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Rigoroser Pfarrer als religiöser Fundamentalist

Das Thema Religiöser Fundamentalismus hat in den letzten Jahren in vielen modernen Stücken seinen Weg auf die Theaterbühnen gefunden. Aber warum nicht auch bei den Klassikern stöbern und etwa Ibsen schon halb vergessenes Stück "Brand" spielen: "Brand" erzählt die Geschichte von einem rigorosen Pfarrer. Niklaus Helbling arbeitet als freischaffender Autor, Dramaturg und Regisseur- unter anderem auch in Zürich, wo er nun Ibsens "Brand" inszenierte, mit mäßigem Erfolg.

Von Cornelie Ueding |
    Brand ist ein Mensch, der nur schwarz oder weiß kennt, entweder - oder, ja oder nein, alles oder nichts. Kompromisse sind von Übel, ein Zeichen innerer und äußerer moralischer Verkommenheit. Ein Eiferer.

    Hochneurotisch - und unglücklich. Über so einen und alle, die ihm folgen, hätte man vor ein paar Jahren noch schnell den Stab gebrochen. Aber Ibsens Stück zeigt auch - und das passt in unsere Zeit der neuen Religiosität, wie recht Brand hat mit seiner Kritik an den lauen, opportunistischen Zeitgenossen, die, möchte man hinzusetzen, Fanatiker wie ihn geradezu zwangsläufig hervorbringen.

    Vorbild für die Figur Brand (das bedeutet auch im Original "Feuer") ist ein charismatischer Bußprediger, der Mitte des 19. Jahrhunderts in Südnorwegen eine religiöse Erweckungsbewegung anführte, der sich auch Ibsens Bruder angeschlossen hatte. Und Ibsen selber bekennt im Rückblick, er habe beim Schreiben "einen regelrechten Kreuzzugsjubel" in sich gefühlt. Es macht die Qualität dieses Stückes aus, mit dem er berühmt wurde, dass er über allem kämpferischen Jubel die Ambivalenz solcher Brandstifter nicht übersehen hat.

    Brands Glaubensrigorismus erweist sich als in hohem Maße zerstörerisch für alle, die ihm nahe kommen, einschließlich seiner selbst. Seiner Mutter verzeiht er nicht mal auf dem Sterbebett, dass sie sich höchstens von 9/10, nicht aber von allen ihren Reichtümern trennen will. Und seine strengen Grundsätze führen auch zum Tod seines Kindes und seiner darüber im Wortsinn trost-losen Frau.

    Brands Gott fordert Leiden im Dienst für seine Sache. O-Ton: Man darf niemandem nachtrauern, also richtet der Pastor von nun an alle Kraft und sein ganzes Vermögen auf den Bau einer großen Kirche für das Dorf. Nach dem Motto: "Und ich fühle klar und rein/ unsre Kirche ist zu klein". Natürlich ist sie ihm, als sie fertig ist, immer noch zu klein und er versteigt sich mit vielen Anhängern in die Berge, um dort seinen Gott zu finden.

    Was er finden wird, ist der Tod, nachdem alle Wankelmütigen, Nicht-Entsagungsbereiten den Verlockungen des erbärmlichen kleinen Lebens erlegen und längst wieder umgekehrt sind. Niklaus Helbling und sein Bühnenbildner Dirk Thiele haben in Zürich viel Aufwand mit der Gestaltung eines hoch aufragenden, steilstufigen und oben immer schmaler werdenden Bergpodests getrieben, einschließlich aufklappbarer Stufen, ausgeklügelter Leitersysteme und eines Hintergrundpodests.

    Absturzgefahr inbegriffen. Aber nicht mal mit dieser Gratwanderung weiß die Regie zu spielen. Ängste und Anspannung erreichen den Zuschauer ebenso wenig wie die Trauer um das Kind im Pappkarton mit aufgemaltem Bettchen. Das Riesengerüst, das fast drei Stunden lang munter und kletterfreudig bespielt werden muss, erweist sich schnell als Falle für die Aufführung.

    Die szenische Phantasie bleibt auf der Strecke - so demonstrativ die Machart des Spiels auch vorgeführt wird: Ansage von Regieanweisungen, Mikro und Verstärker transportabel, meist da unten, wo man sich zuweilen den Fjord denken soll; Fabrikation von Hintergrundmusik und -geräuschen, zum Beispiel durch das Zerknüllen und Knautschen von Plastiktüten vor dem Mikro; immer wieder mal sichtbare Um- und Einkleidung der Darsteller, denn acht von zehn treten in wechselnden Rollen auf und alle sind auch für die Umbauten am Berg zuständig.

    Die Grenze zum Zeigetheater ist fließend und wird allzu oft überschritten. Schlimmer ist, dass, Brand selber etwas ausgenommen, alle Figuren ganz stereotyp behandelt, ja karikiert werden - eine eher dürftige Methode, um die Hauptfigur ins Recht zu setzen gegenüber Verkörperungen von Bauernschläue und Dummdreistigkeit, flehender Unterwürfigkeit, fanatischer Enge, leicht irrer Verzückung, Bigotterie, Eitelkeit und opportunistischer Weltklugheit.

    Am schlimmsten aber ist die Sprachregie. Helbling hat eine eigene Fassung auf Basis der Versübertragung von Christian Morgenstern erarbeitet - und nun kann er nicht mit der gereimten Sprache umgehen. Nicht mal richtig klappern lässt er Merksätze wie "Armut wird es immer geben/ damit muss ein jeder leben".

    Genau genommen gelingt es nur Marcus Kiepe als Vogt, Brands weltläufigem Gegenspieler, sich immer wieder aus dem Sog des deklamatorischen Aufsagens zu befreien, dem alle anderen Figuren erliegen - bis zur Unverständlichkeit. Sprich nicht so schön, soll Brecht mal zu einem Schauspieler gesagt haben, der's auch so gemacht haben muss, ich versteh nichts.