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Reihe: Wahlversprechen
Gebietsreform in Thüringen gescheitert

Kein Bundesland hat so viele kreisfreie Städte wie Thüringen - gemessen an der Einwohnerzahl. Die rot-rot-grüne Landesregierung wollte das eigentlich ändern. Doch kurz vor Ablauf der Legislaturperiode ist klar: Dieses Wahlversprechen bleibt unerfüllt.

Von Henry Bernhard | 06.08.2019
Marktplatz Eisenach mit Georgenkirche und Georgenbrunnen
Die Stadt Eisenach hat ihre Eigenständigkeit freiwillig aufgegeben. (imago/INSADCO)
"Vieles von dem, was an finanziellen Problemen ist in Thüringen, hat auch seinen Grund darin, dass alles so kleinteilig und zersplittert und so kleinstaaterisch ist," sagte Matthias Hey, heute Fraktionsvorsitzender der SPD im Thüringer Landtag, im Wahlkampf vor fünf Jahren. Wichtiges Thema für die SPD und auch für die Linke war damals eine Verwaltungs- und Gebietsreform. Thüringen hat sechs kreisfreie Städte – deutlich mehr als jedes andere Bundesland, bezogen auf die Einwohnerzahl. Thüringen ist in 17 Landkreise unterteilt – Sachsen mit doppelt so vielen Einwohnern reichen zehn. Dazu hat Thüringen doppelt so viele Kommunen wie Sachsen.
Viele Kommunen stehen finanziell auf wackligen Füßen. Ein Kreis stand in der Vergangenheit zeitweilig – deutschlandweit einmalig – unter Zwangsverwaltung. Der Grund: Aus Sicht der SPD werden größere Gestaltungsräume mit effizienteren Verwaltungen benötigt. Matthias Hey:
"Wenn eine Stadt wie Eisenach, die locker unter 60.000 Einwohner hat, sämtliche Aufgaben übernehmen muss, die eigentlich auch ein Landkreis hat, die aber kreisfrei ist, wenn sie also den Nahverkehr, die Schulen, die Gymnasien, alles Weitere selbst finanzieren soll und keine eigenen großen Gewerbesteuereinnahmen hat, dann ist es klar, dass so eine Stadt auf Dauer nicht überleben kann."
Rot-Rot-Grün wollte die Reform unbedingt
In der damaligen großen Koalition mit der CDU war für die SPD der Plan einer tief greifenden Reform nicht zu realisieren. Zu groß waren die Widerstände bei den Christdemokraten, die ihre Machtbasis auf dem Land hat, beklagte Heike Taubert, damals Spitzenkandidatin der SPD:
"Die CDU war im Übrigen auch mal weiter. Und sie machen jetzt vor der Wahl bewusst keine Aussage, weil sie keinem aus dem Dorf zumuten wollen, dass er sich mit dem Nachbardörfler verträgt."
Ein Mann im Anzug hält seine Hand mit gekreuzten Fingern hinter den Rücken
Reihe: Versprochen – gebrochen?
Was aus Wahlversprechen geworden ist

Wahlversprechen gehören zu Wahlen wie Plakate und TV-Duelle. Wenn alle Stimmen ausgezählt sind, bleibt von großen Ankündigungen oft kaum etwas übrig.
In der neuen Koalition mit den Linken und den Grünen aber sah die SPD 2014 die Chance, endlich den Knoten zu zerschlagen, der ihrer Meinung nach Thüringen schon lange fesselte. Ministerpräsident Bodo Ramelow machte die Gebietsreform zur Chefsache:
"Das beginnt mit einer Verwaltungsreform. Erst einmal eine Aufgabenkritik, die Evaluierung der derzeitigen Verwaltung. Daraus abgeleitet entsteht dann die Frage der Gebietsreform. Und die beginnt erst mal mit den Landkreisen."
Nach einem Jahr an der Regierung legte der damalige Justizminister Holger Poppenhäger, SPD, stolz ein Leitbild für die Reform vor: Vorgaben für die Größe der Landkreise, der kreisfreien Städte.
"Ich glaube aus vielen Gesprächen, auch mit CDU-Bürgermeistern, dass auch in der wichtigsten und größten Oppositionspartei in weiten Teilen die Einsicht ist, dass sie froh sein können, dass wir das nicht noch mal fünf Jahre schieben werden."
CDU: "Alles über die Köpfe der Menschen hinweg"
Aber die CDU zeigte sich nicht erfreut, sondern ging in den maximalen Widerstand zur Reform. Der Fraktionsvorsitzende im Landtag, Mike Mohring, beklagte vor allem, dass Gebietsreformen nichts einsparten, sondern Geld kosteten: "Wir wissen jetzt, dass neun Landkreise von der Landkarte verschwinden sollen, neun Ankerpunkte, wo Landratsämter, Kaufkraft, Polizeiinspektionen, Gerichtsstandorte, Krankenhausstandorte alle im Nachgang gefährdet sind. Alles über die Köpfe der Menschen hinweg, gegen den Willen der kommunalen Familie, im Schweinsgalopp, wo ein Zeitdruck aufgebaut wird, der überhaupt nicht nachvollziehbar ist, und wo jede Bürgerbeteiligung sich vermissen lässt."
Ein weiteres Jahr nach der Landtagswahl ließ Innenminister Poppenhäger einen Professor aus Nordrhein-Westfalen die neuen Kreisgrenzen vorstellen. Acht statt 17 Landkreise, vier der sechs kreisfreien Städte sollten ihre Unabhängigkeit verlieren. Professor Jörg Bogumil setzte weniger auf Ortskenntnisse, denn auf seine Powerpoint-Präsentationen, "… die deutlich machen, warum eine Kreisgebietsreform in Thüringen alternativlos ist."
Eine absurde Werbekampagne
Ministerpräsident Bodo Ramelow erklärte daraufhin mantraartig: "Es gibt keine Alternative zur Reform! Das Ob der großen Reform ist geklärt; jetzt geht es um das Wie. Diese Reform wird stattfinden!"
Zum Reizwort "alternativlos" gesellten sich dann auch noch ernstgemeinte Werbeplakate mit der Aufschrift "Gegen diese Reform kann man nicht sein". Doch, man konnte. Die Landräte liefen Sturm. Zum Beispiel Werner Henning, Landrat im Eichsfeld seit 1989:
"Im Osten dominiert eigentlich der Staat die sich vorsichtig emanzipierende Bürgergesellschaft mittels holzschnittartiger Demokratiemodelle. Und wir haben im Osten zu viel alte DDR noch, indem man glaubt, die Partei sei zur Führung berufen. Und man streitet sich dann, ob die CDU eher zur Führung berufen ist oder die Linke oder wer auch immer. Es ist absurd."
Die CDU erhöhte ihren Widerstand und unterstütze zudem ein Bürgerbegehren gegen die Reform. Die Landesregierung wiederum zog gegen die 40.000 Unterschriften vor das Landesverfassungsgericht. Die Presse schrieb die Pläne in Grund und Boden. Die Reform sei handwerklich schlecht gemacht und werde katastrophal kommuniziert. Der sozialdemokratische SPD-Fraktionschef Matthias Hey sah die rot-rot-grüne Koalition wackeln.
"Und das ist natürlich im Moment schlechtes Wetter; aber auch bei schlechtem Wetter muss man eben mal stehen. Und wenn das wirklich scheitern sollte, dann ist aus meiner Sicht heraus die Koalition auch zu Ende."
Das Ende der Gebietsreform
Die Koalition hat all das durchgestanden; aber die Gebietsreform wurde begraben. Das Landesverfassungsgericht, das die CDU angerufen hatte, erklärte ein Reformgesetz für verfassungswidrig – wegen eines Formfehlers. Die Landesregierung gab also die Kreisreform auf und konzentrierte sich auf Gemeindefusionen. Auch eine kreisfreie Stadt, Eisenach, gab freiwillig die Selbständigkeit auf. Neben großer Enttäuschung machte sich in beiden politischen Lagern aber auch Erleichterung breit: dass das meiste blieb, wie es war. Nun, wenige Monate vor der nächsten Landtagswahl, ist das Thema Gebietsreform schon fast vergessen. Für Matthias Hey aber bleibt:
"Na, ich finde, das bleibt ein sehr wichtiges Projekt dieser Dreier-Regierung; und deswegen bin ich nach wie vor der Überzeugung: Daran werden wir gemessen!"