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Röttgen kehrt auf die kleine Bühne zurück

Vor einem Jahr verlor Norbert Röttgen seinen Posten als Umweltminister. Er bleibt der Politik aber erhalten und erzählt, rückblickend habe er mit seinem Rauswurf etwas "sehr menschlich Positives im Unerfreulichen erlebt".

Von Barbara Schmidt-Mattern |
    "Guten Abend, hallo, herzlich willkommen!"

    Äußerlich betrachtet ist er ganz der Alte: Graue Designerbrille, Kurzhaarschnitt, das Gesicht leicht gebräunt steckt Norbert Röttgen in einem wie immer perfekt sitzenden Maßanzug. Er strahlt in die Runde, schüttelt Hände und – auch das ist wie eh und je: Smalltalk ist nicht sein Ding.

    "Wann bist du denn geflogen?"

    Früher warteten andere auf ihn, wenn er mit Entourage und Dienstlimousine heranrauschte. Jetzt ist es umgekehrt. Der geschasste Bundesumweltminister a.D. steht im urigen Innenhof von Burg Heimerzheim im Rhein-Sieg-Kreis und begrüßt jeden Gast einzeln: herausgeputzte Ehepaare, kommunale Funktionsträger und Parteifreunde aus seinem Wahlkreis.

    "Wie lange haben Sie gebraucht? Ich bin von Hamburg gekommen …"

    Es ist der Auftakt zu einer neuen Gesprächsreihe, die Röttgen sich erdacht hat: Kaminrunden mit klugen Köpfen, ein Entrenous zur Wirtschafts-, Energie- oder Außenpolitik. Zur Premiere an diesem sonnigen Frühlingsabend ist Israels früherer Botschafter Avi Primor eingeflogen. Man kennt sich, und dennoch wirkt der einstige Spitzenpolitiker jetzt nervös. So sehr, dass er sich mit seinem Namen artig noch einmal vorstellt:

    "Guten Abend, guten Abend … Norbert Röttgen, Herr Primor, es freut mich sehr, herzlich willkommen, dass Sie da sind …"

    Das letzte Jahr hat Wunden hinterlassen. Nicht sichtbar, sondern spürbar. Erst die haushoch verlorene Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, dann der Rauswurf aus dem Bundeskabinett, der Abgang als Merkels Vize an der Parteispitze. Doch über all das will Röttgen jetzt nicht reden. An der Seite von Avi Primor geht es durch breite Flügeltüren hinein zu den Gästen.

    "Danke, dass wir heute hier in euren Gemäuern sein dürfen"

    Nach dem Grußwort der CDU-Kreisvorsitzenden tritt Röttgen nach vorn. Früher war der 47-Jährige oft der Hauptredner des Abends, jetzt rollt er den roten Teppich für andere aus, und er fremdelt mit dem Mikrofon. Die Stimme, der Atem, die Wortwahl – es klingt sympathisch, aber nicht mehr souverän:

    "Wir alle freuen uns, glaube ich gemeinsam, dass wir so viele sind, dass wir zusammengekommen sind. Trotz starker Konkurrenz des schönen Wetters. Fußball-Konkurrenz ist da, aber wir sind hier, und das ist eine tolle Sache. Ich will keinem zu nahe treten, aber am allermeisten, Herr Primor, sind wir wegen Ihnen da"

    Avi Primor wird jetzt mindestens eine Stunde über den Nahost-Konflikt sprechen und sich anschließend noch von einem klugen Professor auf der roten Couch befragen lassen. Röttgen hört den Rest des Abends zu – mehr nicht. Mit aufgestütztem Kinn sitzt er kerzengerade in der ersten Reihe, während der hoch angesehene Gast aus Israel ihn aus Versehen falsch betitelt:

    "Ich erzähle Ihnen ganz kurz, weil Bundesminister Röttgen das erwähnt hat, ich habe ein Projekt mit der Universität Düsseldorf"

    Es wird ein intellektueller Abend über die großen Fragen der Weltpolitik. Auf diesem Terrain fühlt sich Röttgen immer noch zu Hause, auch wenn er in Berlin seit einem Jahr kaltgestellt ist. Avi Primor erweist ihm hingegen gleich einen doppelten Freundschaftsdienst: Kritik an Röttgens Ex-Kabinettskollegen und Lob für den Geschassten selbst:

    "Weil er tatsächlich von der Außenpolitik viel versteht, Interesse für Außenpolitik hat. Und ich möchte schon in der Bundesregierung Leute haben, die die Außenpolitik verstehen und nicht nur an die Wahlen denken."

    Röttgen selbst lässt zu fortgeschrittener Stunde bei einem Glas Wein durchblicken, wie er die vergangenen zwölf Monate empfunden hat. Jetzt wirkt er zum ersten Mal gelöst. Gab es einen Moment, in dem er hinwerfen wollte?

    "Nein, gab es nicht. Es gab zwar besonders unschöne Erfahrungen, aber die haben nicht mein Verhältnis zur Politik berührt, infrage gestellt, auch wenn sie unerfreulich waren. Ich habe aber auch sehr menschlich Positives im Unerfreulichen erlebt und erfahren. Insofern, so komisch, so paradox es klingt, bin ich auch dankbar zu einem Teil. Zu einem anderen Teil war es sicherlich etwas, was ich mir nicht gewünscht habe, um es milde auszudrücken, aber das hat mein Verhältnis zur Leidenschaft der Politik nicht infrage gestellt."

    Er wolle sich jetzt stärker in die Außenpolitik einarbeiten, sagt der frühere Energieminister. Ansonsten kein Wort zu seiner künftigen Karriereplanung. Andere wechseln in die Wirtschaft oder gehen ins Kloster, Röttgen arbeitet erst einmal auf kleiner Parzelle. In den Heimatzeitungen fordert er jetzt für seinen Wahlkreis den Ausbau von S-Bahn-Linien oder er feiert mit der örtlichen Frauen-Union das 40. Jubiläum.

    "Ich komme ja auch hierher und habe hier immer politisch gearbeitet. Mir hat das auch immer Freude gemacht, über Politik mit den Menschen hier zu reden. Also insofern sehe ich mich, was das anbelangt, sehr viel stärker in der Kontinuität als in irgendeiner Form des Neuanfangs."

    Mit anderen Worten: Von Abschied ist keine Rede. Für die anstehende Bundestagswahl hat sich Röttgen im Rhein-Sieg-Kreis erneut als Kandidat aufstellen lassen. Er ist bislang der Einzige von Angela Merkels ehemaligen Kontrahenten, der wenigstens noch einen Koffer in Berlin hat.