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Reise in die Hölle

Der Roman des syrischen Schriftstellers Fawwaz Haddad erzählt die Geschichte eines Vaters, der seinen Sohn 2006 davon abhalten möchte, für Al Kaida im Irak zu kämpfen. Die Beschreibung könnte auch auf das heutige Syrien passen.

Von Larissa Bender | 19.07.2013
    In einer Zeit, in der die syrische Bevölkerung in einem Blutbad zu ertrinken droht, erscheint ein syrischer Roman auf Deutsch, in dem der Autor das Grauen in seinem Heimatland auf gespenstische Weise vorwegzunehmen scheint.

    Sunniten gegen Schiiten, Araber gegen Kurden, Kurden gegen Turkmenen, alle gegen alle. In diese Konflikte griffen Amerikaner und Engländer, Iraner, Türken und arabische Nachbarstaaten ebenso ein wie die Geheimdienste westlicher Staaten und der Mossad.

    Was sich hier anhört wie das Szenario der Situation in Syrien, beschreibt tatsächlich die Lage im Irak im Jahr 2006, drei Jahre nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein. In seinem ersten Roman in deutscher Übersetzung, der im März unter dem Titel "Gottes blutiger Himmel" im Aufbau Verlag erschien, verlegt der berühmte syrische Schriftsteller Fawwaz Haddad den Schauplatz der Ereignisse in den Irak.

    Es mutet geradezu prophetisch an, wenn Haddad beschreibt, wie täglich Leichen aus Flüssen und Sümpfen geborgen, unter Brücken, auf Müllplätzen und in Abfallhaufen gefunden werden, denn als der Autor in Damaskus an dem Roman arbeitete, war Syrien zwar eine die gesamte Bevölkerung überwachende Diktatur, aber kein Kriegsschauplatz. Dass nur drei Jahre nach Erscheinen des Romans eine solche Grausamkeit auch in Syrien freigesetzt würde und sich ähnliche Szenen abspielen könnten - wenn auch unter vollkommen anderen Vorzeichen -, lag damals fernab jeder Vorstellung.

    Prophetisch ist der Text auch, was die Rolle und den Einfluss radikaler Islamisten in der arabischen Welt betrifft. Denn die Gruppierungen, die für schrecklichste terroristische Anschläge weltweit verantwortlich sind und den Irak in eine Hölle verwandelten, versetzen nun - zusätzlich zu den Kräften des syrischen Regimes - auch die syrische Bevölkerung in Angst und Schrecken.

    Doch worum geht es in diesem Roman, der 2011 auf der Shortlist des arabischen Booker-Preises stand?

    Ein junger Syrer, Sohn eines bekennenden Atheisten, gerät in den Dunstkreis radikaler Islamisten. Als der Vater durch den syrischen Geheimdienst erfährt, dass der Sohn sich in den Irak aufgemacht hat, um sich der islamistischen Terrororganistion Al Kaida anzuschließen, beschließt der Vater, alles daran zu setzen, seinen Sohn zurückzuholen.

    Was folgt, ist eine Reise in die Hölle. Im Jahr 2006, drei Jahre nach der US-Invasion in den Irak, versinkt das Land in einem wahren Blutrausch. Was der Protagonist mit eigenen Augen sieht und hört, ist so grausam, dass er über all den schrecklichen Ereignissen sein Gedächtnis verliert - verlieren will.

    Als ihm jedoch bewusst wird, dass sein Gedächtnisverlust ihn auch um seine Zukunft bringt, versucht er sich mittels aus dem Irak an seine Freundin geschriebener E-Mails wieder zu erinnern. An diesem Prozess lässt der Autor den Leser teilhaben, und es rollen sich vor seinen Augen nicht nur die grauenhaften Erlebnisse im Irak auf, sondern es entfaltet sich gleichermaßen die Person des Vaters und die Geschichte einer gebildeten syrischen Mittelstandsfamilie und ein schrecklicher Generationenkonflikt.

    Der Vater, Anfang fünfzig und in den siebziger Jahren Verfechter linksradikaler Ideologien, der sich - theoretisch - mit Waffengewalt von dem totalitären Regime in seinem Land hatte befreien wollen, zog sich in dem Bewusstsein, die Welt doch nicht verändern zu können, enttäuscht von der Politik zurück. Doch "grenzenlos" so erinnert er sich, "wurde unsere Enttäuschung erst, als die Realität surreal wurde und wir uns in eine gänzlich unbekannte Situation geworfen sahen: die Lenin'sche Frage: was tun? wurde plötzlich von Turban tragenden Scheichs beantwortet".

    Der gelernte Jurist begann sich der Erforschung der radikalislamischen Strömungen zu widmen und war deshalb umso entsetzter, als er erfuhr, dass sein eigener Sohn sich genau jenen Radikalislamisten angeschlossen hatte. "Der blanke Hohn war", so berichtet er, "dass er dabei meinen verunglückten Weg mit demselben Ziel - der Rettung der Welt - weiterging. Er wollte sie nur vor etwas ganz anderem retten: der dschahiliya, ihrer Bezeichnung für ein Leben im Unglauben."

    Warum Fawwaz Haddad als Schauplatz für die grausame Austragung dieser Konflikte der Ideologien den Irak wählte, erklärt er so:

    "Als die amerikanische Invasion in den Irak begann, hielt ich das für ein einschneidendes Ereignis für die gesamte Region, denn zum ersten Mal kehrte der Kolonialismus in Form von Armeen zurück. Das Besondere war ja auch, dass Al Kaida in den Irak kam, und zwar in der Person von Abu Musab al-Zarqawi, und ich glaubte, dass dieser Zusammenprall von Amerikanern und extrem fundamentalistischen Gruppierungen ein ganz wichtiges Ereignis sein würde."

    Folgerichtig beschreibt Haddad nicht nur die Grausamkeiten, zu denen dschihadistische Kämpfer fähig sind, sondern genauso die brutalen Aktionen amerikanischer christlicher Missionare sowie von US-Soldaten, ohne indes ein pauschales Bild der Amerikaner zu zeichnen.

    Der 1947 in Damaskus geborene Fawwaz Haddad bettet in seinem spannenden Roman, der sich stellenweise wie ein Krimi liest und von Günther Orth hervorragend übersetzt wurde, geschickt das Schicksal einzelner Personen in den historischen Kontext des Nahen Ostens ein.

    Das Buch mag zwar nichts für zarte Gemüter sein, gleichwohl ist es hochaktuell, und dies nicht zuletzt, weil sich derzeit auch in Deutschland Meldungen über junge radikalisierte Islamisten mehren, die in den Dschihad ziehen - dieses Mal nach Syrien. Deren Väter werden sicher die gleiche Machtlosigkeit empfinden und sich schuldig fühlen wie der Held dieses Romans.

    Angesichts der Entwicklungen in Syrien hat der Autor Fawwaz Haddad seine Heimat verlassen. Er lebt jetzt in Katar und arbeitet dort an einem neuen Roman. Auf die Frage, woher seiner Meinung nach diese Gewaltexzesse im Irak und nun auch in Syrien kommen, sagt Haddad:

    "Ehrlich gesagt bereitet mir diese Frage wirklich schlaflose Nächte, besonders, weil so etwas nun in unseren Ländern passiert. Betrachten wir einmal den Ersten und den Zweiten Weltkrieg! Es gab schreckliches Leid, etwa als die deutsche Armee in Russland einmarschierte, Massaker verübte und Angst und Schrecken verbreitete. Da fragt man sich auch, woher dieser Hass bei den Menschen kommt. Es hat den Anschein, dass der Krieg das Tierische im Menschen entfesselt ... Was im Irak geschah und jetzt vielleicht in Syrien, liegt in der Natur des Menschen. Man versucht es einzugrenzen, durch Religionen, Regierungen, aber es scheint doch, dass der Mensch, wenn er die Möglichkeit dazu hat, die grausamsten Verbrechen begeht."

    Mit dem Erscheinen des neunten Romans einer der wichtigsten syrischen Schriftsteller auf Deutsch scheint sich einmal mehr zu bestätigen, dass es die politischen Ereignisse sind, die das Interesse an arabischer Literatur bei deutschen Verlegern eher zu wecken vermögen als die Literatur selbst. Im Hinblick auf die Lage in Syrien kann man deshalb hoffen, dass der Verlag sich noch weiteren Werken dieses großartigen Autors annimmt.


    Fawwaz Haddad: "Gottes blutiger Himmel". Aus dem Arabischen von Günther Orth. Aufbau Verlag, 352 Seiten, 22,99 Euro.