"Wir reden alle viel zu viel von den Rändern dieser Gesellschaft, wir reden alle viel zu viel davon, dass die Reichen möglicherweise stärker besteuert werden, mehr abgeben müssen, gerade jetzt in der Krise, wir reden darüber, dass die Armen mehr bekommen müssen, aber man redet nie über die in der Mitte der Gesellschaft, die, denen es nicht richtig schlecht geht, denen es eigentlich gut geht, die aber auch nicht richtig reich sind, aber die schon rechnen müssen."
Die Helden der schwarzen Null am Monatsende, wie der Autor sie bezeichnet: Das sind Angestellte, Beamte, Facharbeiter, Handwerker oder Kleinunternehmer. Sie sind besser gebildet, haben oft leitende Positionen und einen "bürgerlichen" Wertehorizont. Sehen sich nicht die meisten von uns so? Beise jedenfalls geht davon aus, mit einem etwas ranschmeißerischen "Wir" weckt er die persönliche Betroffenheit.
Sein Buch basiert auf einem Missstand, den er bereits vor eineinhalb Jahren publik gemacht hat: Die Einkommensmittelschicht, also die Gruppe derer, die zwischen 50 und 150 Prozent des mittleren Einkommens verdienen, schrumpft, und zwar dramatisch. Machte sie bis in die 70er-Jahre noch 74 Prozent der Bevölkerung aus, waren es vor zwei Jahren nur noch 54 Prozent. Die grassierende Angst der Mittelschicht abzurutschen, hat also einen realen Hintergrund.
So kann es nicht weitergehen, das ist Beises Grundthese. Die Mittelschicht ist der Hauptleistungsträger der Gesellschaft, der Hauptsteuerzahler, aber niemand kümmert sich um sie. Stattdessen werde sie von der Politik immer mehr gemolken, um den wuchernden Sozialstaat zu finanzieren.
"Der äußere Grund ist, dass der Staat, um in dieser Situation zurecht zu kommen, sich immer mehr Steuern und Einnahmen sichert, und er kann sie nicht unten nehmen bei den Armen, und oben kann er sie nicht nehmen, weil es nicht genügend Reiche gibt, also greift er die Mittelschicht an, und deswegen ist unser aller Steuer- und Abgabenbelastung so hoch, wie sie ist und wie wir es jeden Monat feststellen können."
Beise exerziert seine These durch am Beispiel der Renten-, Pflege- und Gesundheitspolitik. Besonderes Augenmerk legt er auf die verfehlte Steuerpolitik: Alle Steuermaßnahmen seit 1990 haben in der Tat die Mittelschicht belastet: So müssen heute schon gehobene Angestellte den Spitzensteuersatz bezahlen. Kalte Progression, Mittelstandsbauch - um nur Schlagworte zu nennen: Es sei immer die Mittelschicht, die die Zeche bezahle.
Und deshalb belässt es der Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung auch nicht bei der Beschreibung des Zustandes, sondern schlägt Gegenmittel vor. Zunächst: die Rückkehr zu einer wirklich sozialen Marktwirtschaft, zu einer neoliberalen Politik im eigentlichen und nicht im jüngster Zeit massiv diskreditierten Wortsinn.
Gerade in Krisen gibt es in der Politik einen harten Trend zum "sozialen Ausgleich". Ins Grundsätzliche gewandelt, muss man sich klar machen, dass nach aller Erfahrung wirtschaftliche Dynamik und umfassende Verantwortung sich ab einem gewissen Punkt ausschließen. Oder, auf zwei zentrale Grundrechte der Bürger gewendet: Wer Freiheit will, muss Ungleichheit aushalten.
Und der müsse sich selbst auch in seiner Rundum-Sorglos-Erwartung an den Staat zurücknehmen. Sich um vieles selbst kümmern, vieles wieder aus eigener Tasche bezahlen.
Wenn wir nun vom Staat fordern, dass er sich in seinem Regelungs- und Gestaltungswillen zurücknehmen soll, müssen wir selbst die Freiheit, die wir einfordern, bei Gelegenheit auch selbst vorleben. Das deutsche Steuerchaos, wie übrigens auch ein uferloses Arbeitsrecht und ein zersplittertes Nachbarschaftsrecht, sie alle speisen sich aus den zahllosen Prozessen, die Bürger oft nur um eines kleinen oder gar kleinsten möglichen Vorteils willen anstrengen. Müssen wir immer sagen: 'Das ist mein Recht'? Wann sagen wir wieder: 'Das ist meine Pflicht'? Ein typischer Vertreter der Mittelschicht weiß die staatliche garantierte Sicherheit zu schätzen, aber er will nicht in eine Rundum-Alimentierung eingelullt und eingezwängt sein. Er will Sicherheit UND Freiheit, aber im Zweifel lieber Freiheit als Sicherheit.
Ob Letzteres allerdings stimmt, daran lässt das Wahlverhalten der vergangenen Jahre doch so manchen Zweifel aufkommen. Wähler auch aus der Mittelschicht haben die SPD abgestraft, trotz ihrer sehr mittelschichtfreundliche Politik zu Zeiten Gerhard Schröders. Stattdessen favorisiert die Mehrheit der Wähler jene Parteien, die ihnen Behaglichkeit versprechen - und marktwirtschaftliche Reformen verschleppen. Das wirft Beise besonders deutlich Angela Merkel vor.
"Sie hat dieses Thema die ganze Legislaturperiode verschlafen, ignoriert, sie hat eher noch mehr Reglementierungen in allen Bereichen zugelassen, und jetzt, im Wahlkampf, wird über die Frage diskutiert, wie entlasten wir die Mitte, brauchen wir Steuerreformen, welche Steuerreformen, aber es ist offensichtlich, dass das rein dem Wahlkampf geschuldet ist und deshalb sehr unglaubwürdig ist."
Was, so fragt der Autor rhetorisch, sollen wir von einer Kanzlerin halten, die sich immer auf Ludwig Erhard beruft, dann aber die Staatswirtschaft einführt? Was von Parteien, die ihre guten Wirtschaftspolitiker vergraulen?
"Ludwig Obama, dringend gesucht" überschreibt der Wirtschaftsjournalist daher ein Kapitel. Doch wo weder ein Urvater der Marktwirtschaft noch ein Charismatiker in Sicht ist, setzt Beise auf zweierlei: ganz solide politische Reformen und Hilfe zur Selbsthilfe. Doch das Buch deutet einen politischen Rundumschlag nur an, der mit Mittelschichtpolitik im engeren Sinne nur am Rande zu tun hat. Hier nur Stichworte: Stabilität ins Bankensystem bringen, Bürokratie abbauen, Steuerreformen à la Kirchhof, mehr Privatschulen, Familiensplitting.
Beises zweiter Ansatz, die Hilfe zur Selbsthilfe, verbirgt sich hinter dem Titel: "Wie sorge ich für mich selbst, wenn der Staat nicht angemessen für mich sorgt?" So plausibel das Buch sonst geschrieben ist, in diesem Kapital versammeln sich Banalitäten, an die gerade die bildungsbeflissene Mittelschicht selten erinnert werden muss.
Abschließend drängt sich die Frage auf, ob all das, was Beise der Mittelschicht Gutes tun will - und zwar zu Recht - nicht zulasten der wirklich Schwachen geht. Beise verwehrt sich vehement gegen den Vorwurf des sozialen Kahlschlags.
"Man kann zum Beispiel sehr darüber diskutieren, ob die neuen Hartz-IV-Sätze angemessen sind oder ob sie nicht deutlich höher liegen müssten. Nur, damit er diese Hilfe zur Verfügung stellen kann, muss der Staat an anderen Stellen anderen Menschen, die mehr Leistung bringen könnten, wenn man sie ließe, diese Freiheiten auch geben, damit wir insgesamt mehr Wachstum, mehr Dynamik in dieser Gesellschaft haben, um mehr Geld nach unten umverteilen zu können."
Die Mittelschicht wird vernachlässigt, und das schmälert den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Leistungskraft des Staates - unter diesem plausibel und gut eingewebten Leitfaden webt Marc Beise einen wirtschaftspolitischen Reformfahrplan für die Bundesrepublik. Der schimmert, wenn man ihn in die politische Farbenlehre einfügen wollte, rotgelb, und Helmut Schmidt hätte sicher seine Freude daran. Die aber können auch diejenigen mit dem Buch haben, die sich über die zaghafte Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre ärgern und die die sogenannten Leistungsträger der Gesellschaft seit Jahren mehr und mehr in die politische Vernachlässigung abgleiten sehen.
Beise schreibt zudem eingängig, äußerst pointiert, manchmal eine Spur zu reißerisch; an markigen Formulierungen à la: "Der Staat kocht uns aus" herrscht nun wahrlich kein Mangel. Dazu verleiten im Übrigen die ansonsten sehr leserfreundlichen Zusammenfassungen am Eingang jedes Kapitals.
Abgesehen von diesen Übertreibungen und den allzu banalen Selbsthilferatschlägen für Mittelschichtler, lässt die wirtschaftspolitische Analyse zur Lage der Mittelschicht nichts zu wünschen übrig.
Sandra Pfister war das über Marc Beise: "Die Ausplünderung der Mittelschicht. Alternativen zur aktuellen Politik", Erschienen ist es in der Deutschen Verlagsanstalt. 250 Seiten zum Preis von Euro 19,95.
Die Helden der schwarzen Null am Monatsende, wie der Autor sie bezeichnet: Das sind Angestellte, Beamte, Facharbeiter, Handwerker oder Kleinunternehmer. Sie sind besser gebildet, haben oft leitende Positionen und einen "bürgerlichen" Wertehorizont. Sehen sich nicht die meisten von uns so? Beise jedenfalls geht davon aus, mit einem etwas ranschmeißerischen "Wir" weckt er die persönliche Betroffenheit.
Sein Buch basiert auf einem Missstand, den er bereits vor eineinhalb Jahren publik gemacht hat: Die Einkommensmittelschicht, also die Gruppe derer, die zwischen 50 und 150 Prozent des mittleren Einkommens verdienen, schrumpft, und zwar dramatisch. Machte sie bis in die 70er-Jahre noch 74 Prozent der Bevölkerung aus, waren es vor zwei Jahren nur noch 54 Prozent. Die grassierende Angst der Mittelschicht abzurutschen, hat also einen realen Hintergrund.
So kann es nicht weitergehen, das ist Beises Grundthese. Die Mittelschicht ist der Hauptleistungsträger der Gesellschaft, der Hauptsteuerzahler, aber niemand kümmert sich um sie. Stattdessen werde sie von der Politik immer mehr gemolken, um den wuchernden Sozialstaat zu finanzieren.
"Der äußere Grund ist, dass der Staat, um in dieser Situation zurecht zu kommen, sich immer mehr Steuern und Einnahmen sichert, und er kann sie nicht unten nehmen bei den Armen, und oben kann er sie nicht nehmen, weil es nicht genügend Reiche gibt, also greift er die Mittelschicht an, und deswegen ist unser aller Steuer- und Abgabenbelastung so hoch, wie sie ist und wie wir es jeden Monat feststellen können."
Beise exerziert seine These durch am Beispiel der Renten-, Pflege- und Gesundheitspolitik. Besonderes Augenmerk legt er auf die verfehlte Steuerpolitik: Alle Steuermaßnahmen seit 1990 haben in der Tat die Mittelschicht belastet: So müssen heute schon gehobene Angestellte den Spitzensteuersatz bezahlen. Kalte Progression, Mittelstandsbauch - um nur Schlagworte zu nennen: Es sei immer die Mittelschicht, die die Zeche bezahle.
Und deshalb belässt es der Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung auch nicht bei der Beschreibung des Zustandes, sondern schlägt Gegenmittel vor. Zunächst: die Rückkehr zu einer wirklich sozialen Marktwirtschaft, zu einer neoliberalen Politik im eigentlichen und nicht im jüngster Zeit massiv diskreditierten Wortsinn.
Gerade in Krisen gibt es in der Politik einen harten Trend zum "sozialen Ausgleich". Ins Grundsätzliche gewandelt, muss man sich klar machen, dass nach aller Erfahrung wirtschaftliche Dynamik und umfassende Verantwortung sich ab einem gewissen Punkt ausschließen. Oder, auf zwei zentrale Grundrechte der Bürger gewendet: Wer Freiheit will, muss Ungleichheit aushalten.
Und der müsse sich selbst auch in seiner Rundum-Sorglos-Erwartung an den Staat zurücknehmen. Sich um vieles selbst kümmern, vieles wieder aus eigener Tasche bezahlen.
Wenn wir nun vom Staat fordern, dass er sich in seinem Regelungs- und Gestaltungswillen zurücknehmen soll, müssen wir selbst die Freiheit, die wir einfordern, bei Gelegenheit auch selbst vorleben. Das deutsche Steuerchaos, wie übrigens auch ein uferloses Arbeitsrecht und ein zersplittertes Nachbarschaftsrecht, sie alle speisen sich aus den zahllosen Prozessen, die Bürger oft nur um eines kleinen oder gar kleinsten möglichen Vorteils willen anstrengen. Müssen wir immer sagen: 'Das ist mein Recht'? Wann sagen wir wieder: 'Das ist meine Pflicht'? Ein typischer Vertreter der Mittelschicht weiß die staatliche garantierte Sicherheit zu schätzen, aber er will nicht in eine Rundum-Alimentierung eingelullt und eingezwängt sein. Er will Sicherheit UND Freiheit, aber im Zweifel lieber Freiheit als Sicherheit.
Ob Letzteres allerdings stimmt, daran lässt das Wahlverhalten der vergangenen Jahre doch so manchen Zweifel aufkommen. Wähler auch aus der Mittelschicht haben die SPD abgestraft, trotz ihrer sehr mittelschichtfreundliche Politik zu Zeiten Gerhard Schröders. Stattdessen favorisiert die Mehrheit der Wähler jene Parteien, die ihnen Behaglichkeit versprechen - und marktwirtschaftliche Reformen verschleppen. Das wirft Beise besonders deutlich Angela Merkel vor.
"Sie hat dieses Thema die ganze Legislaturperiode verschlafen, ignoriert, sie hat eher noch mehr Reglementierungen in allen Bereichen zugelassen, und jetzt, im Wahlkampf, wird über die Frage diskutiert, wie entlasten wir die Mitte, brauchen wir Steuerreformen, welche Steuerreformen, aber es ist offensichtlich, dass das rein dem Wahlkampf geschuldet ist und deshalb sehr unglaubwürdig ist."
Was, so fragt der Autor rhetorisch, sollen wir von einer Kanzlerin halten, die sich immer auf Ludwig Erhard beruft, dann aber die Staatswirtschaft einführt? Was von Parteien, die ihre guten Wirtschaftspolitiker vergraulen?
"Ludwig Obama, dringend gesucht" überschreibt der Wirtschaftsjournalist daher ein Kapitel. Doch wo weder ein Urvater der Marktwirtschaft noch ein Charismatiker in Sicht ist, setzt Beise auf zweierlei: ganz solide politische Reformen und Hilfe zur Selbsthilfe. Doch das Buch deutet einen politischen Rundumschlag nur an, der mit Mittelschichtpolitik im engeren Sinne nur am Rande zu tun hat. Hier nur Stichworte: Stabilität ins Bankensystem bringen, Bürokratie abbauen, Steuerreformen à la Kirchhof, mehr Privatschulen, Familiensplitting.
Beises zweiter Ansatz, die Hilfe zur Selbsthilfe, verbirgt sich hinter dem Titel: "Wie sorge ich für mich selbst, wenn der Staat nicht angemessen für mich sorgt?" So plausibel das Buch sonst geschrieben ist, in diesem Kapital versammeln sich Banalitäten, an die gerade die bildungsbeflissene Mittelschicht selten erinnert werden muss.
Abschließend drängt sich die Frage auf, ob all das, was Beise der Mittelschicht Gutes tun will - und zwar zu Recht - nicht zulasten der wirklich Schwachen geht. Beise verwehrt sich vehement gegen den Vorwurf des sozialen Kahlschlags.
"Man kann zum Beispiel sehr darüber diskutieren, ob die neuen Hartz-IV-Sätze angemessen sind oder ob sie nicht deutlich höher liegen müssten. Nur, damit er diese Hilfe zur Verfügung stellen kann, muss der Staat an anderen Stellen anderen Menschen, die mehr Leistung bringen könnten, wenn man sie ließe, diese Freiheiten auch geben, damit wir insgesamt mehr Wachstum, mehr Dynamik in dieser Gesellschaft haben, um mehr Geld nach unten umverteilen zu können."
Die Mittelschicht wird vernachlässigt, und das schmälert den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Leistungskraft des Staates - unter diesem plausibel und gut eingewebten Leitfaden webt Marc Beise einen wirtschaftspolitischen Reformfahrplan für die Bundesrepublik. Der schimmert, wenn man ihn in die politische Farbenlehre einfügen wollte, rotgelb, und Helmut Schmidt hätte sicher seine Freude daran. Die aber können auch diejenigen mit dem Buch haben, die sich über die zaghafte Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre ärgern und die die sogenannten Leistungsträger der Gesellschaft seit Jahren mehr und mehr in die politische Vernachlässigung abgleiten sehen.
Beise schreibt zudem eingängig, äußerst pointiert, manchmal eine Spur zu reißerisch; an markigen Formulierungen à la: "Der Staat kocht uns aus" herrscht nun wahrlich kein Mangel. Dazu verleiten im Übrigen die ansonsten sehr leserfreundlichen Zusammenfassungen am Eingang jedes Kapitals.
Abgesehen von diesen Übertreibungen und den allzu banalen Selbsthilferatschlägen für Mittelschichtler, lässt die wirtschaftspolitische Analyse zur Lage der Mittelschicht nichts zu wünschen übrig.
Sandra Pfister war das über Marc Beise: "Die Ausplünderung der Mittelschicht. Alternativen zur aktuellen Politik", Erschienen ist es in der Deutschen Verlagsanstalt. 250 Seiten zum Preis von Euro 19,95.