Archiv


Rhythmus und Sprache

Neurowissenschaften. - Bis zu 15 Prozent aller Kinder in Deutschland stehen mit dem Alphabet auf Kriegsfuß. Einen Hinweis, wie solchen Kindern geholfen werden könnte, hat nun eine amerikanische Wissenschaftlerin in einigen spannenden Experimenten gefunden, die sie im "Journal of Neuroscience" veröffentlichte. Der Schlüssel könnte in den musikalischen Fähigkeiten der Kinder liegen – schließlich sprechen wir nicht umsonst von Sprachmelodie und Wortrhythmus.

Von Kristin Raabe |
    Der Rhythmus, in dem wir sprechen liefert dem Zuhörer wichtige Informationen. Wir betonen einzelne Silben stärker als andere und machen eine Pause, bevor wir etwas wirklich Wichtiges sagen. Auch der Unterschied zwischen einem P und einem B hat etwas mit dem Tempo zu tun, in dem diese beiden Buchstaben gesprochen werden. An der Northwestern Universität in Chicago untersucht die Biologin Nina Kraus, den Zusammenhang zwischen Rhythmusgefühl und sprachlichen Fähigkeiten:

    "Wir wissen schon seit einiger Zeit, dass die Lesefähigkeit eng verbunden ist mit dem Taktgefühl. Wenn Sie also beispielsweise mit einem Metronom einen Takt vorgeben und ein Kind bitten, mit den Fingern in diesem Takt zu tippen, dann haben Kindern, die schlecht lesen, ziemliche Probleme, den Takt zu halten."

    Nina Kraus wollte genauer wissen, was eigentlich dahinter steckt. Bislang hatten Wissenschaftler sich bei Untersuchungen zu diesem Thema immer nur darauf konzentriert, wie die Fingerbewegung beim Takthalten gesteuert wird. Die Biologin interessierte sich aber für jene Hirnareale, die bei der Wahrnehmung von akustischen Informationen als eine Art Zeitmesser dienen. Zunächst bat sie also 100 Schüler im Rhythmus eines Metronoms mit den Fingern zu tippen. Wie gut der Ton des Metronoms mit dem Tippen des Fingers übereinstimmte, maß dabei ein Computerprogramm. Beim zweiten Teil des Experiments machte sie sich eine besondere Eigenschaft des Gehirns zu nutze: Spielt man einem Menschen einen Ton vor und leitet gleichzeitig mit einem EEG die Hirnströme ab, zeigen die Hirnströme das gleiche Muster, wie die Schallwelle des vorgespielten Tons. Mit einem geeigneten Lautsprecher lässt sich das sogar hörbar machen. In dem Experiment, das Nina Kraus nun mit ihren 100 heranwachsenden Studienteilnehmern durchführte, benutzte sie allerdings keine Töne, sondern Silben.

    "Wir haben den Teilnehmern dann einzelne Silben beispielsweise ein 'Da' immer wieder vorgespielt und dabei ihre Hirnströme abgeleitet. Dann haben wir untersucht, wie ihr Hirn auf die Silben geantwortet hat, ob es dabei beispielsweise zu einem Zittern kam."

    Bei der Auswertung verglich Nina Kraus dann die Ergebnisse aus dem ersten Experiment mit dem Metronom, mit dem zweiten Experiment, bei dem es um die Hirnreaktion ging. Das Ergebnis sprach eine deutliche Sprache: Wenn der akustische Zeitgeber im Gehirn nicht besonders genau war, konnten die Versuchspersonen auch nicht gut den Takt des Metronoms halten und waren im Lesen eher schlecht.

    "Die Schlussfolgerung hier ist ganz eindeutig: Wenn wir durch Musikunterricht das Rhythmusgefühl eines Kindes verbessern, dann verbessern wir damit auch jene Fähigkeiten, die biologisch einfach wichtig sind für Sprache."

    Das Schöne an diesem Ansatz ist, dass eine solche Förderung schon beginnen kann, bevor ein Kind überhaupt Lesen und Schreiben lernt. Anstatt also in mühevollem Unterricht ihren Kindern bereits im Kindergartenalter das ABC beizubringen, sollten ehrgeizige Eltern mit ihrem Nachwuchs vielleicht also lieber trommeln und singen.