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Reset fürs Schmerzgedächtnis

Das Komplexe chronische Schmerzsyndrom, kurz CRPS, ist eine seltene Erkrankung. Aber für diejenigen, die darunter leiden, ist es kaum zu ertragen. Meist sind Verletzungen an den Händen das Problem. Sie heilen nicht richtig ab: die Schmerzen bleiben dauerhaft. Das führt so weit, dass die Patienten ihre Hand schließlich nicht mehr bewegen können und außer den Schmerzen keinerlei Gefühl mehr in der Hand haben. In Bochum gehen die Wissenschaftler davon aus, dass die Ursache für den chronischen Nervenschmerz im Gehirn der Patienten liegt.

Von Katja Nellissen |
    " Was wir gefunden haben im Rahmen unserer mehrjährigen Untersuchung ist, dass das Gehirn verlernt, normal zu fühlen, normal die Extremität zu bewegen. Und parallel zu diesem Verlust sensibler und motorischer Funktionen entwickelt sich ein zunehmendes Schmerzsyndrom. "

    Aus dieser Theorie haben die Bochumer Mediziner ihre Therapie abgeleitet. Das Rezept ist einfach: Die Schmerzen werden stärker, je mehr das Gehirn das normale Empfinden verlernt. Das heißt, die Schmerzen müssten schwächer werden, wenn das Gehirn wieder lernt, Berührungen zu erkennen und einzuordnen.

    " Wir versuchen zunächst ein normales sensibles Empfinden wieder zu trainieren. Die Patienten fangen zum Beispiel an, ihre betroffene Hand mit einem Pinsel zu bestreichen. Am Anfang ist das sehr schwierig. Die Patienten ziehen die Hand weg, wenn der Therapeut versucht das zu tun. "

    Doch nach und nach haben Martin Tegenthoff und seine Kollegen beobachtet, wie es den Patienten immer leichter fällt, Berührungen zuzulassen. Sie lernen, wie sich ein Pinsel oder ein Topf voller Erbsen anfühlt, und auch langsam, die Hand wieder zu benutzen.
    50 Patienten haben die Bochumer Wissenschaftler mit diesem nebenwirkungsfreien Verfahren therapiert. Bei 35 von ihnen ließen die Schmerzen tatsächlich nach. Und auch das Gefühl in den Fingern verbesserte sich. Ein gesunder Mensch kann zwei Punkte auf seiner Fingerspitze unterscheiden, wenn sie etwa 1,5 Millimeter auseinander liegen. Die CRPS-Patienten konnten das vor der Therapie nicht. Sie fühlten den Unterschied erst dann, wenn die Punkte drei oder sogar vier Millimeter voneinander entfernt waren.

    " Wir haben nun diese Schwelle im Laufe der Therapie untersucht und haben festgestellt, dass die Fähigkeit der Patienten, die zwei Punkte zu unterscheiden, immer besser geworden ist. Und am Ende der Therapie haben sie fast der Zustand eines gesunden Menschen erreicht. "

    Auch im Kernspintomographen zeigte sich ein erstaunliches Bild. Das Gehirnareal, das die Berührungsreize der Hand verarbeitet, wurde immer größer. Die entsprechenden Nervenzellen wurden wieder aktiviert, und parallel dazu nahm der Schmerz ab. Was genau im Gehirn der Patienten passiert, was dieses "Umlernen" in Gang setzt, wissen die Forscher nicht. Aber sie haben zumindest bewiesen, dass es funktionieren kann.
    " Wir denken, dass wir das Schmerzgedächtnis hiermit auslöschen oder austricksen. Wir glauben, dass das Verlernen normaler Funktionen ein Teil vom Schmerzgedächtnis ist. Der Schmerz wird aufgebaut und dafür verlernt das Gehirn Normalität."

    Das Komplexe chronische Schmerzsyndrom ist ein relativ einfach strukturierter Schmerz. Es gibt klare, eindeutige Empfindungs- und Funktionsstörungen, gegen die die Mediziner angehen können. Anders ist das bei Kopf- oder Rückenschmerzen. Doch obwohl er betont, dass die neue CRPS-Therapie kein Wundermittel sei, glaubt Martin Tegenthoff, dass der Bochumer Therapieansatz in der Zukunft eventuell auch anderen Patienten helfen kann.

    " Wir denken, dass man diese Verfahren auch bei anderen chronischen Nervenschmerzen einsetzen kann. Die interessante Frage ist, ob man diesen Ansatz "Lerne wieder normal zu fühlen, zu bewegen" zum Beispiel auch bei Rückenschmerzpatienten einsetzen kann. Dazu sind aber sicherlich weiter gehende Untersuchungen erforderlich. Und das ist sicherlich ein sehr viel komplexeres Problem. "

    Also noch keine konkreten Therapieaussichten für andere Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, aber ein erster Behandlungsansatz für CRPS-Patienten, die durch ihre Krankheit sonst häufig zu Invaliden werden.