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Rock-Urgesteine Kansas
Die Prog-Propheten

Kansas, die 70er-Superstars des Classic Rock, erleben durch die Fernsehserie „Supernatural“ derzeit eine Renaissance. Und die Musik? Ihr 16. Album "The Absence Of Presence" klingt frisch, die Band glänzt mit spielerischer Raffinesse und auch Mut zum Risiko. Wo ist der Haken? Vielleicht im Album-Titel.

Von Marcel Anders |
    Sieben Männer sitzen in einem historischen Theater im Publikumsraum.
    Hybrid-Rock mit balladesken und psychedelischen Momenten: so klingen Kansas auch auf ihrem 16. Album (EMily Butler)
    Musik: "Carry On Wayward Son"
    "Wayward Son" ist das inoffizielle Titellied dieser Serie. Und seitdem es dort auftaucht, ist es plötzlich wieder angesagt. Bei einer Hörerschaft, die viel jünger ist und größtenteils gar nicht weiß, von wem der Song stammt. Sie mag ihn einfach. Und wenn sie ihn auf YouTube oder Spotify sucht, stößt sie auf Kansas. Das sorgt dafür, dass jede Menge Kids zu Fans werden, wegen der TV-Show." Phil Ehart hat schon einiges erlebt: Von frühen Auftritten bei Rodeos und in Bikerbars, über eine Gage von einem Dollar pro Tag bis zu triumphalen Tourneen mit Queen und Rush. Aber dass ihn eine düstere Fantasy-Serie attraktiv für die Weltjugend macht, überrascht den 70-Jährigen dann doch. Schließlich hatte er sich schon damit abgefunden, Schlagzeuger eines reinen Oldie-Acts zu sein. Einer sogenannte Classic Rock-Band, die mit den Hits von Gestern tingelt und ein Publikum in Nostalgie-Laune bedient. Dafür haben Kansas mit "Carry On Wayward Son" und "Dust In The Wind" die perfekten Songs: "Ich kann euch sagen, warum die beiden so groß geworden sind, weil sie unglaublich gut sind. Alles andere, was wir je gemacht haben, ist dagegen auf der Strecke geblieben. Aber "Wayward Son" läuft bis heute im Radio. In manchen Jahren ist es die meistgespielte Nummer der Welt, dann fällt sie mal auf Platz zwei oder drei zurück, um anschließend wieder die Spitze zu erobern. Das bedeutet: Es handelt sich um einen Song, den die Leute lieben. Dasselbe gilt für "Dust In The Wind", das von zig Künstlern gecovert wurde: von Sarah Brightman bis zu den Scorpions."
    Musik: "Dust In The Wind"
    Ohrwürmer wie "Dust In The Wind" gelingen Kansas im 47. Jahr ihres Bestehens nicht mehr, aber das Septett präsentiert sich als eine Band im dritten Frühling: Aktuell ist neben Ehart nur noch Gitarrist Rich Williams von der Originalbesetzung übrig, doch "The Absence Of Presence" klingt überraschend stark und kann mit Meilensteinen wie "Leftoverture" oder "Point Of Know Return" aus den späten 1970ern mithalten. Die typischen Merkmale des Kansas-Sounds sind weiter vorhanden: Einprägsame Gesangsmelodien, Orgel und natürlich die Geige. Ein eigenwilliger Rock-Hybrid mit balladesken und psychedelischen Momenten sowie abenteuerlichen Stil- und Tempiwechseln. "Was unsere Musik betrifft, sind wir hochgradig schizophren. Und das ist der Grund, warum es einigen Leuten, insbesondere Kritikern so schwerfällt, uns zu verstehen. Weil unsere Songs so unterschiedlich sind, dass sie in keine bestimmte Kategorie passen. Wir selbst halten das allerdings für eine positive Sache und glauben, dass wir einen guten Job leisten, egal, ob wir uns an Prog Rock, Hard Rock oder Balladen versuchen. Das entscheidende ist, dass es tolle Songs sind und sie zu Kansas passen."
    Musik: "Memories Down The Line"
    "Memories Down The Line" - eine Kostprobe aus "The Absence Of Presence". Ihr kommendes, 16. Album zeigt Kansas als vitale Oldtimer, die mal ein bisschen an Genesis, Yes oder Styx erinnern. Dabei klingt die Band kein bisschen angestaubt, sondern im Gegenteil: extrem frisch. Und sie glänzt mit handwerklichem Können, spielerischer Raffinesse und Mut zum Risiko. Etwa bei der Single "Throwing Mountains" findet auch Schlagzeuger Phil Ehart. "Es könnte der härteste Song sein, den Kansas je geschrieben hat. Klar, auch "Wayward Son" besaß ein heftiges Gitarrenriff und wir hatten noch andere harte Songs. Aber dieser ist ausgesprochen heavy. Und wir haben einen Heidenspaß dabei, ihn zu spielen."
    Musik: "Throwing Mountains"
    Was für die Musik gilt, das setzt sich in den Texten fort. Da sind Kansas ebenfalls auf der Höhe der Zeit. Die neun Stücke, die zwischen viereinhalb und epischen achteinhalb Minuten dauern, halten den USA den Spiegel ins Gesicht: Als ein Land, das von machtgierigen, alten Männern regiert wird, sich in sozialen Medien verliert und jegliche Spiritualität vermissen lässt. Durch die Corona-Pandemie gewinnt der Albumtitel, zu Deutsch: "Mangel an Präsenz", noch an Bedeutung: "Natürlich haben wir das nicht vorhergesehen als wir die Songs zusammengestellt haben, aber es verleiht uns etwas Prophetisches. Sprich: Es lässt uns ziemlich intelligent aussehen. Dabei basiert das Titelstück allein darauf, dass uns aufgefallen ist, dass wir oft von Leuten umgeben sind, die irgendwo anders sind. Die so mit ihren Mobiltelefonen, Tablets oder Computern beschäftigt sind, dass sie nichts mitbekommen. Deshalb fühlt man sich selbst unter vielen Menschen oft sehr einsam."
    Musik: "The Absence Of Presence"
    Obwohl Phil Ehart mehrfacher Großvater ist und allein in den USA auf stolze 15,5 Millionen verkaufter Alben zurückblicken kann: Ans Rock´n´Roll-Altenteil denkt der weißhaarige, ältere Herr noch lange nicht. Dafür genieße er den aktuellen Popularitätsschub der Band zu sehr, genau wie die neuen Songs. "Unser Publikum ist größer als vor 20 oder 30 Jahren, und deshalb wäre es dumm, einfach aufzuhören. Klar, habe ich vor zehn Jahren gedacht, dass ich mit 70 längst in Rente sein würde. Doch jetzt sage ich mir: "Ich fühle mich toll - ich hänge noch mal zehn Jahre dran." Eine charmante Drohung. Und: Wenn es die Corona-Situation zulässt, gehen Kansas Ende Oktober wieder auf Deutschland-Tournee. Geplant sind sechs Konzerte in Frankfurt, Hamburg, Berlin, München, Heilbronn und Bochum. Das aktuelle Programm: Eine Mischung aus Klassikern und neuen Stücken.