Sygne, im Französischen drängen sich als Bedeutungen die Homonyme "Schwan", vor allem aber auch "Zeichen" auf, tritt im schlichten weißen Kleid auf, Pensée die blinde Enkelin ganz in schwarz: Sie ist "Gedanke", Kind einer Jüdin und der Aufklärung, aber auch ein letztes Aufbäumen einer untergehenden Spiritualität.
Paul Claudel hatte die Stücke "Die Geisel", "Das harte Brot" und "Der Erniedrigte" ursprünglich gar nicht als Trilogie gedacht, dann aber im Prozess ihrer Entstehung gar den Plan einer Tetralogie gefasst, die er allerdings nicht zum Abschluss brachte. So kohärent ist also auch das dramatische Material nicht, das Regisseur Stefan Bachmann hier unter dem Titel "Die Gottlosen" zusammenbringt und mit dem Untertitel "Eine Familiensaga" versieht. Nicht kohärent genug, um an ihm den Untergang des Ancien Régime und den des französischen Adels, die Republik der Kaufleute und die Herrschaft des Geldes, das Aufkommen der europäischen Nationalstaaten, die Krise des Papsttums, den epochalen Werteverlust und den Triumph der Technik als die Geschichte einer Familie zu erzählen.
Wacker spielen die Schauspieler gegen die Charaktermasken an, die im Claudelschen Figureninventar angelegt sind, allen voran Peter Kurth. Der korpulente Akteur spielt den Turelure, den wir hier getrost auch mit Tirelire, also dem französischen Sparschwein in Verbindung bringen dürfen, einen Mann aus einfachen Verhältnissen, dem die französische Revolution und der Napoleonismus zu einer überraschenden Karriere und später auch zu ungeahntem Reichtum verhilft. Ihm gesteht der Regisseur in seiner sehr nüchternen Inszenierung die stärksten Gegenwartszeichen zu: Gekleidet in eine Uniform, die entfernt an die Grande Armee erinnert, kommt er mit großen Tüten von Modehäusern von Hermès, Yves Saint Laurent und anderen nach Hause zurück und kleidet seine Frau Sygne neu ein. Die Ehe mit ihr hatte sich der Präfekt erpresst, und Sygne hatte dem zugestimmt, um den von ihr und einem entfernten Verwandten versteckt gehaltenen Papst nicht zu gefährden. Auch ist die Ehe für die gläubige Sygne mehr als nur eines der katholische Sakramente.
Bei Claudel ist Liebe ohne Opfer undenkbar, scheint in den großen Frauenfiguren immer auch die Vorstellung durch, dass das religionsstiftende Martyrium Christi nicht als alleiniges Beispiel des Leidens aus der Geschichte auf die Christen kommt, sondern in Akten der Caritas, der sich opfernden Liebe ständig erneuert wird. Bis in den Tod, wenn sich Sygne einer Kugel in die Bahn wirft, die ihren Mann hätte treffen sollen.
Ein solches Verständnis von der Rolle der Frau kollabiert heftig mit der modischen und soften Rückbesinnung auf christliche Werte unserer Tage. Vielleicht zettelt Claudel, der Vertreter des Renouveau Catholique aus einer anderen Zeit eine etwas radikalere, etwas fundamentalistische Revolte an, als Stefan Bachmann lieb war. Er will gegen den Sinnverlust vorgehen und entdeckt im französischen Klassiker einen katholischen Rebell, inszeniert aber nur in der ersten halben Stunde einen Diskurs am Kreuz und lässt seine Inszenierung dann dahin gleiten, wohin es sie mit wankenden ästhetischen Präferenzen treibt: Turelures Tod wird zu einer urkomischen Lachnummer, das Geschacher der neuen Geldmacher eine Orgie mit angedeuteten Blow-Jobs, der lyrische Beginn des in Rom spielenden "Erniedrigten" wird läppisch vertändelt, wenn sich die Akteure zu einen Gruppenbild zusammenstellen und auf der Stelle tänzeln.
Nur ein starkes Bild vom Anfang bleibt: Da hatten die Akteure bei ihrem ersten Auftritt auf die anthrazitfarbenen Paneelen, aus denen das nur eben eine karge Rahmung liefernde Bühnenbild besteht, mit Kreide einen silhouettenartigen Schattenumriss gezeichnet und sich in diese Kontur gestellt. Sie hatten ihren eigenen Zeichencharakter dokumentiert und das Konzeptionelle und Allegorische dieses Theaters. Dabei hätte es ebenso bleiben sollen wie bei dem leicht überhöhten Ton, mit dem man zunächst die offenen Verse sprach, die Herbert Meier wirkungsvoll neu übersetzt hat. Vielleicht hätte sich aus dieser fremden Welt dann eine Denkhilfe für unsere heutigen Probleme ergeben. Dass sich schon im 19. Jahrhundert das Eigentumsrecht im neuen Nutzungsrecht auflöst, hat Claudel schon früh beklagt. Was das aber für seine zentralen Figuren bedeutet und was ihnen zustößt, wenn die Epoche ihnen das nimmt, was ihnen eigentümlich ist - nämlich ihre spirituelle Heimat - lässt Bachmann kaum ahnen und rumort höchstens bei Claudel in einem schillernd bedrohlichen Fundamentalismus. Das Treffen der Beiden sieht aus wie ein Missverständnis. Deshalb wissen wir auch nach fünf langen Stunden und einer Trilogie über die Gottlosigkeit immer noch nicht, was uns verloren gegangen ist, und sind auch nicht sicher, ob wir es wiederhaben wollen.
Paul Claudel hatte die Stücke "Die Geisel", "Das harte Brot" und "Der Erniedrigte" ursprünglich gar nicht als Trilogie gedacht, dann aber im Prozess ihrer Entstehung gar den Plan einer Tetralogie gefasst, die er allerdings nicht zum Abschluss brachte. So kohärent ist also auch das dramatische Material nicht, das Regisseur Stefan Bachmann hier unter dem Titel "Die Gottlosen" zusammenbringt und mit dem Untertitel "Eine Familiensaga" versieht. Nicht kohärent genug, um an ihm den Untergang des Ancien Régime und den des französischen Adels, die Republik der Kaufleute und die Herrschaft des Geldes, das Aufkommen der europäischen Nationalstaaten, die Krise des Papsttums, den epochalen Werteverlust und den Triumph der Technik als die Geschichte einer Familie zu erzählen.
Wacker spielen die Schauspieler gegen die Charaktermasken an, die im Claudelschen Figureninventar angelegt sind, allen voran Peter Kurth. Der korpulente Akteur spielt den Turelure, den wir hier getrost auch mit Tirelire, also dem französischen Sparschwein in Verbindung bringen dürfen, einen Mann aus einfachen Verhältnissen, dem die französische Revolution und der Napoleonismus zu einer überraschenden Karriere und später auch zu ungeahntem Reichtum verhilft. Ihm gesteht der Regisseur in seiner sehr nüchternen Inszenierung die stärksten Gegenwartszeichen zu: Gekleidet in eine Uniform, die entfernt an die Grande Armee erinnert, kommt er mit großen Tüten von Modehäusern von Hermès, Yves Saint Laurent und anderen nach Hause zurück und kleidet seine Frau Sygne neu ein. Die Ehe mit ihr hatte sich der Präfekt erpresst, und Sygne hatte dem zugestimmt, um den von ihr und einem entfernten Verwandten versteckt gehaltenen Papst nicht zu gefährden. Auch ist die Ehe für die gläubige Sygne mehr als nur eines der katholische Sakramente.
Bei Claudel ist Liebe ohne Opfer undenkbar, scheint in den großen Frauenfiguren immer auch die Vorstellung durch, dass das religionsstiftende Martyrium Christi nicht als alleiniges Beispiel des Leidens aus der Geschichte auf die Christen kommt, sondern in Akten der Caritas, der sich opfernden Liebe ständig erneuert wird. Bis in den Tod, wenn sich Sygne einer Kugel in die Bahn wirft, die ihren Mann hätte treffen sollen.
Ein solches Verständnis von der Rolle der Frau kollabiert heftig mit der modischen und soften Rückbesinnung auf christliche Werte unserer Tage. Vielleicht zettelt Claudel, der Vertreter des Renouveau Catholique aus einer anderen Zeit eine etwas radikalere, etwas fundamentalistische Revolte an, als Stefan Bachmann lieb war. Er will gegen den Sinnverlust vorgehen und entdeckt im französischen Klassiker einen katholischen Rebell, inszeniert aber nur in der ersten halben Stunde einen Diskurs am Kreuz und lässt seine Inszenierung dann dahin gleiten, wohin es sie mit wankenden ästhetischen Präferenzen treibt: Turelures Tod wird zu einer urkomischen Lachnummer, das Geschacher der neuen Geldmacher eine Orgie mit angedeuteten Blow-Jobs, der lyrische Beginn des in Rom spielenden "Erniedrigten" wird läppisch vertändelt, wenn sich die Akteure zu einen Gruppenbild zusammenstellen und auf der Stelle tänzeln.
Nur ein starkes Bild vom Anfang bleibt: Da hatten die Akteure bei ihrem ersten Auftritt auf die anthrazitfarbenen Paneelen, aus denen das nur eben eine karge Rahmung liefernde Bühnenbild besteht, mit Kreide einen silhouettenartigen Schattenumriss gezeichnet und sich in diese Kontur gestellt. Sie hatten ihren eigenen Zeichencharakter dokumentiert und das Konzeptionelle und Allegorische dieses Theaters. Dabei hätte es ebenso bleiben sollen wie bei dem leicht überhöhten Ton, mit dem man zunächst die offenen Verse sprach, die Herbert Meier wirkungsvoll neu übersetzt hat. Vielleicht hätte sich aus dieser fremden Welt dann eine Denkhilfe für unsere heutigen Probleme ergeben. Dass sich schon im 19. Jahrhundert das Eigentumsrecht im neuen Nutzungsrecht auflöst, hat Claudel schon früh beklagt. Was das aber für seine zentralen Figuren bedeutet und was ihnen zustößt, wenn die Epoche ihnen das nimmt, was ihnen eigentümlich ist - nämlich ihre spirituelle Heimat - lässt Bachmann kaum ahnen und rumort höchstens bei Claudel in einem schillernd bedrohlichen Fundamentalismus. Das Treffen der Beiden sieht aus wie ein Missverständnis. Deshalb wissen wir auch nach fünf langen Stunden und einer Trilogie über die Gottlosigkeit immer noch nicht, was uns verloren gegangen ist, und sind auch nicht sicher, ob wir es wiederhaben wollen.