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Rot-Rot-Grün in Thüringen
"Es gibt Bruchstellen in dieser Koalition"

Die Thüringer SPD werde durch die rot-rot-grüne Regierung Schaden nehmen, sagte Stephan Hilsberg, Mitbegründer der SPD in der DDR, im DLF. Der Linkspartei warf er vor, dass sie sich immer noch nicht von der DDR verabschiedet habe und die Grünen hätten bereits bei der Ressortaufteilung Fehler gemacht.

05.12.2014
    Stephan Hilsberg, DDR-Bürgerrechtler und SPD-Begründer in der DDR
    Stephan Hilsberg, DDR-Bürgerrechtler und SPD-Begründer in der DDR (imago/Müller-Stauffenberg)
    Silvia Engels: Es war spannend und es lief nicht alles glatt. Bodo Ramelow ist erst im zweiten Wahlgang zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt worden. Er ist der erste Regierungschef eines Bundeslandes, der von der Linkspartei kommt. Eine Stimme Mehrheit hat sein rot-rot-grünes Bündnis und im zweiten Anlauf bekam er dann die notwendigen 46 Stimmen.
    Mitgehört hat Stephan Hilsberg. Er ist Mitbegründer der SPD in der DDR zu Wendezeiten. Guten Tag, Herr Hilsberg.
    Stephan Hilsberg: Guten Tag, Frau Engels.
    Engels: Sie haben schon vor Monaten vor diesem rot-rot-grünen Bündnis gewarnt. Wird für Sie heute ein Albtraum wahr?
    Hilsberg: Na ja, ein Albtraum ist das nicht. Ich halte es für falsch. Ich glaube, dass das nicht die richtige Antwort ist auf die Verantwortung, die die Linkspartei als ehemalige SED für die SED-Diktatur trägt. Ich habe diese Entwicklung ausgesprochen bedauert. Ich bin da lange nicht der einzige, der das so bedauert hat. Es hat in Thüringen ja auch Kundgebungen dagegen gegeben und bei diesen Kundgebungen spürte man, dass der Protest gegen einen linken Ministerpräsidenten in Thüringen aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Ich habe ein bisschen nachgedacht, als sich Ramelow so auf Johannes Rau bezog, einen unserer sozialdemokratischen Stammväter, der ja in der Tat sehr ernst gemacht hat mit dem Spruch versöhnen statt spalten. Aber der ganze Vorgang, der da in Thüringen stattgefunden hat, hat die Gesellschaft tatsächlich mehr gespalten als sie versöhnt. Ich glaube, das ist eine Sache, mit der viele Menschen nicht so einfach leben können und die sie für falsch halten.
    Engels: Sie sprechen die Antrittsrede von Bodo Ramelow an. Da hat er ja auch einen Freund und Opfer des SED-Staates namentlich angesprochen, Andreas Möller, der selber im Gefängnis war in der DDR. Er hat sich ausdrücklich noch mal für das ihm angetane Leid entschuldigt. Wie wichtig war denn dieses Signal aus Ihrer Sicht?
    Hilsberg: Na, vielleicht ist es so, dass Bodo Ramelow das ernst meint mit solchen Entschuldigungen. Sicherlich ist er sich über die taktische Bedeutung von solchen Entschuldigungen im Klaren. Dass seine Partei es mit solchen Entschuldigungen nicht ernst meint, das kann man immer wieder sehen. Da ist die alte DDR doch noch immer sehr lebendig, auch die Debatte über den Unrechtsstaat. Man spürt, dass die sich von ihrer DDR nicht wirklich verabschiedet haben. Das ist ihr Identifikationsmuster und sie halten eigentlich in ihrem Kern an der Richtigkeit dieses Versuches fest, der in Ostdeutschland zu unendlichem Leid, zum wirtschaftlichen Bankrott und zu gewaltigen Kosten geführt hat. Dann ist es, na sagen wir mal, vielleicht ein lobenswertes Zeichen, aber es ist eben doch auch das Zeichen eines Mannes, der für eine Partei steht, die ich an der Spitze einer Regierung in Deutschland nicht sehen möchte.
    Engels: Befürworter dieses Bündnisses in der SPD sagen aber auch, es sei Teil des normalen demokratischen Prozesses, des Zusammenwachsens nach 25 Jahren, auch der Linken einmal Regierungsverantwortung im Land zu übertragen. Sind Sie zu unversöhnlich?
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    Linke im demokratischen Wettbewerb, in der Regierung nicht
    Hilsberg: Nein, das glaube ich nicht, dass ich zu unversöhnlich bin. Wissen Sie, ich mach mir da auch immer wieder meine Gedanken drüber. Aber das hat zu tun mit der Antwort, die ich mir überlegt hatte schon am Ende der DDR: Wie geht man mal mit einer solchen politischen Kraft um, die für diese Diktatur, für über 100.000 Tote, für dieses politische Unrecht, für Mauer und Stacheldraht, für Gefängnis, für zerstörte Biografien und für diesen wirtschaftlichen Bankrott verantwortlich ist. Das geht ja ganz, ganz tief ins Denken hinein. Das ist im Grunde genommen totalitäres Denken gewesen, was die Partei praktiziert hat, und das war dann logisch und folgerichtig, dass sie, als sie an der Macht war, das in ein Staatsverbrechen gewissermaßen hat umwandeln lassen. Ich finde, eine solche Partei gehört nicht an die Macht.
    Die richtige Antwort darauf war die, die wir damals gegeben hatten: Sie sollte sich am demokratischen Wettbewerb beteiligen, aber sie sollte nicht in die Regierung. Das ist eine Entwicklung, die hat auch viel mit Fehlern der anderen demokratischen Parteien zu tun. Da hat keine der demokratischen Parteien sich mit Ruhm bekleckert. Es sind auch viele Fehler innerhalb der SPD gemacht worden, die ein veraltetes Bündnis- und Lagerdenken hier wieder praktizieren, was eigentlich nicht an der Tagesordnung ist. Wir hatten seinerzeit mit der Gründung der SPD mit diesem Lagerdenken Schluss gemacht und das war eine der Erfolgsgeschichten. Die SPD in Ostdeutschland kann, wenn sie auf Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit setzt, eigene vernünftige Konzepte und attraktive Konzepte entwickeln, die ihr Mehrheiten bescheren. Sie braucht nicht diese Bündnisoption. Das ist im Grunde genommen eine Politik von gestern, die heute wieder neue Urstände feiert.
    Die Linkspartei profitiert davon, nicht die SPD. Die SPD insbesondere in Thüringen wird Schaden daran nehmen, das werden ihr die Menschen lange nicht vergessen, und es wird einen Rechtsruck auf der Bundesebene bedeuten. Ich befürchte auch, dass die Aussagen von Ramelow - der hat ja schon gesagt, Zalando hart behandeln, Putin weich. Ich bin auch dafür, Zalando hart zu behandeln, aber Putin darf nicht weich behandelt werden. Das sind Aussagen, die werden jetzt auch international vernommen werden von unseren Bündnispartnern in der Europäischen Union und von den USA und die werden Deutschland eher zu einem Unsicherheitsfaktor machen. Das alles nützt eher der Merkel. Und wenn die SPD glaubt, jetzt leichter vielleicht auch auf der Bundesebene an die Macht zu kommen, dann glaube ich, dass das Gegenteil passieren wird.
    Keine Lex SED
    Engels: Herr Hilsberg, Sie haben eben auch auf Fehler der demokratischen Parteien in den vergangenen 25 Jahren hingewiesen. Meinen Sie damit auch, dass es der Fehler war, damals bei der Gründung der SPD in der DDR keine SED-Mitglieder aufnehmen zu wollen und dementsprechend die Versöhnung in der eigenen Partei mit solchen Menschen gar nicht anzustreben?
    Hilsberg: Ja das ist eine Legende, die sich hartnäckig hält, aber der Realität nicht standhält. Wir wollten seinerzeit keine Lex SED schaffen, wir wollten keine Sonderbehandlung für ehemalige SED-Mitglieder, sondern sie sollten sich ganz normal bewerben dürfen. Wir wollten auch nicht so erscheinen, als ob wir ein Ableger der SED sind, sondern wir wollten einfach sozialdemokratische Politik machen mit jedem, der selber eine sozialdemokratische Identität in sich spürt. Und wenn da ehemalige SED-Mitglieder drunter sind, dann waren sie uns damals willkommen. Es sind aber keine gekommen und später, als sie dann kamen, als einige kamen, da war das mit Unterwanderung und Staatssicherheit verbunden, und dass da unsere Basis seinerzeit gesagt hat, nein, das wollen wir nicht, wir wollen uns ja nicht totmachen lassen, da war völlig klar, dass wir einen zeitweiligen Aufnahmestopp aussprechen mussten.
    Aber der war nicht lange gültig und diejenigen aus der ehemaligen SED, die wirklich sozialdemokratisch gedacht haben, haben anschließend jederzeit zu uns kommen können. Es sind nur ganz, ganz wenig gekommen, was im Übrigen auch zeigt, dass die SED nicht der Hort eines verdrängten sozialdemokratischen Bewusstseins oder einer Identität war, sondern die sozialdemokratischen Traditionen in der SED waren richtig tot und es kommt darauf an, sie neu zu beleben, und das ist in den letzten 25 Jahren zu wenig getan worden.
    Koalition im schweren Fahrwasser
    Engels: Dann blicken wir nach vorne. Sie haben davon gesprochen, dass die Thüringer SPD zerrissen ist. Wir wissen nicht, woher die eine ungültige Stimme im ersten Wahlgang für Bodo Ramelow kam, aber natürlich vermuten nicht wenige, sie kam aus dem SPD-Lager. Leiten Sie daraus ab, dass dieses Bündnis nicht von langer Dauer sein wird?
    Hilsberg: Das kann man nicht so ohne Weiteres sagen. Offenbar gibt es jemand, der Bauchschmerzen hatte, aber man weiß gar nicht, wo er herkam. Ich finde ja eigentlich immer, bei solch wichtigen Entscheidungen ist es schlechter Stil, sich nicht zu seinen Entscheidungen zu bekennen. Mein Selbstverständnis eines Abgeordneten ist ein anderes. Er ist dafür gewählt worden, sich für seine Entscheidung, sagen wir, zu seinen Entscheidungen zu stellen und der Bevölkerung darüber Rechenschaft abzulegen. So etwas im Kämmerlein mit sich zu machen, zeugt von tiefen Gewissensbissen und von großen Bauchschmerzen, woran die auch immer gehangen haben mögen.
    Ich glaube, dass die Koalition durchaus in einem schweren Fahrwasser ist. Die schwarze Null, die versprochen wurde, was den Finanzhaushalt betrifft, und die vielen neuen sozialen Leistungen, die gleichzeitig versprochen worden sind, führen zu tiefen Widersprüchen. Und ich kann mir vorstellen, dass die Widersprüche durchaus auch in der Linkspartei aufbrechen können, ganz gleich wo. Es sind jetzt schon am Anfang Fehler gemacht worden. Zum Beispiel haben sich die Grünen die Landwirtschaftspolitik, eine ihrer Domänen abnehmen lassen. Ich glaube, dass es auch dort erhebliches Widerstandspotenzial gibt. Man muss man sehen, wie die mit den ersten Stürmen umgehen, die mit Sicherheit kommen werden. Ob die Wirtschaftslage insgesamt so gut bleibt, wie wir sie zurzeit haben, das weiß man nicht, und mit Krisen muss man auch umgehen können. Daran bewährt sich dann eine Koalition. Und hier gibt es so viele Bruchstellen in dieser rot-rot-grünen Koalition, dass ich eher glaube, an diesen Stellen lauern die Gefahren für die gegenwärtige Konstellation.
    Engels: Stephan Hilsberg, Mitbegründer der SPD in der DDR und später unter anderem lange Jahre Staatssekretär im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch heute Mittag.
    Hilsberg: Danke schön, ebenfalls.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.