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Reisen als Psychotrip

Reisen kann wirken wie eine Therapie. Das fand Bettina Graf von der TU Berlin in ihrer Dissertation heraus, die mit dem Wissenschaftspreis der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft ausgezeichnet wurde. Insbesondere zur so genannten Gestalttherapie gibt es Parallelen: Ein Reisender erlebt eine neue Umwelt und muss sich neuen Herausforderungen stellen, und das spielt auch in der Gestalttherapie eine große Rolle.

    Kaum sind die letzten Hausarbeiten abgegeben, grassiert das Fernweh an Deutschlands Universitäten. Doch im Gegensatz zu ihren Eltern zieht es Studenten nur selten pauschal nach Palma de Mallorca. Auch Studiosus-Bildungsreisen sind den meisten Studierenden eher ein Gräuel. Sie setzen sich lieber in chronisch unpünktliche und klapprige Busse, um in Ägypten von Oase zu Oase zu reisen. Oder kämpfen sich mit schwerem Gepäck auf dem Rücken durch die unwegsamen Bergpfade der Anden. Schließlich soll der Urlaub mehr bringen als bloße Erholung von Lernstress und WG-Streitigkeiten.

    Wenn ich eine richtig weite Reise mache, dann ist das Wichtigste am Reisen, dass ich wissen möchte, wie die Welt anderswo aussieht, wie die Menschen dort sind, das Leben, die Natur.

    Christa Roghmanns ist eine eingefleischte Rucksackurlauberin. Auch Bettina Graf, die in Berlin Psychologie studierte, reiste monatelang auf eigene Faust durch die Welt. Unterwegs erforschte sie für ihre Doktorarbeit das Seelenleben der Traveler:

    Bei den Travelern ist das so, dass sie die Spannung und das Abenteuer suchen und dass sie häufig ihren Alltag als zu monoton erleben, zu langweilig, vielleicht zu wenig mit Höhepunkten durchsetzt. Diese Art von Reise ist ein gewisser Höhepunkt im Leben, wo einfach mal etwas ganz Besonderes passieren soll und wo man viel erlebt.

    Auf manche Erlebnisse würden allerdings auch hartgesottene Abenteurer lieber verzichten. Juckende Sandflohstiche lassen die romantische Vollmond-Nacht am Strand schnell vergessen. Und wer sieht schon gerne zu, wie ein zähnefletschender Waran die nagelneue Fototasche verspeist? Auch die Kontakte mit den einheimischen Uniformträgern lassen so manchen Reisenden erschauern. Christa Roghmanns erinnert sich:

    Ich bin mit einer Freundin von Chile nach Bolivien in die Wüste gefahren. Wir hatten vorher nachgefragt, ob es besondere Formalitäten bei der Grenzüberschreitung gibt. Da hieß es nur: kein Problem, kein Problem. Nach drei Tagen in Bolivien fuhren wir mit der Fähre über den Titicacasee. Plötzlich waren da ominöse Soldaten oder Polizisten, die wollten den Ausweis sehen. Und dann hieß es plötzlich: Ihr seid ja illegal.

    Für Christa Roghmanns wurde die beschauliche Bootsfahrt so zum Psychotrip. Doch die nervlichen Strapazen waren nicht umsonst. Davon ist zumindest Bettina Graf überzeugt. Denn sie hat in ihrer Dissertation herausgefunden, dass Reisen ähnlich wirken kann wie eine Psychotherapie. Genau genommen wie eine Gestalttherapie.

    In der Gestalttherapie experimentiert man viel mit neuem Verhalten. Man begibt sich in neue Situationen, meist neue soziale Situationen, wo man sich neu ausprobiert und dadurch auch neues Verhalten lernt. Man weicht also der Angsterregung nicht aus, sondern sucht sie bewusst und versucht, hindurchzugehen und sich dadurch weiterzuentwickeln. Das ist ein Prozess, der gerade bei Travelern, die sich in einer fremden Umwelt durchsetzen müssen, auch auftritt.

    In der Gestalttherapie werden neue Verhaltensweisen im Rollenspiel erprobt. Anders beim Reisen: Hier probt man immer gleich den Ernstfall, wie Christa Roghmanns in Bolivien:

    Dann stellte sich heraus, dass man sich am Grenzübergang einen Touristeneingangsstempel hätte holen müssen. Dann sind wir da noch mal hin und hatten schon Angst, dass wir ins Gefängnis müssten oder Tausende von Dollar Strafe zahlen. Aber wir waren dann ganz lieb und haben uns dumm gestellt und mussten dann gar nichts zahlen.

    Also doch alles halb so wild. Und die unfreiwillige Gestalttherapie hat trotzdem gewirkt: Mit bolivianischen Grenzbeamten weiß Christa Roghmanns nun umzugehen. Aber bringen Psychotrips im Urlaub denn auch etwas für den Alltag in Deutschland? Christa Roghmanns glaubt, dass die Wirkung nicht von langer Dauer ist: Vielleicht regt man sich nicht so sehr auf. Aber wenn man wieder zurück ist in der eigenen Welt in Deutschland, dann hat man wieder die eigenen Bezugspunkte und dann regt man sich doch wieder schnell über Dinge auf

    Eigentlich schade. Manchmal hilft aber ein kleiner Psychotrick, damit die Kurztherapie im Urlaub doch noch länger nachwirkt. Bettina Graf:

    Was man da tun kann? Versuchen, sich wirklich bewusst zu machen, was sich verändert hat. Vielleicht ist es gut, sich aufzuschreiben, was für Erfahrungen man gemacht hat, ein Tagebuch zu führen und sich bewusst zu überlegen, wie man das in seinen Alltag integrieren kann, und sich klar darüber sein, dass es eben nicht von alleine geschieht.

    Autorin: Monika Wimmer