Archiv


Rheintöchters Rheingold

Wer heute die Nibelungen auf die Bühne bringt, wie Andreas Kriegenburg an den Münchner Kammerspielen, muss immer auch Aufführungsgeschichte und Mythenmissbrauch mit aufführen. Genau genommen heißt die mittelalterliche Familiensage ja im Untertitel "Siegfrieds Tod". Es ist ein Sagenstoff, der von der Angst vorm Fremden, von Erlösungshunger, maßloser Rache Kriemhilds handelt. Weil so viel hoher Ton heute nicht mehr geht, fügt Regisseur Kriegenburg etwas hinzu, was im Helden-Epos nicht vorkam.

Von Sven Ricklefs |
    Diese Zeit ist keine Zeit für Schwächlinge

    Da stehen sie, die Edlen von Burgund, stock und steif in Reih und Glied über die Bühne verteilt, stehen da im schicken Schwarz des Abendanzugs, blicken starr ins Publikum und rühren sich nicht. Und wenn sie es doch tun, dann genauso breitbeinig, wie sie eben noch gestanden haben. Auf Euch ruht das ganze System, rufen sie sich zu, eine Feststellung, die sie dann schon mal auch auf eins aus den Latschen kippen lässt, aber schon richten sie sich wieder auf und sagen: Geht schon. Wenn allerdings Siegfried kommt, der Held aus den Niederlanden, der mit Nebelkappe und Schwert, mit Nibelungenhort und fast unbesiegbarer Hornhaut doch schon beeindrucken kann, dann bringt das diese Burgunder ein wenig aus dem Konzept, zumal der Held gleich im guten Dutzend auftaucht und zunächst ein wenig Fitness macht in proletarisch blauer Hose und mit Muskelshirt, auf dem "Siegfried" steht. Danach wirft man zum Zeitvertreib wettkampfmäßig ein wenig mit Steinen umeinander, Siegfried gewinnt natürlich und schon ist man sich einig, eine Hand wäscht die andere, eine Frau für die andere:

    Kriemhild für Brunhild, Kriemhild für Brunhild.

    Mit diesem ersten Teil des dreiteiligen Abends seiner "Nibelungen" liefert sich Regisseur Andreas Kriegenburg selbst mit fulminanter Wucht gleichsam eine szenische wie ästhetische Steilvorlage, indem er etwa in chorischer Verdichtung jene Mächte fokussiert, die hier aufeinanderprallen. Zugleich gibt er die Begründung dafür, was ihn am säbelrasselnden, bluttriefenden und wertewabernden deutschesten aller Mythen überhaupt interessiert hat. Denn der Deutsche, der sich so gern ins System einreiht und dort bis zur Selbstaufgabe funktionieren kann, dieser Deutsche sehnt sich eigentlich nach Größerem, Besserem, Schönerem, nach einem Leben jenseits von Norm, Gesetz und Unterordnung, nur: wehe wenn er losgelassen.

    Den Siegfried als Freund und die Brunhild als Frau, das will König Gunther von Burgund und greift damit zielgenau nach den Titanen, den letzten, die noch übrig sind. Dass er sich im Kampf und im Bett bei der Bezwingung von Braut Brunhild ausgerechnet von Held Siegfried ein wenig helfen lassen muss, das ist ja bekanntermaßen der Anfang vom Ende: Verrat, Rache, Mord und schließlich Krieg sind die unvermeidlichen Folgen und hier, im Krieg, findet man schließlich wieder zu sich selbst zurück, hat dieser Krieg doch beruhigender Weise etwas mit Ordnung zu tun, mit Treue auch, mit Stärke zudem, mit festen Werten auf jeden Fall, da nimmt man das Metzeln doch gern in Kauf.

    Nun hieße Andreas Kriegenburg nicht Andreas Kriegenburg würde er gleichsam Hebbel vom Blatt spielen und die oftmals arg mythelnden Recken, Furien und Heroen sich ungestört lieben verraten und stechen lassen. Nein, Kriegenburg bricht gern aus und schickt seine Figuren etwa in die expressive Körperlichkeit. Dort, wo ihnen die Worte fehlen, überschreitet er oftmals die Grenzen hin zum Tanztheater, oder aber, er schreibt ihnen Text dazu, springt ohne Not in den Jargon von heute, verdeutlicht schon auch einmal worauf er hinauswill, fügt aber vor allem jene Komponente hinzu, die Hebbel wie fast allen deutschen Autoren so richtig und gänzlich abgeht: den Humor. Mit seiner burlesk-überbordenden Phantasie schafft der Regisseur Figuren wie Zuschauern Luft etwa dort, wo sich Kriemhilds sieben Trauerjahre im Burgunder Alltagstrott spiegeln:

    Volker: Ja, eh, bei uns ging alles seinen gewohnten Gang, ähm, sie weinte sehr laut, wirklich laut und im Juni mischte sich das laute Schluchzen mit dem leisen Surren unserer Wormser Rasenmäher....

    Dass er das Stück allerdings nie an den Witz verraten würde, zeigt Andreas Kriegenburg etwa im letzten Teil seiner Nibelungen, in dem die Rache Krimhilds zum groß angelegten Gemetzel zwischen Hunnen und Burgundern führt. Ohne auch nur einen Säbel rasseln zu lassen, erzählt Kriegenburg auf seiner zweistöckig variablen Bühne so eindringlich von Blut und Krieg, wie man das wohl nur selten auf dem Theater gesehen hat. Und so liefert Kriegenburg zusammen mit seinem persönlichkeitsstarken Ensemble eine Aufführung ab, die sich während ihrer bedrohlich daherkommenden Spieldauer von über 5 Stunden, gleichsam pulsierend immer wieder zu großartigen Momenten zusammenzieht und nun, in Zeiten der ebenso verängstigten wie beängstigenden Rückbesinnung auf das Nationale wie ein Ausrufezeichen in der deutschen Theaterlandschaft stehen wird.