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Richard von Weizsäcker
"Ein Brückenbauer zwischen Generationen"

Richard von Weizsäcker habe unterschiedliche Generationen, Religionen und soziale Schichten zusammengebracht, sagte sein ehemaliger Mitarbeiter Friedbert Pflüger im DLF. Sowohl als Bundespräsident als auch privat sei er ein gerechter und feinfühliger Mensch gewesen.

Friedbert Pflüger im Gespräch mit Peter Kapern | 31.01.2015
    Richard von Weizsäcker 1985 bei seiner Rede am Pult des Bundestags in Bonn.
    Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei seiner vielbeachteten Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 im Bundestag in Bonn. (dpa / Heinrich Sanden)
    Peter Kapern: Er stammt aus einer durch und durch politischen Familie. Sein Großvater Ministerpräsident in Württemberg, sein Vater Staatssekretär im Außenministerium zur Nazi-Zeit unter Joachim von Ribbentrop, er selbst seit 1954 Mitglied der CDU, mehrfach Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, Regierender Bürgermeister von Berlin und schließlich Bundespräsident – nun ist Richard von Weizsäcker gestorben.
    Bei uns am Telefon ist nun Friedbert Pflüger, früherer CDU-Bundestagsabgeordneter und viele Jahre lang ein sehr enger Mitarbeiter und Wegbegleiter von Richard von Weizsäcker, guten Tag, Herr Pflüger!
    Friedbert Pflüger: Guten Tag!
    Kapern: Herr Pflüger, wen hat das politische Deutschland da heute mit Richard von Weizsäcker verloren?
    Pflüger: Einen Brückenbauer, Brückenbauer zwischen Generationen, zwischen Religionen, zwischen unterschiedlichen sozialen Schichten, zwischen Geist und Macht. Jemanden, der versucht hat, bei allen Kontroversen, die in der Demokratie dazugehören und die auch notwendig sind, auch das Verbindende zu betonen, den Grundkonsens immer wieder nach vorne zu bringen und uns daran zu erinnern, dass wir bei allen Unterschieden, was politische Meinung angeht, Religion, Herkunft, nur dann eine friedliche Zukunft bauen können, wenn wir auch das Gemeinsame immer wieder betonen. Und das hat er gemacht, das war eine seiner großen Lebensaufgaben. Und ich glaube, das, was eben Frau Limberg im Nachruf gesagt hat, stimmt, er hat das glaubwürdig gemacht. Die Leute haben ihm geglaubt, dass er das auch so meint. Und er hat das auch in der Tat in seinem Leben vorgelebt.
    Kapern: Seine Fähigkeit, Brücken zu bauen, und seine bedächtige Art, mit der er seine Botschaften an die Menschen in Deutschland brachte, hat ihn das geradezu zum Inbegriff des Staatsoberhaupts gemacht?
    Pflüger: Natürlich, das ist ja die Aufgabe des Staatsoberhauptes. Ein Bundeskanzler, in Minister, ein Oppositionsführer, die müssen Kontroversen bestehen, die sind dafür da, eine bestimmte Politik durchzusetzen, umzusetzen, die sind mitten im Konflikt des Alltagsgeschäfts. Das Staatsoberhaupt soll nach unserer Verfassung dem entzogen sein und dafür sorgen, dass wir eben – ich darf es noch mal sagen – das Gemeinsame nicht vergessen über diese Kontroversen. Und hier hat sich in der Tat als Staatsoberhaupt die Funktion und, man kann sagen, die Veranlagung Weizsäckers überschnitten. Und deshalb, er passt einfach zu diesem Amt des Bundespräsidenten in hervorragender Weise. Aber das heißt nicht – das hat auch Frau Limberg eben sehr schön gesagt –, das heißt nicht, dass er Kontroversen aus dem Weg ging. Er konnte auch immer wieder auf vornehme und kluge und sachliche Weise seine eigenen Akzente setzen und lief auch nicht allen hinterher. Er wusste genau, man kann es nicht jedem recht machen, auch nicht als Staatsoberhaupt.
    "Er konnte sehr hart und entschieden sein"
    Kapern: Herr Pflüger, ich habe es eingangs gesagt, diese Rede vom 8. Mai 1985, die wird auf immer mit Richard von Weizsäcker verbunden bleiben. Aber diese Rede liegt ja nun schon mehr als eine Generation zurück. Können Sie denen, die damals nicht die Chance hatten, dieser Rede bewusst zuzuhören oder überhaupt zuzuhören, sagen, was das Bemerkenswerte, das Historische an dieser Rede war?
    Pflüger: Nun, das Bemerkenswerte, weshalb sie auch heute sozusagen zum historischen Inventar dieser Republik gehört, das Bemerkenswerte an dieser Rede war, dass er als erstes Staatsoberhaupt gesagt hat: Der Tag der deutschen militärischen Niederlage, wo normalerweise ein Volk in tiefer Trauer ist und noch Jahrzehnte traurig darüber ist, er hat gesagt, nein, das ist der Tag, an dem wir in Wahrheit befreit worden sind von dieser furchtbaren Nazi-Herrschaft. Er hat natürlich gesagt, das ist kein Tag zum Feiern. Es ist ein Tag, wo wir wissen, dass viele Leute in zerstörten Häusern waren, auf der Flucht waren, zerstörte Illusionen waren damals an der Tagesordnung. Das heißt, die Menschen damals waren sicher traurig und es war furchtbares Leid im Land. Aber dass er die Größe hatte – gerade auch als jemand, der aus der CDU kam – und sagte, das ist nicht der Tag, den wir betrauern sollen, nicht der Tag der Niederlage, sondern es ist der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, und dass er sagte, wir alle müssen diese Vergangenheit annehmen.
    Heute ist das Grundkonsens bei uns, damals war das noch umstritten. Damals war das umstritten, dass die Deutschen die Verantwortung für diese Leiden, die die Nazis über die Welt gebracht haben, unser Volk über die Welt gebracht hat, dass wir die Verantwortung dafür tragen müssen. Und er hat es gemacht in einer Weise, die nicht die Menschen belastet hat. Also, er hat nicht gesagt, gerade die junge Generation konnte nichts dafür, sie war noch gar nicht geboren, und Schuld ist immer etwas Persönliches, es gibt keine Kollektivschuld eines Volkes, man muss also genau hingucken. Aber wir als Deutsche haben die politische Verantwortung und wir haben deshalb die Verantwortung dafür, dass so was nie wieder auf der Welt passiert. Das ist die Botschaft des 8. Mais gewesen. Noch einmal, heute vielleicht für junge Leute etwas Selbstverständliches, damals hat es viele Kontroversen gegeben, wurde er sehr angefeindet. Aber kurze Zeit später zum Beispiel nach Israel eingeladen, als erstes Staatsoberhaupt dann nach Israel gekommen, wo noch viele Holocaust-Überlebende waren, wo noch Israelis sich gar nicht vorstellen konnten, dass überhaupt ein Deutscher jemals israelischen Boden betritt, und dann noch in einer offiziellen Funktion, mit einem offiziellen Staatsbesuch. Das alles mitzuerleben war für mich auch persönlich ein großes Erlebnis. Und deshalb, können Sie sich vorstellen, ist man an einem solchen Tag eben auch sehr traurig.
    Kapern: Herr Pflüger, trotz dieser Trauer gestatten Sie mir noch eine letzte Frage, die wir möglicherweise ein wenig kurzfassend beantworten können: Vor unserem inneren Auge sehen wir Richard von Weizsäcker, wie er über den roten Teppich geht, wie er am Rednerpult steht, wie er bei offiziellen Anlässen Deutschland repräsentiert. Aber wie war er als Mensch? Sie haben so eng mit ihm zusammengearbeitet, wie war er im persönlichen Umgang?
    Pflüger: Ich habe acht Jahre für ihn arbeiten können, persönlicher Referent, Redenschreiber, Pressesprecher, habe ihn sehr eng und nah erlebt auch in der Zeit danach. Er hat mich nie enttäuscht, weder als Chef, noch später. Natürlich hat man auch mal Konflikte gehabt mit seinem Chef, natürlich hat er seine Umgebung auch sehr gefordert, er konnte auch sehr hart und entschieden sein, aber im Ganzen war er sehr gerecht und einfach ein - das, was man sagen kann, ein sehr feiner, feinfühliger, mitfühlender Mensch. Und wir verlieren in ihm eben nicht nur einen großen Politiker und ein Staatsoberhaupt, sondern eben auch einen großartigen Menschen.
    Kapern: Friedbert Pflüger, langjähriger Mitarbeiter des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der heute im Alter von 94 Jahren gestorben ist. Herr Pflüger, wir danken Ihnen dafür, dass Sie Ihre Erinnerungen an Richard von Weizsäcker mit uns und unseren Hörern geteilt haben!
    Pflüger: Auf Wiederhören, danke.
    Kapern: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.