits der politischen rechts-links-Schemata verorten, schlagen sich durch das Bündnis mit der Lega auf die klar rechte Seite - und verprellen damit möglicherweise auch viele eher linke Wähler. Die Lega sah ihre politische Zukunft bisher in einer Mitte-rechts-Koalition mit Silvio Berlusconi und musste das aufgeben. Auch weil am Ende die Gemeinsamkeiten wohl überwiegen, sagt der Politikwissenschaftler Giacinto della Cannena.
    "Sowohl die Fünf-Sterne-Bewegung als auch die Lega sind mit einem Projekt des Wandels angetreten, auch was die Europäische Union angeht. Beide sagen, dass die europäischen Regeln zur Staatsverschuldung zu streng sind. Beide wollen auch mehr Spielraum in der Industriepolitik."
    Gewisser Trotz gegenüber dem Ausland
    Was die beiden ungleichen Partner auch eint, ist ein gewisser Trotz, nicht nur gegenüber Gegnern im Inland, sondern auch gegenüber kritischen Reaktionen aus dem Ausland - besonders harsch formuliert, kurz vor Abschluss der Regierungsbildung, von Matteo Salvini:
    "Die Zinsen für Staatsanleihen steigen, die Börsen brechen ein, Besorgnis in Europa, in Washington, in Berlin, in Paris. Wenn sie in den Hinterzimmern, wo sie entschieden haben, dass unsere Kinder prekär und in Angst leben sollen, wo sie unsere Zukunft zerstört haben, besorgt sind, dann heißt das: Wir tun das Richtige."
    Herausforderung für Europa
    Ob das die Finanzmärkte auch so sehen und wie viel Spielraum die EU der neuen Regierung zu geben bereit ist, ist noch offen. Klar ist nur: Sie müssen ihre Rechnung mit dem neuen Regierungsbündnis machen. Der scheidende Ministerpräsident Paolo Gentiloni hat noch eine Warnung hinterlassen:
    "Das könnte nicht nur den einen oder anderen in Brüssel verärgern, sondern könnte auch in unserem Land für Probleme sorgen: die Vorstellung, dass man Politik auf Pump macht, auf mehr Schulden setzt, dass man unwahrscheinliche, erstaunliche Versprechen macht - und dass das dann keine Folgen hat."
    In Italien machen sich zwei ungleiche Partner auf, das Land zu regieren. Nicht nur Europa muss mit dieser Regierung seine Rechnung machen. Die neue Regierung muss auch mit Europa rechnen.