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Reportage Nervenschmerzen

Nach einer Chemotherapie sind Nervenschmerzen keine Seltenheit. 24 Stunden Taubheit oder Kribbeln im Körper - viele Patienten kommen nicht mehr zur Ruhe. Eine Heilung gibt es oft nicht.

    "Das ist wetterabhängig. Und heute bin ich eigentlich halbwegs zufrieden. Also ich kann heute fast ohne Krücken gehen. "

    Jakob K., ist 54 Jahre alt. Er lebt in einem kleinen Holzhaus in einem Naturschutzgebiet im Rheinland.

    "Ich bin taub vom unterm Nabel an bis zu den Zehen. Es fühlt sich an, als ob ich zehn Stützstrumpfhosen anhätte. Das heißt, ich bin so eingebunden und so steif da drinnen. Und ich spüre keinen Boden. Ich hab das Gefühl, ich lauf auf Luftballons. "

    Jakob K. hatte Lymphdrüsenkrebs. Er bekam Chemotherapie. Die Krebs-Medikamente, sagen die Ärzte, sind Schuld an dem Taubheitsgefühl in den Beinen.

    "Ich merke nur, dass ich auf dem Boden bin, denn bei jedem Schritt geht mir – ich weiß nicht ob Sie vom Ameisenlaufen gehört haben. Bei jedem Tritt habe ich das Gefühl, als ob mir von den Zehen bis unter dem Bauchnabel Ameisen im Schnelldurchlauf nach oben laufen würden. Und das bei jedem Schritt und das 24 Stunden. Und das wird halt stärker meistens, wenn das Wetter schlecht ist oder wenn es abends später wird, dann merke ich das um so mehr. "

    Jakob K. arbeitete in der Gastronomie. Seinen Beruf hat er aufgeben müssen. Er lebt von einer kleinen Rente.

    "Und auch heute, wenn ich mir zum Beispiel einen Pullover ausziehe, muss ich mich hinsetzen, sonst falle ich um. Die kleinste Dunkelheit bringt mich aus dem Gleichgewicht. Ich kann natürlich nicht im Dunkeln rausgehen, oder mich im Dunkeln bewegen, da haut es mich auf der Stelle sofort um. "

    Die Ärzte machen Jakob K. keine Hoffnung auf Besserung. Er wird, fürchtet er, das Haus verlassen und in eine Stadtwohnung ziehen müssen.

    "Ich habe das Gefühl, ich lebe in zwei verschiedenen Körpern. Dieses ständige Kribbeln, das habe ich ja 24 Stunden. Das gibt nie Ruhe, das ist mal stärker, mal schwächer. Das zweite ist dann halt die Taubheit, dass man das Gefühl hat, man ist eingegipst, und bei jedem Schritt hat man das Gefühl, es bröckelt was runter aus dem Bein, man hat kein richtiges Gefühl da drinnen. Ich lebe jetzt zwei Jahre damit, und ich habe mich natürlich bis heute nicht daran gewöhnt. Man wird jede Minute daran erinnert, man kommt nicht zur Ruhe. Das heißt, es greift auch meine Nerven langsam an. Ich hatte immer eine sehr gute Psyche, aber in der Zwischenzeit merke ich auch, man kommt nicht zur Ruhe, man schläft auch schlecht, und das ist ein Teufelskreis, weil das verstärkt sich, und – wie soll ich sagen – es ist ein sehr unruhiges Leben geworden. Und es nimmt mich manchmal psychisch ganz schön mit.

    Und da habe ich Angst vor der Zukunft natürlich. Und weiß nicht, wie das im Endeffekt enden soll. Gesagt hat man mir, wahrscheinlich wird früher oder später ohne Rollstuhl nichts gehen.

    Wenn ich nicht trainieren würde, würden die Muskeln schneller schwach und dann könnte ich mich gar nicht mehr auf den Beinen halten. Oder Arbeiten verrichten, die im Haushalt so anfallen. Das geht nur, indem ich jeden Tag meine Gymnastik mache und ich gehe sehr viel schwimmen, und ich mach ein bisschen Kraftsport, und das mache ich fast jeden Tag. Und tue ich das nicht, dann werde ich gleich bestraft, indem ich dann steif bin wie ein Bock. "