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Religiöser Fundamentalismus?

Henrik Ibsens Pfarrer Brand opfert seinem menschenfeindlichen Prinzip des Gottgehorsams alles: Die Frau, das Kind, ja selbst die eigene Mutter lässt er in ihrer Sterbestunde allein, weil sie nicht hundertprozentig seinen religiösen Forderungen folgt. Gewiß, Ibsen hat mit grobem Strich gezeichnet und vieles übertrieben, aber diese wahnhafte Hundertprozentigkeit einiger weniger macht immer noch und immer wieder sehr vielen das Leben zur Hölle. Der Regisseur Thomas Langhoff hat das neuerdings wieder vermehrt gespielte Ibsen-Stück am Münchner Residenztheater inszeniert.

Von Sven Ricklefs |
    Brand: " Gibst alles du, doch nicht dein Leben, so wisse, du hast nichts gegeben. "

    Opferbereitschaft bis zur notwendigen Selbstaufgabe. Das ist das Credo von Ibsens Figur Brand, keine Halbheiten, keine Kompromisse. Glauben, Leiden, Verantworten, und dies in letzter Konsequenz. "Alles oder nichts" lautet die Devise, der sich der eifernde Pastor selbst unterwirft, doch mit sich selbst zugleich auch die gesamte Umwelt. Und die ist klein - wie sie Henrik Ibsen im sprühenden Hass auf die eigenen Landsleute in philosophisch schwangeren Umbruchszeiten 1866 beschrieb, immerhin lagen die Gedankenwelten von Kierkegaard, Nietzsche und Marx in der Luft. Klein ist diese Umwelt, im wahrsten Sinne des Wortes: kleinkrämerisch auf den nahe liegenden Vorteil bedacht, kleinmütig in der eigenen Angst gefangen, kleingeistig vor sich hinfrömmelnd, heimelig und kollektiv. Kein Wunder, dass man sich schützen muss.

    Ejnar: " Brand, du bist krank. "
    Brand: "Nicht ich bin's, unsere lasche Zeit ist es, die nach Heilung schreit. Ihr wollt nur lachen lieben spielen ein wenig glauben ein bisschen fühlen, all eure Laster packt ihr auf den, der - wie man euch gelehrt - einst kam, und das Gericht fromm auf sich nahm. Ihm die Dornenkrone, euch der Spaß. "

    Die Lauwarmen hat schon Christus selbst jene genannt, die von allem immer nur ein bisschen und nichts bis in die Konsequenz zu leben bereit sind, und so entbehrt das Unbedingte von Brand, dem hochmütigen und unbeugsamen Pastor, nicht einer gewissen wenn auch unheimlichen Faszination. Doch seinem unbedingten Willen fehlt das und muss das fehlen, was das Zentrum der Menschlichkeit ist, das Herz, die Liebe. Wohl deshalb hat Henrik Ibsen sein Stück in der unwirtlichen und lebensfernen Welt der Gletscher angesiedelt und wohl deshalb wird auch das Bild der Münchner Inszenierung von Thomas Langhoff dominiert von dieser eisigen Gletscherwelt, deren weiße Zunge bis in die unbehauste Wohnstatt des Pfarrers reicht.

    Hier wird er schließlich über die Opfer seines letztlich gnadenlosen Willens steigen: über die eigene Mutter, der er das letzte Sakrament verweigert, über den eigenen kleinen Sohn, den nur eine Flucht aus der lebensfeindlichen Bergwelt hätte retten können, und: er steigt über die eigene Frau hinweg, die den Tod des Kindes nicht verwinden kann. Dass dieser Brand, der immerhin sich anmaßt zu sagen: Der Humanismus ist der Feind Gottes", trotzdem in seiner humanen Dimension in München erfahrbar bleibt, ist sicherlich dem Schauspieler Stefan Hunstein zu verdanken. Er fächert seine Figur in viele Nuancen auf, die zwischen den aufkeimenden Zweifeln und trotz aller Härte noch jene Gefühlswelten erkennen lassen, die diesen Brand doch noch zu dem machen, was er im Grunde doch ist, zu einem Menschen. Damit umgeht die Münchner Produktion aber auch die Gefahr, Brand als reinen Fanatiker zu denunzieren oder schlimmer noch: ihn gleichsam im kurzen Aktualitätssprung als das Zerrbild eines modernen Gotteskriegers direkt auf die Bühne zu holen. Trotzdem scheint es, als hätten sich diesmal jene Fähigkeiten, die Thomas Langhoff manchmal noch immer zu einem Meister der leisen Bühnenpsychologie machen, als hätten sich diese Fähigkeiten des Regisseurs in der Arbeit mit Stefan Hunstein erschöpft. Vor allem die Frauenfiguren wirken neben ihm zumeist wie in den Gefühlkitsch, die Gefühlskälte oder den Gefühlsirrsinn geführte Karikaturen ihrer selbst, trotz dankenswerte Textkürzungen klappern zudem die Verse zeitweise unerträglich, die Volksszenen wirken wie aus dem Holzbaukasten und schlimm wird’s, wenn in diesem ohnehin symbolträchtig beladenen Stück immer wieder der Gletscher herhalten muss, um zu demonstrieren, wie der Mensch hilflos in den Beschwerlichkeiten des Lebens herumklettert. Und so entlässt diese Neuinszenierung eines selten gespielten dabei durchaus diskutablen Ibsen-Dramas dann doch wieder mit Zweifeln an ihrer Notwendigkeit.