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Religion in der Kita
Hauptsache Glauben

Muslimische Eltern melden ihre Kinder bewusst in katholischen Einrichtungen an, das ist die Erfahrung einer Kita-Leiterin in Berlin. Denn sie legen Wert darauf, dass ihre Kinder Religion im Kindergarten erleben können. Ein Kita-Besuch in den letzten Adventstagen.

Von Claudia van Laak | 21.12.2016
    Zwei Mädchen basteln Weihnachtsdekoration.
    Die Kinder entdecken mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den Religionen. (Imago)
    Dorota Pawlacek sitzt auf dem Fußboden, einen Gong in der Hand. Vor der Kitaleiterin ein Adventskranz, an dem drei Kerzen brennen. An diesem Nachmittag hat der katholische Kindergarten St. Richard auch die Eltern zum Adventssingen eingeladen.
    "Die Texte sind da. Gucken Sie mal, Sie können sich dazusetzen. Nein? Okay, alles klar."
    Ercan Utkubas schüttelt den Kopf. Nein, er möchte sich nicht in die erste Reihe gemeinsam mit den anderen Eltern setzen, er bleibt lieber im Hintergrund. Die Weihnachtslieder summt er leise mit.
    "Oh Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter….."
    Ercan Utkubas holt an diesem Nachmittag seine zwei Töchter Ella und Melis aus der Kita St. Richard ab. Eine katholische Einrichtung mit 60 Kindern, in der 12 verschiedene Muttersprachen durch die Luft schwirren. Vietnamesisch, serbisch, russisch, türkisch, arabisch. Etwa ein Drittel der Kinder stammt aus muslimischen Familien.
    "Die Kinder sollen das lernen, was die Christen feiern und was wir feiern, die Moslems. Die lernen das und später können sie dann selber entscheiden, was sie machen. Wenn sie alt genug sind", sagt Ercan Utkubas, der türkische Wurzeln hat und sich selber als toleranten Muslim bezeichnet. Er trinkt zwar keinen Alkohol und isst kein Schweinefleisch, aber er betet nicht und ignoriert den Ramadan. Seiner fünfjährigen Tochter Melis gefällt es in der katholischen Kita, deshalb hat die Familie auch die zweijährige Ella in St. Richard angemeldet.
    Muslimische Eltern melden ihre Kinder bewußt in katholischer Kita an
    "Die Kinder wachsen ja sowie so im Allgemeinen in der Schule oder im Kindergarten mit deutschen Kindern zusammen auf, und deswegen finde ich es auch okay, dass sie zusammen Weihnachten und Ostern feiern, St. Martin hatten wir letztens gehabt, Laternenfest. Ich sehe das einfach relativ locker."
    "Sehr viele muslimische Eltern melden ihre Kinder bewusst in katholischen Einrichtungen an, weil sie Jesus als Prophet anerkennen und die Geschichte von Jesus einfach auch in ihrer eigenen Religion haben und haben nichts dagegen, dass die Kinder davon erfahren." So ist die Erfahrung von Kindergartenleiterin Dorota Pawlacek. "Die legen sogar noch mehr Wert darauf, dass die Kinder die Religion in der Kita erleben können."
    Konflikte wegen der Religion? Dorota Pawlacek streicht über das kleine goldene Kreuz, das um ihren Hals hängt, denkt kurz nach. Einmal sei ein muslimischer Vater weggegangen, nachdem sie ihm die Regeln ihrer katholischen Einrichtung erklärt hatte. Vor dem Essen beten wir, aber niemand wird gezwungen, das Kreuzzeichen zu machen, sagt die gebürtige Polin.
    "Ich habe nur einmal erlebt, dass ein Kind gesagt hat, ein Kreuzzeichen gehört nicht zu uns, hat mit uns gebetet und hat die Hände offen nach oben gehalten. Das war völlig in Ordnung. Von allen akzeptiert, von allen mitgetragen, überhaupt kein Problem."
    Von Berlin-Neukölln in den Bezirk Wedding. Adventskaffee in der katholischen Kita St. Robert. 60 Kinder, 20 Muttersprachen, viele Eltern aus Schwarzafrika, aber auch aus dem Libanon, Syrien, der Türkei. Ayse Yilmaz holt gerade ihren Sohn Ömer ab, richtet ihr schwarzes Kopftuch. Natürlich wird bei uns Weihnachten gefeiert, sagt die Muslima, die ihr Lehramtsstudium fast beendet hat.
    "Ich kenne das aus meiner Familie, dass wir wirklich schon früh Weihnachten gefeiert haben, auch Geschenke bekommen haben. Einen Weihnachtsbaum gibt es bei uns von Jahr zu Jahr. Ich muss gestehen, am Anfang war es ein Kunstbaum, aber irgendwann haben wir uns auch davon verabschiedet."
    "Das sind Menschen, die glauben"
    Ayse Yilmaz hat ihren Sohn Ömer in St. Robert angemeldet, weil ihre Schwester gute Erfahrungen gemacht hat mit diesem katholischen Kindergarten. Ich habe kein schlechtes Gewissen, meinen Sohn hier morgens abzugeben, sagt sie, es fühlt sich nicht an wie Kindergarten.
    "Das ist ein bisschen wie ein Stück Familie. Ein Wir-Gefühl, das gibt mir die Sicherheit. Weil ich genau weiß, okay, das sind Menschen, vielleicht glauben sie an etwas anderes, aber auf jeden Fall verbindet uns ein Gott."
    Und deshalb haben sie auch gemeinsam Socken für den Nikolaus gestrickt, dabei Adventsgeschichten gelesen und gesungen.
    Genau wie ihre Kollegin Dorota Pawlacek muss auch Cornelia Prill lange nachdenken, wenn sie nach Konflikten zwischen Christen und Muslimen in ihrer Kita gefragt wird. Wir nehmen aufeinander Rücksicht, sagt sie. Weil Kitaleiterin Cornelia Prill die gemeinsamen Mahlzeiten wichtig sind, gibt es kein Schweinefleisch. Die Gummibärchen sind allerdings nicht "halal". Schwieriger sei es, wenn muslimische und christliche Feiertage kollidierten. Cornelia Prill erinnert sich an ein Jahr, an dem St. Martin in den Ramadan fiel.
    "Und ich war hier noch relativ neu, und dann sagten meine Leitungskolleginnen, verschieb doch einfach St. Martin. Dann habe ich gesagt: Nein, St. Martin möchte ich nicht verschieben, St. Martin ist, wenn St. Martin ist. Lasst uns doch mal gucken, was mit den muslimischen Eltern möglich ist. Und das war total schön."
    Ende des Kitatages für Ayse, Rahel, Kasem, Nora, Mohammed, Ahmet, Annabell und Samira. Hier fehlt wieder mal ein Handschuh, dort eine Trinkflasche. Gemeinsam mit ihren Müttern und Vätern gehen sie hinaus in die Dunkelheit, vorbei an der Krippe.