1944 werden die Deutschen als Kollaborateure Hitlers aus ihrer 800 jährigen bürgerlichen Welt hinauskomplimentiert. Männer werden zur Zwangsarbeit nach Russland verschickt, so auch Schlattners Vater, der Junge selber wird im großen Kleiderschrank versteckt. Nach und nach wird die Familie aus der Beletage gekippt; werden Klavier und Kinderspielzeuge aus den Fenstern geworfen, werden ihre Möbel beschlagnahmt, Grund und Boden wird enteignet. Die ehemals vornehme deutsche Familie ist von einem auf den anderen Tag arm und ein harter Kampf ums Überleben beginnt. Die Ereignisse prägen Schlattners frühe Liebe zur Literatur und speziell zu Thomas Mann:
Ich kann meine ganze Biographie von meinem zehnten Lebensjahr an unter das Motto Abschied stellen und wenn ich eine so starke Affinität zu Thomas Mann schon als junger Mensch entwickelt habe, dann immer aus dieser Befindlichkeit heraus und Erfahrung heraus, dass wir keine Zukunft haben, dass wir die letzte Generation sind, wir alle sind jüngere Brüder von Tonio Kröger und vom kleinen Herrn Friedemann. Also Menschen, die aus anderen Gründen als bei Thomas Mann in seinen frühen Novellen, in den Buddenbrooks, an den Rand gespült wurden und ausgegrenzt worden sind, aus anderen Gründen aber immerhin mit dieser Befindlichkeit: Du hast keine Zukunft, du gehörst zu den letzten, der Hano stirbt, nur noch Frauen stehen um sein Bett herum am Ende der Buddenbrooks. Es gibt nichts, wofür du dich nicht fürchten könntest, wenn du an den morgigen Tag denkst.
Trotzdem gelingt es Schlattner, an die Universität in Klausenburg/Cluj zu gehen, um zunächst Theologie, dann Mathematik, und schließlich Hydrologie zu studieren. Als Vorsitzender des "Deutschen Studentenkulturkreises", einer Untergliederung des "Kommunistischen Studentenbundes" organisiert er literarische Seancen, schreibt auch selbst Kurzgeschichten und Erzählungen. Sehr zum Missfallen der Mächtigen füllen diese deutschen Literaturabende die Säle - im Gegensatz zu den "Marxistischen Lesezirkeln" der Partei. Der Aufstand der Studenten in Ungarn 1956 durch den Petöfy-Club weckt Mißtrauen in der rumänischen Staatsführung. Die Securitate vermutet internationale Beziehungen und sieht in Schlattners Literatur-Club eine subversive Baide^g^23"^-e Organisation. Der Erzähler dagegen überlegt am Morgen des 28.12.1957 noch, sich in die Partei einzuschreiben:
Ich gehörte damals zu den Klassenfeinden oder den Staatsfeinden nicht. Ich war auf dem Weg, mich ihnen anzuschließen. Selbstverzicht, Selbstverstümmelung, ich wusste, auf die Kinderstube musst du verzichten wie auf vieles andere. Aber ich war bereit, diesen Weg zu gehen.
Als er später am selben Tag im Ministerium ein Stipendium abholen will, wartet dort bereits die Securitate - er erkennt sie an ihren Schuhen. Schlattner wird verhaftet und nach Kronstadt/ Stalinstadt überstellt. Zwei Jahre bleibt er hinter sieben Panzertüren in Untersuchungshaft auf siebeneinhalb qm eingesperrt. Begründung; Verdacht auf Hochverrat. Schlattner war sich zunächst sicher; das müsse ein Fehlgriff sein. Er widersetzt sich den Befehlen der Securitate : Informationen zu liefern über Kommilitonen, Freunde, Kollegen, Nachbarn und - über seinen eigenen Bruder. Fünf Monate verbringt er in der überfüllten Zelle, ohne Ausgang, frische Luft oder Tageslicht. Er muss ständige Demütigungen über sich ergehen lassen, tage- und nächtelange Verhöre und Gehirnwäsche -subtile Befragung wechselt mit roher Gewalt. Der Ich-Erzähler wird am Schlafen gehindert, geschlagen und bekommt als Pflichtlektüre Parteiliteratur zu lesen. Er setzt sich mit dem Marxismus auseinander und stellt fest:
Der Marxismus hat ja doch etwas bestrickendes und etwas berückendes und etwas bezwingendes. Der Zug läuft und du bist nicht dabei und deine Leute sind nicht dabei. Und wir kommen ja aus demokratischen Strukturen, wir Siebenbürger Sachsen.
Im Mai 1958 wechselt Schlattner das Lager und beginnt zu reden: Er gibt alle Informationen, die die Securitate von ihm fordert, bereitwillig preis. Er verrät seine eigenen Leute, die nach und nach ebenfalls verhaftet werden. Zum einen ist der Ich-Erzähler körperlich und seelisch gebrochen, zum anderen, erzählt der Autor, fällte er eine vielschichtige Entscheidung an der Grenze:
Um so mehr Zeit verging um so mehr gab ich mir Rechenschaft, (...) die können einen Prozess aufziehen wo sie wunderbar beweisen können, dass das ein anti-demokratischer und anti-sozialistischer Kreis war, denn im Grunde genommen ist niemand zu unseren Veranstaltungen gekommen, weil wir dort offiziell fungiert haben als Bestandteil des kommunistischen Studentenkreises. Sie sind doch alle hingekommen, weil man einmal zusammen sein konnte als siebenbürger Sachs, sich mit den Mädchen treffen, in seiner Sprache sprechen, also das Sozialistische war nun nicht das Primäre, was uns da zusammengehalten hätte.
Der Gefangene will das Vertrauen seiner Peiniger gewinnen; sie sollen ihm glauben schenken, dass dieser Kreis keine anti-sozialistischen und anti-volksfeindlichen Intentionen hatte. Doch die Securitate lässt 1959 im Kronstädter Schauprozess alle Verdächtigen aufmarschieren und noch unter Arrest muss Schlattner seine Freunde und Schriftsteller-Kollegen belasten. Insgesamt werden 95 Jahre Haft ausgesprochen, bereits nach zweieinhalb Jahren die Haft erlassen wurde. Manche haben Eginald Schlattner noch immer nicht verziehen und beschimpfen ihn als Verräter. Er hat diesen schwergewichtigen Vorwurf mittlerweile für sich angenommen:
Verrat kann auch Mut bedeuten, sich von den Normen seiner Gruppe zu lösen.
Erst heute, fast 50 Jahre später, kann Schlattner das 'ganze Erinnerungsmaterial' vor seinen inneren Augen sichten und zu Papier bringen. Die erste Fassung des Romans, trug noch den Titel "Weiße Flecken" und war eine bloße Rechtfertigung seiner damaligen Handlungen:
Das erste war Dokumentation. Das war eine Inventur dessen, was da damals geschehen ist, ohne Umschweife und ohne romaneske Ambitionen und zwar diese Fassung mit einem bestimmten Publikum: Meine ehemaligen Zellengenossen, meine ehemaligen Kollegen von damals, mit denen ich dann auch im Prozess zu tun hatte, die von damals, die wollte ich nun aufklären, wie das bei mir vor sich gegangen ist.
Der Autor zieht das bereits angekündigte Buch im Herbst 2000, kurz bevor es in Druck gehen soll, wieder zurück. Die Vergangenheit hat ihn noch nicht losgelassen und er setzt sich erneut damit auseinander. Auf Rat seines Programmmdirektors Ohrlinger beim Verlag Zsolnay macht er sich frei vom Legitimationszwang. Schlattner schreibt den Roman "Rote Handschuhe". Er beginnt im Gefängnis, in der Gegenwart des zeitlosen Raums, in der die Erinnerungen wuchern. Es ist nicht verwunderlich, dass der Autor 600 Seiten braucht, um die Vorgänge in ihren Zusammenhängen zu durchleuchten, denn jedem Ereignis geht immer noch ein anderes vorweg. Auf der Suche nach einer möglichst objektiven dokumentarischen Sicht auf die politischen Entwicklungen, geht er sowohl mit seinen Feinden als auch mit sich selber in Gericht. Das Buch ist eine Botschaft der Versöhnung und es zeigt, wie sich die Zeit damals im Gefängnis auf den heutigen Pfarrer ausgewirkt hat:
Dass mich das auch bestätigt hat in meiner Ansicht, dass' ich auf der richtigen Seite stehe und dass ich jetzt nach Hause kommen werde und Staudämme bauen werde und mein Studium abschließen werde und Gedichte kommunistische und sozialistische Gedichte veröffentlichen werde. Ich habe also nicht damit gerechnet, dass ich in der Ziegelfabrik landen werde als Lohnarbeiter.
Auch der Entwicklung vom Studenten zum Tagelöhner versucht der Ich-Erzähler etwas Positives abzugewinnen: Er ist dem bürgerlichen Idealismus und den Vorstellungen deutscher Tugend und Tüchtigkeit entronnen. Er fühlt sich befreit dadurch, seine soziale Herkunft und auch vielleicht seine deutsche Schuld hinter sich zu lassen. Dennoch verabschiedet er sich in den letzten 100 Seiten des Romans von der sozialistischen Ideologie, die ihm im Gefängnis so kämpfenswert erschien: Dass alle gleich und glücklich sein könnten, vielleicht sogar gleich glücklich. Der durch die Haft geschwächte bleiche junge Mann arbeitet in einer Ziegelfabrik, versinkt im Banat bei einer Staatsfarm fast im Schlamm, wird dann abberufen, um Hand an den Bau einer Bahnlinie in die West-Karpaten zu legen. Er bleibt ein ausgegrenzter in subalterner Stellung und immer mit der Stigma behaftet, politischer Sträfling gewesen zu sein.
Für den Ich-Erzähler des Romans sind die willkürlichen Ereignisse und das Chaos sich einer überschlagenden Zeit immer mehr zu verstehen, als Schicksalsschläge, als Signale aus der verschlüsselten Welt Gottes'. Und zwischen den Zeilen vermag er diese Signale zu entziffern. Fünfzehn Jahre nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis hört er deutlich den Ruf Gottes. Als sozialistisches Element einigermaßen in die Gesellschaft integriert, entscheidet er sich, sein Leben erneut zurückzulassen und Theologie zu studieren. 1973 unter der Regierung Ceausescus eine Geste des Protestes. Doch sein Glaube ist stärker als seine Angst, er geht nach Hermannstadt an die Universität:
Die Mütter meiner Kollegen waren so alt wie ich, ich war 40, die anderen waren 20. Und das waren wunderbare Jahre.
Seit 1978 ist Eginald Schlattner Pfarrer in Rothberg. Die protestantische Basilika, die älter ist als Berlin oder München, wird kaum noch besucht. In dem ehemals prächtigen typisch deutschen Ort leben heute 7 Sachsen, 100 Rumänen und über 1000 Zigeuner. Jeder im Dorf grüßt den Popen freundlich, denn er versucht, den Menschen, ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit, zu helfen. Mit deutschen Spendengeldern konnten für die Zigeuner Wasserleitungen gelegt und Dächer repariert werden. Obwohl bereit 1999 pensioniert, übt Schlattner seine Tätigkeit als Gefängnispfarrer in Aiud noch immer aus:
Wenn ich nicht meine Schutzbefohlenen, meine Männer zum Lachen gebracht habe, dreimal, während meines Zieharmonika Gottesdienstes, wo gesungen und gepredigt wird und alles ausgepackt wird von ihrer Seite, von meiner Seite, dann war ich umsonst da.