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Rückkehr eines Ur-Eskimos

Genetik. - Dänische Forscher haben das Genom eines 4000 Jahre alten Grönländers entschlüsselt. Der Mann vom Volk der Saqqaq ist weniger mit den heutigen Inuit verwandt als mit Völkern aus Ostsibirien. In der aktuellen "Nature" wird er vorgestellt.

Von Michael Lange | 11.02.2010
    Wenn der dänische Wissenschaftler Eske Willerslev vom Biologischen Institut der Universität Kopenhagen an Inuk denkt, dann hat er ein recht konkretes Bild vor Augen. Dabei ist Inuk seit etwa 4000 Jahren tot. Er gehörte zur Saqqaq-Kultur, zu einem Eskimo-Volk, das es längst nicht mehr gibt.
    "Der Mann hatte höchstwahrscheinlich braune Augen, braune Haut, schaufelartige Vorderzähne, trockenes Ohrenschmalz, Blutgruppe A, und hatte eine Veranlagung zu Haarausfall. Da wir dennoch dichte, schwarze Haare fanden, nehmen wir an, dass er jung gestorben ist."

    Entstanden ist dieses Bild durch die Analyse von Erbmolekülen. 79 Prozent des Erbguts konnte das dänisch-britische Team im Computer rekonstruieren. 20 Mal sequenzierten sie die Eskimo-DNA. So erreichten die Forscher eine Genauigkeit, wie sie bislang weltweit nur bei acht Genomen von lebenden Menschen existiert. Das vollständige Erbgut stammt aus einem einzigen Büschel Haare. Als er erzählen soll, wie er dieses Haarbüschel entdeckte, schmunzelt Eske Willerslev.

    "2006 machte ich eine sechswöchige Expedition in den Norden Grönlands. Ich habe mir dort den Hintern abgefroren bei der Suche nach menschlichen Überresten für die DNA-Analyse. Und als ich wieder nach Kopenhagen kam, hatte ich nichts. Der Direktor des Naturhistorischen Museums sagte: 'Macht nichts. Wir haben Haarproben aus Grönland im Keller des Museums.' Und da lagen sie in einer Plastiktüte, zehn Minuten Fußweg von meinem Labor entfernt."

    Bereits vor über 20 Jahren wurden die Haare zusammen mit Knochenresten und Werkzeugen im Nordwesten Grönlands entdeckt. Ihre Alter konnte bestimmt und der Saqqaq-Kultur zugeordnet werden. Damals war es unvorstellbar, dass man aus diesen Haaren das Erbgut des Menschen, zu dem sie gehörten, nahezu vollständig rekonstruieren kann. Heute weiß man, dass im Innern der Haarschäfte, die Erbmoleküle besonders gut konserviert sind. Wie eingeschweißt in Kunststoff sind sie im Innern der Haare geschützt vor Pilzen und Bakterien. Die DNA zerfällt zwar in Millionen kleinste Bruchstücke; aber mit Computerhilfe gelang es den dänischen Forschern, die ursprüngliche Reihenfolge der Erbbausteine zu rekonstruieren. Diese Technik war zuvor bereits bei der Rekonstruktion von Mammut-DNA eingesetzt worden. Besonders gespannt war Eske Willerslev auf Inuks Verwandtschaftsverhältnisse. Er verglich die Erbinformation des Saqqaq-Eskimos mit mehreren heute lebenden Volksgruppen.

    "Am engsten verwandt ist er nicht etwa mit den Inuit, die heute in Grönland leben, und auch nicht mit verschiedenen Stämmen der amerikanischen Ureinwohner. Vielmehr fanden wir große Übereinstimmungen mit drei Bevölkerungsgruppen im Norden und Nordosten Sibiriens. Eine davon lebt 2000 Kilometer entfernt von der Bering-Straße."

    Dieses Ergebnis bestätigt frühere Forschungen. Demnach sind mehrmals Menschen aus Sibirien kommend über Alaska nach Grönland eingewandert und später wieder verschwunden. Die Saqquaq kamen wahrscheinlich vor etwa 5500 Jahren nach Grönland und verschwanden schließlich vor etwa 3000 Jahren. Später folgten andere Zuwanderer. Eske Willerslev hofft, das die Rekonstruktion des Ur-Eskimos erst der Anfang ist.

    "Viele Haarproben überall auf der Welt kommen jetzt zur Erbgut-Analyse in Frage. Verschiedene Mumien aus Südamerika könnten geeignet sein. Wahrscheinlich lässt sich auch aus ihren Haaren das komplette Erbgut rekonstruieren."