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Restauriert, nicht renoviert

Die Villa Tugendhat im tschechischen Brünn erstrahlt in neuem alten Glanz. Der 1929-30 von Mies van der Rohe entworfene Architekturklassiker wurde aufwendig restauriert. Die Wiener Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat, Tochter der Bauherren, lobt besonders die gewissenhafte restaurierungswissenschaftliche Arbeit der beteiligten Experten von fünf Hochschulen.

Daniela Hammer-Tugendhat im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 07.03.2012
    Stefan Koldehoff: Es gibt Namen, bei deren Nennung Architekturkennern sofort die Tränen in die Augen schießen - weil die Gebäude gar so schön sind. Das Farnsworth House in Illinois von Ludwig Mies van der Rohe zum Beispiel, Fallingwater von Frank Lloyd Wright bei Pittsburgh oder das Haus Schminke von Hans Scharoun in Löbau - alles ehemalige Privatwohnhäuser aus einer Zeit, als sich Bauherren noch richtig gute Architekten leisten wollten und konnten. Auch die Villa Tugendhat im tschechischen Brünn ist so ein Gebäude - errichtet 1929 bis '30, auch von Mies van der Rohe im Auftrag des Unternehmerpaares Fritz und Grete Tugendhat. Dort allerdings hat die Sache mit den Tränen noch einen anderen Hintergrund: 1938 mussten die jüdischen Eigentümer fliehen, erst übernahm die Gestapo, dann die Rote Armee, aus dem Wohnzimmer wurde eine Turnhalle mit Sportgeräten an den Wänden, und seither verfiel der Meilenstein der sachlichen Architektur der Moderne zusehends. Bis die Villa nun endlich restauriert und vor wenigen Tagen wiedereröffnet wurde. Zu den ersten Besuchern zählte die in Wien lebende Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat, die Tochter der Bauherren. Und sie habe ich gefragt, was sie dort im ehemaligen Brünn gesehen hat.

    Daniela Hammer-Tugendhat: Die Villa ist jetzt restauriert worden und ich freue mich sehr über diese Tatsache, dass sie restauriert worden ist, nachdem wir 20 Jahre für diese Restaurierung uns eingesetzt haben. Und dass sie so gut restauriert worden ist, das liegt vor allem daran, dass sich mein Mann, Ivo Hammer, der halt Kunsthistoriker und Restaurator ist, dass unter seiner Leitung restaurierungswissenschaftliche Untersuchungen gemacht worden sind mit fünf verschiedenen Hochschulen, und auf dieser Basis konnte dann diese internationale Expertengruppe THICOM praktisch die Restaurierungsarbeiten begleiten und eben auch immer wieder mit Vorschlägen hier einschreiten.

    Koldehoff: Es war dringend nötig geworden, das Gebäude zu sichern: Es hat eine Hanglage, es drohte abzurutschen. Das heißt, man musste richtig massive Sicherungsmaßnahmen vornehmen. Das ist das, was man eher nicht sieht, das geschieht im Untergrund, das geschieht im Gemäuer. Was hat sich denn innen getan? Erklären Sie uns, was genau ist restauriert worden? Wie sah es vorher aus, wie sieht es jetzt aus?

    Hammer-Tugendhat: Das Haus ist in den 80er-Jahren renoviert worden, da ist viel kaputt gemacht worden. Zum Beispiel haben sie die ganzen originalen Fliesen abgeschlagen, die ganzen originalen Waschbecken und Armaturen weggeschmissen. Sie haben auch einiges Gutes gemacht in der Renovierung.

    Aber jetzt ist es restauriert worden. Restaurierung im Gegensatz zu Renovierung heißt eben, dass man den originalen Zustand tatsächlich feststellt durch Untersuchungen. Zwei Beispiele: Das eine ist das Glas. Der Eingang von außen ist jetzt wirklich nicht so ein scheußliches Plexiglas mit Unterteilungen, sondern hat diese ganz luzide Oberfläche, die das Haus so stark auszeichnet. Oder innen: Die Decken zum Beispiel, das ist so gemacht, das ist wie Stucco lustro. Das heißt, die Decke ist jetzt nicht so, dass man das Gefühl hat, die schließt den Raum ab, sondern man hat das Gefühl, die ist sozusagen wie durchsichtig, wie transluzid. Und dieses Gefühl von Immaterialität, was aber über die Materialität erreicht wird, ist ja so charakteristisch für diesen Raum.

    Koldehoff: Sie haben gerade gesagt, Ihr Mann hat viel recherchiert, um überhaupt den Originalzustand so weit wie möglich wiederherstellen zu können. Was war an Plänen noch vorhanden? Hat Mies van der Rohe ein Archiv hinterlassen, in dem Sie dann fündig wurden?

    Hammer-Tugendhat: Ja, ja. Die Pläne, die sind ja vorhanden, die sind auch studiert worden. Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen einer kunsthistorisch-architekturwissenschaftlichen Untersuchung und einer restauratorischen. Restauratoren untersuchen das Material vor Ort, und das hat nicht nur er gemacht, das ist nur unter seiner initiativen Leitung gestanden, das haben fünf verschiedene Hochschulen gemacht, die eben für die verschiedenen Materialien, Stein, Glas, Holz etc., spezialisiert sind.

    Koldehoff: War in den 80er-Jahren für so etwas einfach das Bewusstsein noch nicht da, dass man so viel weggeschmissen hat?

    Hammer-Tugendhat: Ja, null Bewusstsein! Null Bewusstsein, und das ist nicht nur ein tschechisches Problem, es ist international. Es gibt praktisch kein Bewusstsein über die Restaurierung von Architektur und von Architektur der Moderne schon überhaupt nicht. Also es ist längst für uns klar, dass man nicht mehr wie früher, wenn man ein Gemälde restauriert, das einem Maler übergibt, sondern einem Restaurator oder einer Restauratorin. Aber in der Architektur ist dieses Bewusstsein praktisch kaum vorhanden.

    Koldehoff: Wo kam das Geld her? So was kostet wahrscheinlich auch viel.

    Hammer-Tugendhat: Ja, das ist ganz wichtig, das zu sagen. Das haben nicht die Brünner oder die Tschechen im Wesentlichen bezahlt, sondern der größte Anteil des Geldes kommt von der EU.

    Koldehoff: Die Villa Tugendhat ist wahrscheinlich eines der zehn berühmtesten privaten Wohnhäuser, die es auf der Welt noch gibt. Es wird nie wieder Wohnhaus sein. Wie wird die Villa jetzt genutzt?

    Hammer-Tugendhat: Also die Villa wird jetzt so genutzt, dass sie als Museum existiert und Leute das besuchen können. Das finde ich okay. Wir würden uns auch im Namen meiner Mutter, die das damals schon gesagt hat, wir würden uns sehr stark wünschen, dass auch ein gewisses Leben wieder hineinkommt, zum Beispiel dass Lesungen gemacht werden, dass kulturelle Veranstaltungen gemacht werden. Ich könnte mir auch vorstellen, dass mal Architekten ein Symposion dort abhalten. Solche Dinge, das würden wir uns wünschen, dass das praktisch lebendig bleibt, und ich weiß nicht, wie weit die Brünner das planen. Die Brünner selber, das sind natürlich nicht die Brünner, sondern das sind natürlich auch unterschiedliche Leute, aber teilweise habe ich den Eindruck, sie wollen zum Beispiel dort Hochzeiten feiern lassen. Davon bin ich nicht begeistert.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.