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Reis, Fleisch und Gemüse

Jährlich findet in der kleinen Stadt Sueca, in der Nähe von Valencia, der große Paella-Wettbewerb statt. Aus den gleichen Zutaten - Reis, Gemüse und verschiedenen Fleischsorten - versuchen die Köche, die beste Reispfanne der Region zuzubereiten: Wie die ideale Paella auszusehen und zu schmecken hat, darüber sind sich die Köche allerdings nicht immer einig.

Von Michael Rohm |
    "Hallo. Wir grüßen euch aus Sueca, einer kleinen Stadt der Provinz Valencia. Wir sind hier beim internationalen Wettbewerb der Paella."

    "Vom Herzen her ist die Paella das Valencianische Gericht. Bei uns ist es so, wenn man sich trifft, mit der Familie, mit Freunden, dann sagt man: Lass uns eine Paella machen. Meine Mutter hat einen kleinen Garten. Dort trifft sich die ganze Familie. Wir kommen zusammen und essen dieses wunderbare Gericht. Hier sagt man entweder: Lass uns treffen und eine Paella machen, oder man sagt: Lass uns eine Paella machen, dann treffen wir uns mal wieder. Es gibt ein Sprichwort bei uns. Es heißt: Die letzte Paella war immer die Beste."

    "Der Reis ist für Valencia nicht nur eine wirtschaftliche Angelegenheit. Er ist Teil unserer Geschichte und Identität. Vor etwa 1200 Jahren brachten die Araber den Reis nach Valencia. Seither gehört er zu unserem Leben, zu unserem Alltag. Der Reis ist außerdem enorm wichtig für den Erhalt des einzigartigen Ökosystems des Naturparks von Albufera, 30 Kilometer südlich von Valencia. Der Süßwassersee ist Aufenthaltsort von zahlreichen Zugvögeln und einigen Wasservögeln, die auf der Liste bedrohter Arten stehen. Und nicht zuletzt der gastronomische Aspekt: Die Gastronomie von Valcencia dreht sich fast ausschließlich um den Reis. 1960 gab es in der Region von Valencia ungefähr 190 reisverarbeitende Betriebe, hauptsächlich Mühlen wie diese hier. Heute sind es noch 16 - ein großer Konzentrationsprozess. Die Mühlen sind moderner geworden, aber der Prozess ist der gleiche wie in den alten Mühlen, man benutzt sogar dieselben Steine wie früher."

    "Die Hälfte der 50 Hektar Felder gehören mir, die andere habe ich gepachtet. Sonst macht es keinen Sinn. Der Reisanbau gibt uns aber nur für sechs Monate Arbeit. Im Winter machen wir andere Arbeiten, wir Pflügen beispielsweise Weizenfelder um, damit wir die Maschine auslasten, so 15 bis 20 Tage. Der Reisanbau ist eine Monokultur. In diesem Naturpark können wir nichts anderes anbauen als Reis. Unser Problem ist: Der Preis für Reis sinkt kontinuierlich. Wir konkurrieren mit Ländern der Dritten Welt, deren Preise wegen der industriellen Produktion niedriger sind. Wir produzieren in einem Naturpark, da gelten andere Regeln. Der Dünger muss biologisch abbaubar sein, wir dürfen nur umweltverträgliche Insektizide anwenden, Auch das erhöht unsere Preise. Sueca hat heute 24.000 Einwohner. Vor 50 Jahren waren es viel mehr. Früher kamen zur Aussaat und zur Ernte noch einmal 50.000 Menschen dazu. Das waren Tagelöhner aus Albacete, aus Alicante. Sie kamen zum Pflanzen, zur Ernte. Alles war Handarbeit. Heute macht diese Maschine, in der wir sitzen alles, was früher die Menschen machten. Die Maschine sät und erntet. Sie verrichtet die Arbeit von vielen, vielen Menschen."

    "Das ist die Pfanne. Sie ist groß und flach und heißt Paella, daher der Name des Gerichts. Zuerst kommt das Öl hinein. Wir kochen eine typische, traditionelle Paella, die Valenciana kochen. Die Zutaten sind Hühnchen, Kaninchen, drei Sorten Bohnen, diese hier, die Garrafón, die dicken weißen, die gibt es frisch oder trocken, die grünen Bohnen sind Ferrarura - diese, mittelbreit und flach - und die etwas rötliche hier heißt Rotjet - eine Sorte, die nur in der Gegend von Valencia wächst. Die Valencianische ist immer gleich. Das Rezept ändert sich nicht, und die Zutaten auch nicht. Jeder Koch hier träumt davon, einen Preis zu gewinnen. Es hat mir immer Freude gemacht, Paella zu kochen. Ich bin ehrgeizig und will, dass die von morgen besser ist, als die von heute. Das will ich. Ich mache das, seit ich acht Jahre alt bin. Mein Vater hat mich mit auf das Feld genommen. Dort musste ich für ihn die anderen Männer kochen. Für die Tagelöhner. Sie arbeiteten hart, und bekamen eine warme Mahlzeit pro Tag. Das habe ich gemacht. Später habe ich sonntags gekocht, und für Freunde. Und dann habe ich im Restaurant angefangen. Diese Arbeit ist für Frauen sehr schwer. Das ist Männerarbeit."

    "Von den 45 Teilnehmern bin ich die einzige Chefin. Es gibt einige Helferinnen, aber bei den Chefs bin ich die einzige Frau. Ich koche auf Ibiza, im Hotel Torre del Mar, aber ich bin von hier, aus Valencia. Schon letztes Jahr war ich dabei. Sie waren von meiner Paella überzeugt. Und dieses Jahr haben sie mich wieder eingeladen.

    "Hier bekommen alle die gleichen Zutaten, und auch die gleiche Menge davon. Olivenöl, Reis der Sorte Bomba, Hühnchen, Kaninchen, die drei Sorten Bohnen, Tomate, ein bisschen Paprikapulver, Zwiebeln, und Rosmarin, wer will. Und daraus macht hier jeder seine Paella, so wie man es selbst für richtig hält. Wir kochen für 15 Portionen, deshalb ist die Pfanne so riesig. Ich nehme weniger Fleisch. Es gibt zehn Preisrichter. Die wählen unter den 45 Paellas die besten fünf aus. Dann probieren alle zehn Preisrichter die letzten fünf und vergeben die Preise. Die Paellas werden anonym verkostet. Die Preisrichter beurteilen den Garpunkt, wie dass Fleisch schmeckt, die Farbe der Paella und das Socarat. Socarat ist der untere Teil der Paella. Wenn der Reis an der Pfanne anhängt, ohne anzubrennen, eine kleine Kruste bildet: Das ist das Beste für uns aus Valencia an der Paella, das Socarat."

    "Bald müssen wir fertig sein. Dann tragen alle 45 Köche mit ihren Helfern die Paella in den Gemeindesaal. Um Punkt zwei Uhr."

    "Ein Geheimnis ist, das Fleisch gut anzubraten - goldbraun. Ein weiterer Schlüsselmoment das Sofrito, ein bisschen geriebene Tomate, ganz wenig Zwiebeln, Paprikapulver, und das alles zusammen mit Gemüse und Brühe gut köcheln lassen. Alles muss gleich wenig Hitze haben. Das Sofrito ist der Schlüssel der Paella."

    "Es ist sehr schwierig herauszufinden, welche der 45 Paellas am besten ist. Für mich ist es wie Lotterie. Hier gibt es viele gute Köche. Das zu bewerten, na ja: Wenn du fünf Köche hast, gibt es fünf Garpunkte. Welcher ist der Beste? Ich weiß es nicht. Ungefähr kann man schon sagen, welche die Beste ist. Aber es ist schwierig."

    "Die wichtigen Kriterien sind der Geschmack und der Garpunkt des Reises. Und wie der Reis den Geschmack der Brühe angenommen hat. Die Brühe macht man aus dem angebratenen Fleisch, Huhn und Kaninchen, und dem Gemüse. Das wird mit Wasser aufgegossen und köchelt mit dem Reis ein. Nicht zu vergessen das Soffrito. Am wichtigsten aber sind die Textur vom Reis und sein Geschmack. Wir Preisrichter vergeben Punkte für alle Kriterien, die ich genannt habe, von ein bis zehn. Die Zehn vergeben wir so gut wie nie. Es gibt schließlich immer noch eine Paella, die besser ist. Jede Paella ist anders, obwohl alle die gleichen Zutaten verwenden. Es hängt viel vom Moment ab."

    "Manche machen es gut, manche nicht. Ich kenne mich aus, denn ich bin Paellero. Schon seit ich klein bin."

    "Alle, die hier teilnehmen, sind erfahrene Köche. Sie haben Restaurants, in denen die Paella die Hauptrolle spielt. Sie sind alle gut. Aber hier gibt es eine besondere Situation: Alle müssen die Paella unter freiem Himmel kochen, und zwar mit Holzfeuer. Also, man muss auch gut wissen, wie man mit dem Feuer arbeitet. Wie macht man mehr Hitze, wie weniger. Das ist eine hohe Kunst, und viele wissen nicht, wie das geht."

    "Am wichtigsten sind Brühe und Feuer. Wenn das Feuer gut verteilt ist, klappt alles. Dann muss noch die Brühe stimmen, und gut ist es. Solange man Fleisch und Gemüse kocht, kann man immer noch Wasser zugeben. Wenn der Reis drin ist, geht das nicht mehr. Dann muss alles noch eine Viertelstunde köcheln und der Reis ist gut.

    "Fast alle sehen gut aus, bevor sie fertig sind. Später wissen wir mehr. Ob die Körner hart sind oder zu weich oder genau richtig. Man muss sie probieren, dann weiß man, ob der Reis gelungen ist."

    "Siehst du das Reiskorn? Wenn es anfängt, sich zu öffnen, hier, genau an dieser Stelle, dann ist es soweit. Dieser Paella, der fehlen noch zwei, drei Minuten. Diese hier, die ist gut, sieh dir die Körner an. Sie haben sich geöffnet. Die sind gar."

    "Nein, nein, das ist eine Lüge: kein Rosmarin. Die Paella Valenciana hat Bohnen und ein bisschen geriebene Tomaten, Safran. Fertig. Und das Fleisch. Alles andere ist dummes Zeug. Rosmarin oder so. Es gibt welche, die geben kleine Fleischbällchen dazu. Alles dummes Zeug. Hühnchen, Kaninchen."

    "Eine gute Paella ist eine Kunst, wenn sie gut gemacht ist. Ansonsten ist es halt ein Reis, wie wir sagen. Ich habe es von meiner Mutter gelernt. Es ist das Leben von früher, nicht von heute. Die Leute haben sich verändert: Keiner will mehr arbeiten. Sie kaufen die Paella fertig, aus der Dose. Sie machen sie heiß und fertig."

    "Und jetzt: Dass der Beste gewinne. Das Wichtigste ist mitzumachen. Wir sind alle gute Köche."

    "Die Köchin vom Hotel Torre de Mar gewinnt den Sonderpreis der Jury."

    "Und jetzt, meine Damen und Herren, der erste Preis für die beste Paella der Welt. Er geht an die Köche des Restaurant Chus Godoy, aus Valencia."

    "Es gibt nur ein Geheimnis einer guten Paella: Frische Produkte und viel Spaß beim Kochen."