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Rivalitäten und Geopolitik
"Die OSZE ist in einer Krise"

Die Mandate der wichtigsten OSZE-Führungspositionen wurden nicht verlängert. Dahinter stehen Machtspiele der Mitgliedsstaaten, sagte Stephanie Liechtenstein im Dlf. Die Journalistin und OSZE-Expertin befürchtet schwere Auswirkungen auf die Arbeit der Organisation in Krisenregionen.

Stephanie Liechtenstein im Gespräch mit Britta Fecke | 20.07.2020
Flaggen der OSZE-Mitgliedstaaten stehen in Hamburg.
57 Mitgliedsstaaten mit eigenen Interessen: Die OSZE steckt in der Krise (dpa / picture alliance / Christian Charisius)
Es waren die OSZE-Mitarbeiter, die die Situation im umkämpften Osten der Ukraine beobachteten. Es sind die OSZE-Gesandten, die die Rechtsstaatlichkeit von Wahlen bestätigen – oder eben nicht. Es ist die Mission dieser zwischenstaatlichen Institution, Frieden und Demokratie in allen ihren 57 Mitgliedsländern zu sichern. Vor allem durch den politischen Dialog. Doch der scheint innerhalb der Institution im Moment nicht mehr zu funktionieren, denn die Mitgliedstaaten haben die Mandate der wichtigsten Führungspositionen nicht verlängert. Jetzt steht die OSZE plötzlich ohne Führung da.
Die Journalistin Stephanie Liechtenstein war einige Jahre für die OSZE tätig und kennt die Hintergründe.
Britta Fecke: Kam diese Nichtverlängerung der Mandate für Sie überraschend?
Stephanie Liechtenstein: Hierzu muss man vielleicht kurz in die Vergangenheit blicken. Normalerweise ist eine Verlängerung der Mandate dieser vier Spitzenposten eine reine Formsache. Allerdings hat man im Jahr 2017 ein politisches Gesamtpaket dieser vier Positionen geschnürt, und somit war eigentlich immer klar, dass eine Verlängerung nur dann problemlos funktionieren würde, wenn kein einziges OSZE-Mitgliedsland gegen einen dieser Kandidaten Einspruch erheben würde.
Das heißt seit spätestens Anfang Juni, als ich aus Diplomatenkreisen erfahren habe, dass eines der Länder, nämlich Aserbaidschan, einer Verlängerung des OSZE-Medienbeauftragten, des Franzosen Harlem Désir, nicht zustimmen würde, spätestens ab diesem Zeitpunkt war mir klar, dass es sehr, sehr schwierig werden würde. Und das eben genau das Problem eingetreten ist, dass diese berühmte Büchse der Pandora dadurch geöffnet wurde, und zu einer Kettenreaktion weiterer Staaten geführt hat, die dann eben das Gesamtpaket zu Fall gebracht hat. Hier haben sich weitere Staaten dann ebenfalls gegen den Medienbeauftragten gestellt, aber eben auch gegen die Direktorin des Büros für Menschenrechte und Wahlbeobachtung, eine ehemalige isländische Außenministerin. Das waren zwei Länder, nämlich Tadschikistan und die Türkei.
Machtspiele und Retourkutschen
Diese Aktionen dieser drei Länder haben ihrerseits eine Gruppe an westlichen Staaten auf den Plan gerufen, die dann die übrigen zwei Posten, nämlich den OSZE- Generalsekretär Thomas Greminger und den Italiener Lamberto Zannier, den Hohen Kommissar für nationale Minderheiten, blockiert haben. Hier muss man sich ganz ehrlich die Frage stellen, wie kommen führende westliche Länder wie Frankreich, Kanada, Norwegen und Island dazu, so eine Aktion in einer so wichtigen internationalen Organisation zu starten.
Hier gibt es einerseits Meinungen, die sagen, dass diese Länder sich eben als Retter der wichtigen Institutionen im Bereich der Medienfreiheit und der Menschenrechte aufgestellt haben und gemeint haben, sie können nur so ein wirklich großes Druckmittel für die weiteren Verhandlungen in der Hand haben, wenn eben auch die anderen beiden Posten blockiert werden. Ganz schlüssig ist das aber nicht, muss man ehrlich sagen, weil sich diese Staaten auch nicht auf weiterer hoher politischer Ebene für ihre Kandidaten eingesetzt haben.
Das heißt, man muss doch davon ausgehen, dass das hier wirklich ein Machtspiel war und bis zu einem gewissen Grad auch eine Retourkutsche dieser westlichen Länder gegen die anderen drei Länder, die zu diesem jetzt doch eher dramatischen Führungsvakuum geführt hat.
Fecke: Kann man daraus schließen, dass die OSZE in gewisser Weise ein Abbild der aktuellen Geopolitik ist?
Liechtenstein: Ja tatsächlich ist die OSZE so ein Abbild. Sie basiert auf Konsens, was bedeutet, die internationalen Beziehungen spiegeln sich in dieser Organisation wider. In der OSZE sieht man aber eben zunehmend, dass nicht nur Großmächte, sondern auch andere Staaten, die eigentlich sonst immer für internationale Zusammenarbeit eingetreten sind, sich nun sehr stark auf Rivalität und auf eigene nationalstaatliche Interessen fokussieren und eigentlich dem Multilateralismus bis zu einem gewissen Grad den Rücken gekehrt haben.
Ein Demonstrant mit Regenbogen-Fahne und Pelzmütze steht am 30.04.2017 in Berlin beim Start einer dreitägigen Mahnwache zum Schutz von Schwulen in Tschetschenien.
Tschetschenische Homosexuelle: Kein Outing aus Angst
Schwulenverbände, russische Zeitungen und OSZE berichten von Verhaftungswellen gegen Homosexuelle in Tschetschenien. Entsprechend hoch ist die Zahl der Menschen, die aus dem Land fliehen.
Führungsvakuum hat schwere Auswirkungen auf die OSZE
Fecke: Wie würden Sie das einschätzen, stürzt diese Führungslosigkeit die OSZE jetzt in eine tiefe Krise? Und ist sie überhaupt noch handlungsfähig?
Liechtenstein: Ja, die OSZE ist meiner Meinung nach tatsächlich in einer Krise, denn es sind eben alle vier Führungspositionen nun unbesetzt. Es ist auch vollkommen unklar, wie lange dieses Vakuum an der Spitze der Organisation andauern wird, denn diese Verhandlungen sind eben aus Erfahrung sehr, sehr schwierig. Und ich sehe hier doch, je länger das dauert, schwere Auswirkungen vor allem auf die Möglichkeit der Organisation, in den von Ihnen schon in der Moderation angesprochenen Konfliktregionen zu agieren, wie eben zum Beispiel in der Ukraine, aber auch in den anderen wichtigen noch bestehenden Konflikten in Europa, wie etwa um Berg-Karabach oder Transnistrien.
Denn obwohl es einen Vorsitz gibt in der OSZE, der jährlich wechselt und den derzeit Albanien inne hat, und das nach wie vor natürlich an der Spitze der Organisation steht, ist die Rolle des Generalsekretärs gerade in diesen Konfliktmanagement-Tätigkeiten der Organisation sehr wichtig. Der Generalsekretär unterstützt hier sehr stark den Vorsitz, und je länger man hier niemanden hat, der auch mit einem politisch starken Mandat ausgestattet ist, wird es meiner Meinung nach einfach zu einer Reduzierung der Möglichkeiten dieser Organisation kommen. Das gleiche gilt für den Bereich der Minderheitenrechte und der Medienfreiheit, die hier de facto ausgeschaltet ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.