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Roland Schimmelpfennig
Die ganze Welt ist für alle da

Im städtischen Schwimmbad treffen zwei unterschiedliche Gruppen Jugendliche aufeinander zu einer verbotenen Plansch-Orgie: eine deutsche und eine türkische Clique. Roland Schimmelpfennig verdichtet in seinem Stück "Das schwarze Wasser" gesellschaftliche Widersprüche in ganz banalen Situationen. Am Nationaltheater Mannheim wurde es uraufgeführt.

Von Christian Gampert | 11.01.2015
    Die Schauspieler Reinhard Mahlberg (l-r), Anke Schubert und Boris Koneczny stehen am 03.01.2015 während einer Probe für das Stück "Das schwarze Wasser" im Nationaltheater in Mannheim (Baden-Württemberg) auf der Bühne.
    In dem Theaterstück wird aus dem Abstand von über 20 Jahren von einem altmodischen allwissenden Erzähler berichtet. (picture alliance / dpa - Florian Merdes)
    Der Dramatiker Roland Schimmelpfennig hat in den letzten Jahren sein Verfahren eines modernen epischen Theaters nahezu perfektioniert. Seine Figuren erzählen uns eine Geschichte, die sie uns dann vorspielen; in die sie sich, je nach Stimmung, hineinbegeben und von der sie sich distanzieren. Leitmotive werden angeschlagen und verhallen wieder, Personen tauchen auf und verschwinden, Zeitebenen werden ineinander geschoben.
    Mit dieser Methodik verhandelt Schimmelpfennig die großen Gegenwarts-Themen, von der Migration (etwa in "Der goldene Drache") bis zur zerbrechenden postbürgerlichen Familie (in "Das fliegende Kind"). Immer ist Schimmelpfennig höchst unterhaltsam, und immer schrammt er knapp am Kitsch vorbei. Dass die Uraufführung von "Das schwarze Wasser" nun wenige Tage nach den islamistisch motivierten Anschlägen von Paris stattfindet, auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo", lädt das Stück zusätzlich auf.
    Clash of Civilizations
    Denn Schimmelpfennig lässt hier zwei Welten aufeinanderprallen: eine deutsche Oberschichtswelt und einen türkischen Unterschichtskosmos. Olymp und Hades. Dass dieser Clash of Civilizations erotischer Natur ist, macht die Sache etwas spannender als die öden Politverhandlungen in den Talkshows. Und gesprochen wird bei Schimmelpfennig nicht gerade viel: 100 Seiten Text, aber auf so einer Seite steht kaum was drauf. Oft nur Substantiv-Reihungen. Schimmelpfennig ist ein Meister der Aussparung. Der Regisseur müsste das nutzen; Burkhard Kosminski tut das nicht.
    Eine Gruppe Jugendlicher, Abiturienten, trifft sich nachts im städtischen Schwimmbad verbotenerweise zu einer Plansch-Orgie; im dunklen Wasser spiegeln sich die Sterne, die bei Schimmelpfennig natürlich vom Himmel geholt werden müssen. Die Gruppe trifft auf eine zweite Clique, türkische Jugendliche, die die gleiche Idee hatten, sich von den Deutschen aber nun sagen lassen müssen: Wir waren zuerst hier.
    Im Laufe der Schwimmübungen stellt sich natürlich heraus, dass nicht nur das Schwimmbad, sondern die ganze Welt für alle da ist. Und während die einen noch flirten oder debattieren, tauchen zwei Menschen für einen magischen Moment völlig ab, Frank und Leyla, ein deutscher Oberschichtsschnösel und eine türkische Schönheit aus dem proletarischen Kiez. Wenn wir uns das Ganze in Berlin vorstellen, hieße das: Dahlem und Kreuzberg.
    Gesellschaftliche Widersprüche
    Es ist Schimmelpfennigs große Gabe, gesellschaftliche Widersprüche in ganz banalen Situationen zu verdichten, ohne Lösung, leicht melancholisch umflort: lovers, just for one day. Es geht weiter im Kebab Imbiss und in der Roxy Bar. Und berichtet wird das Ganze - von einem ganz altmodisch allwissenden Erzähler - aus dem Abstand von über 20 Jahren, wenn also die einstmals formschönen Jugendlichen schon zu leicht angefetteten Mittvierzigern geworden sind, Zahnärztin, Schuldirektorin, Fleischfabrikant und Minister die einen, Sprechstundenhilfe, Supermarktkassiererin, Bäcker und Autohändler die anderen. Die einen sind aufgestiegen, die anderen wohnen immer noch da, wo sie immer schon waren.
    Das klingt alles sehr didaktisch, und das ist es auch. Aber Schimmelpfennig stellt uns durchaus die Frage: Was wäre wenn? Wenn diese Welten nicht so parallel vor sich hinleben würden wie zum Beispiel in Mannheim, wo das Stück nun uraufgeführt wird, wo es zwar die "Söhne Mannheims" gibt, wo aber die Türken auch weitgehend unter sich bleiben, eigene Geschäfte, eigene Cafés, eigene Discos. Mathematisch gesagt: es gibt gemeinsame Teilmengen, mehr nicht.
    Regisseur Burkhard C. Kosminski legt die vom Autor angeregte Umarmung deutscher und türkischer Kultur allerdings äußerst spartanisch und brechtisch an, um nicht zu sagen: fast frigide. Die sechs nur sehr langsam auftauenden Schauspieler dürfen allerhöchstens mal nette Politikerposen abliefern oder lustig-religionsparodistisch vor falscher Coca-Cola-Exegese warnen. Ansonsten schwebt die Power der deutsch-türkischen Love eher als Schnulze von "Frankie goes to Hollywood" über der Aufführung. Und wenn die weinende Leyla ihrem Frank nach 20 Jahren dessen alte Liebeserklärung zeigt, schaut auch bei Autor Schimmelpfennig Doktor Schiwago um die Ecke. "In deinen Augen liegt der Himmel", schreibt er sentimentalisch, "und ohne dich... bleibt nichts zurück als Dunkel".