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Reiche zeigen soziales Engagement

Amerikas wohlhabende Oberschicht zeigt Einfallsreichtum, wenn es darum geht, das Geld zuammen zu halten. Für den Nachwuchs der Reichen gibt es inzwischen Kurse, in denen schon Kinder und Teenager lernen, wie man Aktienkurse liest oder wie man eine Stiftung gründet. Das Stiftungs- und Wohltätigkeits-System ist in den USA wesentlich verbreiteter als bei uns. Tue Gutes - ob das die staatliche Fürsorge ersetzen kann, dieser Frage ist Kerstin Zilm in Los Angeles nachgegangen.

    In einem gigantischen, lärmigen Einkaufszentrum mitten in Los Angeles präsentiert die preisgekrönte Star-Fotografin Linda Solomon eine Fotoausstellung der Organisation ‚Big Brothers Big Sisters’, ein US-weites Mentorenprogramm für Kinder aus unterprivilegierten Familien. Die Kinder haben durch Photos ihre größten Wünsche ausgedrückt: ein von Feuerwerk erleuchteter Himmel steht für den Wunsch nach einer friedvollen Welt, ein Vorgarten voller Müll für Sehnsucht nach einer sauberen Umgebung, Enten am See für klare Luft und klares Wasser. Der zehnjährige Freddie erklärt, warum er sich nicht ein neues Fahrrad oder eine groessere Wohnung gewünscht hat, sondern dass keine Bäume mehr gefällt werden:

    "Die Bäume sind wichtiger, denn wenn wir irgendwann alle Bäume gefällt haben, werden wir keinen Sauerstoff mehr haben und es dauert zu lange, bis Bäume nachwachsen."
    Linda Solomon ist durch ihre Photos von Stars berühmt und reich geworden. Sie hat den Kindern beim Photographieren geholfen. Geld und Zeit für wohltätige Zwecke zu geben, ist für sie – wie für viele vermögende US-Bürger - gleichzeitig soziale Verpflichtung und Bereicherung:

    "Ich arbeite mit mehreren Wohltätigkeitsorganisationen. Das Sprichwort stimmt: je mehr du gibst, desto mehr bekommst du. Wir haben viele Organisationen, die sich um Ausbildung kümmern. Wir müssen alle helfen. Das größte Geschenk ist Hilfe für andere."

    ‚Big Brothers Big Sisters’ ist die älteste US-Organisation, die Mentoren für Kinder sucht. Meist Jungen und Mädchen aus armen, instabilen oder zerstörten Familien. Mehr als 200 Millionen Dollar Spenden haben sie im vergangenen Jahr gesammelt und Mentoren für rund 220 tausend Kinder gefunden. John Kobara ist Präsident der Organisation in Los Angeles, wo mehr als 30 Prozent der Kinder in Armut leben. "Es wäre schön, wenn die Regierung mehr für die Kinder tun würde", sagt Kobara.

    "Aber traditionell spielen Wohltätigkeit und Ehrenamt eine große Rolle in Amerika. Wir brauchen immer mehr Geld, mehr Unterstützung. Das ist einfach Amerika, Teil des Systems. Möglicherweise können wir anderen die Schuld an Miseren geben, aber wir müssen mithelfen, die Lage zu verbessern."

    Kevin Kirkpatrick ist Mentor des 10-jährigen Freddie. Der kinderlose Schauspieler trifft den Jungen mindestens einmal in der Woche für zwei Stunden. Er sagt: es tut gut, direkt und nicht indirekt über Steuern Gutes zu tun:

    "Es hat etwas wirklich Produktives und Konkretes. Ich bewirke etwas. Gebe etwas ab. Das gibt mir mehr, als all die anderen guten Dinge, die ich erlebe."

    Die Zahl der US-Spendenorganisationen ist unendlich. Es gibt Organisationen für bessere Bildung, Bekämpfung der Armut, Gesundheitsversorgung illegaler Einwanderer, Förderung der Kunst und und und… Häufig übernehmen sie Aufgaben, die in den meisten europäischen Ländern von Regierungen erwartet werden. Dr. Julian Edney, Dozent für Gesellschaftspsychologie am Santa Monica College kritisiert das US-System:

    "Die Frage ist, ob Wohltatetigkeitsorganisationen das Problem lösen. Sie tun es nicht. Ihre Hilfe ist nett, aber sie reicht nie, ist sporadisch, unvorhersehbar, niemand kann sich darauf verlassen. Die Verteilung des Geldes ist ohne System. Wenn du in einem Jahr nichts gibst, was machen die Menschen dann? Verhungern?"

    Sehr systematisch ist die Hilfe von Multi-Milliardär Eli Broad, der großzügigste Philanthrop in Los Angeles. Der Gründer von zwei Fortune 500 Unternehmen hat mit seinem Vermögen eine Stiftung gegründet und sich spezialisiert auf die Förderung von medizinischer Forschung, Kunst und vor allem auf die Verbesserung innerstädtischer Schulen. Das öffentliche Schulsystem bezeichnet der 72-jährige als das größte Problem der USA:

    "Es ist die primäre Aufgabe der Regierung, unsere Kinder auszubilden, aber ganz ehrlich: die Regierung leistet keine gute Arbeit in innerstädtischen Schulen. Wir glauben, dass Stiftungen die Initiative ergreifen können und Dinge tun, die bisher nicht passiert sind."

    1,6 Milliarden Dollar hat Eli Broad über seine Stiftung für wohltätige Zwecke ausgegeben. Rund 20 Prozent seines Vermögens, schreibt das Forbes-Magazin. Es sind Investition, die den Unternehmer mehr befriedigen, als Geschäfte, die er mit seinen Versicherungsimmobilien- und Finanzunternehmen gemacht hat:

    "Es ist sehr befriedigend zu sehen, dass Kinder besser ausgebildet werden, mehr Kinder einen guten Schulabschluss bekommen und studieren. Es ist sehr befriedigend, etwas zu bewegen und von deinem Glück abzugeben. Und hoffentlich ein Beispiel zu sein, dem andere folgen wollen."

    Ganz oben auf der Forbes-Philanthropie-Liste steht Microsoft-Gründer Bill Gates. Fast 30 Milliarden Dollar hat der reichste Mann der Welt gespendet. Vor allem für ein von seiner Stiftung entwickeltes Programm für die Verteilung von Impfstoffen in armen Ländern und für die Förderung von Schulen. 30 Milliarden Dollar – das sind gut 35 Prozent des Gates-Vermögens, errechnet das Forbes-Magazin. Gesellschaftskritiker Dr. Edney ist nicht beeindruckt:

    "Wer in diesem Land den Mindestlohn bekommt, arbeitet fünf Monate des Jahres für Steuern. Der Rest des Lohns gehört ihm. Wenn also Herr Gates und Herr Broad fünf-zwölftel ihres Geldes abgeben würden, wäre ich beeindruckt. Aber sie tun das nicht, weder an Spenden, noch an Steuern."

    Bei der Fotoausstellung der Mentor-Organisation "Big Brothers Big Sisters" konzentrieren sich alle auf die positiven Aspekte des freiwilligen Engagements. Mentor Kevin Kirkpatrick erklärt, es ist Teil des amerikanischen Traums:

    "Ich glaube bestimmt nicht, dass es perfekt ist. Es ist falsch, dass manche so schwer um grundlegende Dinge kämpfen müssen. Aber ich liebe diese Gelegenheit, mich persönlich zu engagieren. Der amerikanische Traum ist, dass man durch harte Arbeit etwas erreichen kann. Und dann etwas abgibt. Aber ich bin überzeugt, dass wir viel von anderen Ländern lernen können, die sich zuverlässiger um ihre Menschen kümmern. Wirklich."