Donnerstag, 18. April 2024

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Rente mit 63
"Das ist nicht unser Baby"

In der CDU halten sich Widerstände gegen die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren. Man müsse aufpassen, dass zurückliegende Reformerfolge, wie die Rente mit 67, nicht zurückgedreht werden, sagte Jens Spahn, Mitglied im CDU-Bundesvorstand, im Deutschlandfunk.

Jens Spahn im Gespräch mit Christoph Heinemann | 16.05.2014
    Jens Spahn sitzt am 12.05.2013 in Berlin im Gasometer in der ARD-Talkreihe Günther Jauch.
    Jens Spahn, Mitglied im CDU-Bundesvorstand (dpa / Paul Zinken)
    Nach Ansicht des CDU-Haushaltspolitikers Jens Spahn ist die abschlagsfreie Rente mit 63 ein Signal in Richtung Vergangenheit. In den vergangenen zehn Jahren habe Deutschland gute Reformen umgesetzt, wie die Rente mit 67. Mit viel Mühe seien Arbeitgeber und Arbeitnehmer überzeugt worden, dass sich die Arbeitszeit verlängern müsse. Diese Erfolge dürften nicht zurückgedreht werden.
    In vielen Regionen gebe es einen Fachkräftemangel, sagte Spahn. Wenn Arbeitskräfte nun früher in Rente gehen könnten, stünden gerade kleine Unternehmen vor großen Herausforderungen. Die Rentenleistung werde enorm ausgeweitet. Die Mehrkosten für die abschlagsfreie Rente mit 63 bezifferte Spahn auf 3 bis 3,5 Milliarden Euro im Jahr. Dies sei nur finanzierbar, wenn Deutschland sich anstrenge, weiterhin wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. Dazu seien weitere Reformen notwendig.

    Das Interview mit Jens Spahn in voller Länge:

    Christoph Heinemann: Neurotisches Wehklagen gehört neuerdings offenbar zur politischen Auseinandersetzung, jedenfalls in der Rentenpolitik, jedenfalls für Andrea Nahles. Wir hören die Bundesarbeitsministerin beim Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes:
    "Es reicht mir! Hört endlich auf, ein hysterisches Gejaule in diesem Land zu machen, weil vielleicht 50.000 Menschen mehr abschlagsfrei in Rente gehen können! Macht lieber mal was Anständiges mit eurer Zeit, als diese Leute an den Pranger zu stellen!"
    Heinemann: Dass kaum ein Fachmann an Frau Nahles und den Groko-Rentenplänen ein gutes Haar lässt, das ficht die Bundesarbeitsministerin kaum an. Dabei muss man gar nicht Oppositionspolitikerinnen und Politiker anrufen, um Kritiker ans Telefon zu bekommen. Auch ein Teil der Unions-Abgeordneten rauft sich die Haare. Rente mit 63, das geht nach Groko-Plänen so: Wer 45 Jahre lang gearbeitet hat, die oder der soll mit 63 Jahren in Rente gehen können, ohne Abschläge, also mit voller Rente.
    Das ist die Überschrift, der Teufel steckt einmal mehr im Detail, vor allem in der Frage, was passiert eigentlich, wenn Arbeitnehmer in den 45 Arbeitsjahren auch einmal arbeitslos waren.
    Am Telefon ist Jens Spahn, Haushalts- und Sozialpolitiker der CDU, Mitglied des Parteivorstandes und bekennender Kritiker der Rente mit 61. Guten Morgen!
    Jens Spahn: Schönen guten Morgen! Hallo!
    Heinemann: Herr Spahn, sind Sie ein hysterischer Jauler?
    Spahn: Nein. Ich bin eher ein beständiger Mahner, nämlich ein Mahner dafür, dass wir nicht vergessen, dass Deutschland immer älter wird - wir sind nach Japan das zweitälteste Land der Welt -, dass wir in den letzten zehn Jahren sehr erfolgreiche gute Rentenreformen gemacht haben wie die Rente mit 67 – wer immer älter wird, wird auch ein Stück davon länger arbeiten müssen -, und dass wir jetzt aufpassen müssen, dass wir diese Erfolge nicht in Gefahr bringen.
    Heinemann: Wieso sieht Ihre Chefin das anders?
    "Rente mit 63 ist Signal in eine alte Richtung"
    Spahn: Nun, was die Rente mit 63 angeht, ist das ja nicht unser Baby. Das ist der Kompromiss, den wir machen mussten, um in die Große Koalition zu gehen, und ich weiß auch, dass für Koalitionen Kompromisse nötig sind. Aber was es halt so echt schwer macht, diesem Projekt Rente mit 63 zuzustimmen, ist einfach das Signal. Wir haben gerade mit viel Mühe in den letzten Jahren Arbeitgeber und auch viele Arbeitnehmer, Gewerkschaften dazu gebracht anzuerkennen, dass man Menschen länger im Erwerbsleben hält, dass man sich anstrengt, dass auch Arbeitsplätze umgestaltet werden, weil wir immer älter werden und weil wir auch diese Fachkräfte brauchen. Es kommen ja gar nicht so viele junge Menschen nach. Und da ist diese Rente mit 63 natürlich ein Signal in die andere, eigentlich in die alte Richtung.
    Heinemann: Können Sie mit der Lösung, die Gerhard Schröder gerade skizziert hat, leben?
    Spahn: Was für uns ganz, ganz wichtig ist - das wäre nicht nur eine symbolische Frage, sondern wirklich auch eine in der Sache -, ist, dass diese Frühverrentungswelle wirklich ausgeschlossen wird. Natürlich kann man sagen, machen das vielleicht nicht allzu viele, mit 61 schon zweijährig in die Arbeitslosigkeit, Arbeitslosengeld I und dann in die Rente, aber jede 10.000 sind zu viele, weil wir einfach diese Leute auch brauchen.
    Wir haben heute bei mir im Münsterland, aber auch in vielen anderen Regionen Deutschlands einen richtigen Fachkräftemangel, weil gar nicht so viele junge Leute nachkommen aus den Schulen. Die sind nicht geboren worden vor 16, 17 Jahren. Wir brauchen also auch diese Älteren. Und wenn die jetzt plötzlich alle gehen ab dem 1. 7., dann stellt das viele gerade kleinere Unternehmen vor große Herausforderungen.
    Heinemann: Ist das Ganze Ihrer Einschätzung nach verfassungsrechtlich wasserdicht?
    Spahn: Es ist immer alles eine Frage der Begründung, auch was die Verfassungsmäßigkeit angeht. Aber wenn wir das gut, wenn wir das vernünftig begründen, dann wird sich das sicherlich auch darstellen lassen. Alle sagen, CDU/CSU, SPD, Arbeitgeber, Gewerkschaften, eigentlich jeder, wir wollen keine Frühverrentungswelle, wir wollen vor allem nicht, dass die Menschen schon mit 61 gehen, gedrängt durch den Arbeitgeber oder aus eigenem Willen. Das wird sicherlich eine Mischung aus beidem sein. Deswegen muss das möglich sein, dass das auch verhindert wird.
    "Hebel umlegen von Wohlstand verteilen zu Wohlstand erwirtschaften"
    Heinemann: Herr Spahn, was kostet die Rente mit 63?
    Spahn: Die Rente mit 63 wird drei, dreieinhalb Milliarden Euro im Jahr kosten. Das ist viel Geld. Auch die Mütterrente, die ich in der Sache, in der Gerechtigkeitsfrage – auch unsere Mutter hat uns drei vor 1992 bekommen – verstehe, kostet aber mit sechseinhalb Milliarden Euro auch viel Geld. Und eins ist, glaube ich, auch ganz wichtig, dass wir mal deutlich machen, das geht alles nur, weil es uns wirtschaftlich im Moment gut geht, und wir müssen viel tun, damit das so bleibt, auch langsam mal umschalten, wieder den Hebel vom Wohlstand verteilen zum Wohlstand erwirtschaften.
    Heinemann: Seit gestern sind offenbar anderthalb Milliarden dazugekommen, denn Peter Weiß, Ihr Kollege, rentenpolitischer Sprecher der Union, sagte uns gestern, ein bis zwei Milliarden pro Jahr würde das kosten.
    Spahn: Es ist am Anfang etwas weniger, aber in der Höchstphase sozusagen, wenn alle Projekte laufen – wir rechnen im Moment immer auf 2030 bezogen, die Jahreswirkung für 2030 -, sind wir dann bei der Summe, die am Ende im Gesamtpaket, ich sage es noch einmal, ja die eigentliche Herausforderung ist. Jedes der Einzelpakete, Mütterrente, Rente mit 63, die Rehabilitationsmaßnahmen auszubauen, Verbesserung der Erwerbsminderungsrente, ist für sich genommen sicherlich bezahlbar und in der Summe ist es das im Moment auch, aber eben nur, wenn wir uns heute schon anstrengen, dass wir wirtschaftlich erfolgreich bleiben.
    Und dafür ist diese Flexirente zum Beispiel wichtig, dass wir ein Signal senden, wer länger arbeiten will und kann, der soll das auch ohne große Bürokratie und ohne finanzielle Belastungen dürfen. Wir brauchen mal wieder mehr Signale auch in die Zukunft, was positive Bereitschaft zum Arbeiten, zu Innovation und für einen guten Arbeitsmarkt angeht.
    Heinemann: Wenn wir mal alles zusammenzählen, Rente mit 63, Mütterrente, Erwerbsminderungsrente haben Sie ja gerade auch erwähnt, kommen wir auf rund oder gibt es Berechnungen, die etwa bei 160 Milliarden landen.
    Spahn: Das ist natürlich zusammengerechnet über mehrere Jahre. Das ist immer schwierig. Je nachdem, wie viele Jahre, ob Sie bis 2030, 2040 rechnen, erhöhen, erniedrigen sich die Summen. Deswegen ist das immer ein munterer Streit um Zahlen.
    Am Ende ist eins klar: Das ist eine enorme Ausweitung der Rentenversicherung, der Rentenleistungen, die wir uns im Moment – da haben sicherlich alle Recht, die sagen, im Moment ist das ausfinanziert – leisten können. Ich sage noch einmal: Es ist deswegen ganz, ganz wichtig, dass wir heute schon die Grundsteine legen, dass wir uns das auch in fünf oder zehn Jahren noch leisten können. Rentenpolitik, gerade Rentenpolitik sollte man nicht nur auf vier Jahre machen.
    Heinemann: Ist die Groko eine Koalition für alte Leute?
    Spahn: Die Große Koalition startet zumindest im Moment vor allem mit Maßnahmen in der Rentenpolitik, und ich finde, wir müssen auch in dem, was wir nach außen darstellen, da den Schalter ein wenig umlegen. Dass wir keine neuen Schulden machen ab dem Jahr 2015, dass wir keine Steuern erhöhen, dass wir was für Innovation, Digitalisierung der Industrie tun wollen, das sind Zukunftsthemen, Investitionen in Bildung, also auch in der ganzen Schwerpunktsetzung deutlicher machen, wir kümmern uns auch um Zukunft, auch um die, die noch in 10, in 20 Jahren im Land aktiv sind, und da ist übrigens die Haushaltskonsolidierung, keine neuen Schulden, ein ganz wichtiger Punkt.
    "Rentenpolitik sollte man nicht nur auf vier Jahre machen"
    Heinemann: Aus Ihrer Sicht können wir zusammenfassend sagen: Fehlstart?
    Spahn: Das ist jetzt wieder eine klassische Morgens-früh-Frage. Nein, Fehlstart ist das falsche Wort.
    Heinemann: Das würde ich Sie abends genauso fragen.
    Spahn: Bitte?
    Heinemann: Das würde ich Sie abends genauso fragen. Aber bitte schön!
    Spahn: Nein, das wäre das falsche Wort. Es ist einfach eine Große Koalition, die in einer Zeit startet, wo es Deutschland gut geht, was ja auch gut ist. Wir haben so viele Menschen in Beschäftigung wie noch nie. Wir haben Überschüsse in den sozialen Sicherungssystemen. Da ist natürlich bei vielen Leuten auch die Frage, was habe ich eigentlich davon. Deswegen ist ja auch durchaus eine hohe Akzeptanz für das Rentenpaket da. Das verstehe ich.
    Aber diese Große Koalition muss auch die Kraft haben, in guten Zeiten Reformen zu machen, damit es in fünf, in zehn Jahren auch immer noch gut geht. Ich finde, es muss nicht erst wieder schlecht werden. Wir müssen nicht erst wieder 2005 mit fünf Millionen Arbeitslosen haben, bevor wir Reformen machen. Insofern ist das ein Start, der in die Zeit passt, der aber gleichzeitig auch die Große Koalition ermahnt, auch noch die anderen Dinge in den Blick zu nehmen.
    Heinemann: Sie haben jetzt viele Gründe genannt, warum das alles nicht so gut ist. Werden Sie am nächsten Freitag zustimmen oder ablehnen?
    Spahn: Für mich und auch für einige andere in der CDU/CSU-Fraktion hängt das vor allem davon ab, was jetzt in diesen Tagen noch gelingt. Wir haben ja gerade von den aktuellen Verhandlungen in Berlin gehört. Die Frage, schließen wir die Frühverrentungswelle und die Möglichkeit, mit 61 in Rente zu gehen über den Arbeitslosengeld-I-Bezug aus, das muss definitiv ausgeschlossen sein aus unserer Sicht, und bekommen wir auch was bei der Flexirente hin, bei mehr Flexibilität für einen älter werdenden Arbeitsmarkt. Wenn die beiden Punkte gesichert sind, dann bin ich am Ende jemand, der weiß, dass man auch Kompromisse machen muss in einer Großen Koalition, auch wenn es schwer fällt. Wenn sie es nicht sind, dann ist auch eine Zustimmung schwer.
    Heinemann: Dann sagen Sie njet?
    Spahn: Dann werde ich tatsächlich Richtung Nein tendieren.
    Heinemann: Der CDU-Haushalts- und Sozialpolitiker Jens Spahn, Mitglied des Parteivorstandes. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Spahn: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.