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"Return to Sender"
Spannender Perspektivwechsel auf Afrika-Festival

Das Theater Hebbel am Ufer in Berlin veranstaltet das Festival "Return to Sender" mit Produktionen afrikanischer Künstler. Folklore wird nicht zelebriert, sondern die Auseinandersetzung mit den Folgen der Kolonialzeit auf dem Kontinent - entscheidend ist dabei der afrikanische Blick und nicht der europäische.

Von Oliver Kranz | 05.03.2015
    Theater Hebbel am Ufer (HAU) Berlin
    Zehn Tage werden am Theater Hebbel am Ufer (HAU) in Berlin Produktionen von afrikanischen Künstlern gezeigt. (dpa/picture alliance/Paul Zinken)
    Wer Trommeln und Buschtänze erwartet, dürfte bei diesem Afrika-Festival enttäuscht werden. Folklore wird nicht geboten. Zu sehen sind zehn Produktionen, die sich mit den Folgen der Kolonialzeit auseinandersetzen. Die äthiopische Gruppe Destino zeigt eine Zweier-Choreografie, bei der sich die Tänzer langsam zum Klang einer verträumten Klaviermelodie bewegen. Dann brechen afrikanische Rhythmen durch. Es geht um die Suche nach Identität. Ricardo Carmona ist der Kurator des Festivals.
    "Das Programm haben wir gemeinsam mit unseren afrikanischen Partnern zusammengestellt. Wir haben Künstler angesprochen, die die Szene der jeweiligen Länder sehr gut kennen. Jeder durfte ein Stück auswählen oder ein neues Projekt vorschlagen, das von uns koproduziert wird."
    Perspektivwechsel auf dem Festival
    Das Ergebnis ist ein Perspektivwechsel. Nicht der europäische Blick ist entscheidend, sondern der afrikanische. Der gedankliche Ausgangspunkt ist die Kongokonferenz, bei der europäische Kolonialmächte Grenzen festlegten, die in Afrika bis heute Bestand haben.
    "Natürlich kann man sagen, das ist lange her. Die meisten afrikanischen Länder sind seit 50 Jahren unabhängig. Insofern leben wir in einer postkolonialen Zeit. Aber wir leben auch in einer neokolonialen Zeit, wenn man sich die Wirtschaftsbeziehungen ansieht. Das beeinflusst auch die Kunst, die in den betreffenden Ländern entsteht."
    Die Marokkanerin Bouchra Ouizguen lässt ehemalige Nachtklubsängerinnen auftreten, deren Lieder und Tänze nichts mit europäischen Traditionen zu tun haben, der Südafrikaner Boyzie Cekwana veranstaltet eine Gameshow, bei der die Frage beantwortet werden soll, ob Afrika für die Kolonialzeit und die Sklaverei Reparationszahlungen zustehen. Mit den beiden Produktionen wird das Festival morgen eröffnet.
    Und auch das Stück "2065" des Ägypters Adham Hafez wird zu sehen sein. Es geht davon aus, dass Afrika nach einem Dritten Weltkrieg die Welt beherrscht. Im Jahr 2065 wird eine Konferenz einberufen, bei der eine neue politische Struktur Europas beschlossen werden soll.
    "An diesem Projekt bin ich fast verzweifelt. Alle fragten mich, ob das Stück eine witzige Science-Fiction-Komödie werden solle oder knallhartes politisches Theater. Natürlich soll es beides sein, und ich fragte mich, warum ich das immer wieder erklären musste. Dann hielt die Vorsitzende der Afrikanischen Union eine Rede, bei der sie von einer Agenda 2063 sprach, von einem Afrika, das durch Bildung und eine umweltverträgliche Wirtschaft in der Welt den Ton angibt. Da wurde mir klar, dass ich mit meiner Utopie gar nicht so falsch liege und das Projekt fortsetzen musste."
    Verzicht auf westliche Ästhetik
    Morgen erlebt die Produktion ihre Uraufführung. Man blickt in einen Konferenzraum mit vielen Mikrofonen. Auf Videowänden sind Afrikaner zu sehen, die in exotischen Trachten durch westliche Großstädte schlendern. Sie sind die neuen Kolonialherren. Europa wird unter den afrikanischen Mächten aufgeteilt.
    "Es ist schön, dazu eingeladen zu werden, ein Stück zu inszenieren, das sich mit den Folgen der Kolonialzeit auseinandersetzt. Aber meist ist an diese Einladung die Erwartung geknüpft, dass man Denk- und Erzählweisen benutzt, die im Westen verstanden werden. Doch kann man den Kolonialismus kritisieren und gleichzeitig eine westliche Ästhetik nutzen? Ich glaube nicht, deshalb gibt es in meiner Inszenierung viele Passagen, die sich nicht einfach entschlüsseln lassen."
    Aber die grundsätzliche Botschaft wird klar: Es geht um Revanche, nicht um Gerechtigkeit. Statt neue politische Modelle zu entwickeln, reproduzieren die Machthaber einfach die alten. Und das ist eine Strategie, die man auch im heutigen Afrika findet. Der Autor Ntone Edjabe, der in Südafrika ein bekanntes Kulturmagazin herausgibt, hat die afrikanischen Staaten einmal mit Flugzeugen verglichen, deren weiße Piloten mit dem Fallschirm abgesprungen sind. Nach dem Ende der Kolonialzeit haben Schwarze die Steuerung übernommen, von denen viele ihre Länder nicht weniger schamlos ausbeuten als früher die Europäer. Koloniale Denkweisen schreiben sich fort. Wie man sie überwinden, auch mit den Mitteln der Kultur, darüber wird Ntone Edjabe am nächsten Donnerstag beim Festival in Berlin sprechen. Es könnte spannend werden.