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Rührend trivial und lammfromm

1927 war ein Jahr der musikalischen Bürgerschrecke: Der Jazz brach in die Hochkultur ein und bevölkerte mit seinen Synkopen und Blue Notes die Werke von Ravel, Hindemith und Krenek. Im selben Jahr wünschte sich Richard Strauss von Hugo von Hofmannsthal "etwas Feines, Gemütliches" für die Opernbühne. Hofmannsthal lieferte seinem bewährten Partner die "Arabella". Die Wiener Staatsoper hat das Werk jetzt in einer opulenten Neuproduktion auf die Bühne gebracht.

Moderation: Olaf Wilhelmer |
    Olaf Wilhelmer: Inszeniert hat es der Burgschauspieler Sven-Eric Bechtolf, im Orchestergraben stand der Zürcher Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst. Ich habe Frieder Reininghaus gefragt, wie sich die beiden in der Wiener Staatsoper geschlagen haben.

    Frieder Reininghaus: Sie haben eine perfekte und was die sängerisch-musikalische Seite betrifft auf Weltklasse-Niveau angesiedelte Produktion abgeliefert und das heißt im Klartext, dass sich Franz Welser-Möst für die höchsten Aufgaben in der österreichischen Hauptstadt empfohlen hat. Welser-Möst ist in der Tat im Augenblick der intelligenteste, der stil- und treffsicherste unter den konservativ gepolten Dirigenten. Was die Leistung von Sven-Eric Bechtolf betrifft, müssen wir das etwas genauer drüber reden.

    Wilhelmer: Was hat denn Sven-Eric Bechtolf gezeigt in der "Arabella"?

    Reininghaus: Er hat gestützt auf Bühnenbilder von Rolf und Marianne Glittenberg, die ganz konservativ ein Hotel der 1920er Jahre zeigen, also eine kleine Verschiebung der Geschichte um etwa 60 Jahre hin zur Gegenwart versucht, eine Inszenierung, die ganz lammfromm war, die überhaupt nichts provoziert hat, die in einigen Details sehr hübsch gearbeitet war, die Personen waren zum Teil nicht schlecht geführt, aber es war der wirkliche Prickel eben nicht enthalten. Jener ganz merkwürdige, im tiefsten Kern des Stückes verankerte Unterwerfungsgedanke, dass die Frauen doch gefälligst der Führung des Mannes sich anzuvertrauen haben, und dieses Führerprinzip so nah heran geschoben an das Jahr der Uraufführung 1933, in dem Richard Strauss ja Präsident der Reichsmusikkammer wurde - und das nicht zufällig: Das ist nun einerseits heikel vom Stück her gedacht. Andererseits war es vielleicht ganz wichtig für Bechtolf, damit zu spielen, dass diese Nähe möglich sein könnte, aber auf der Bühne dann wirklich nicht stattfindet.

    Das heißt, der entscheidenden Herausforderung, dieses Stück heute kritisch zu lesen mit seinem Schmäh, mit seinem Balkanesischem, mit seiner Wiederkehr von Dingen, die im Parkett tatsächlich jetzt stattfinden, da sitzen nämlich die Reichen vom guten Russentisch plötzlich wieder, also all das hätte man dann wenigstens apercu-haft in eine Inszenierung einbeziehen können. Darauf verzichtet Bechtolf vollständig. Er vertraut auf die unglaubliche Kraft dieser hervorragend komponierten Musik. Das ist ja das Fatale. So konservativ dieses Stück ist, so miefig es an manchen Momenten ist, es ist so virtuos komponiert und man kann manchmal, zumal in Wien, zu Tränen gerührt sein von dieser Straussschen Trivialität, die vielleicht doch nur in Wien sich so goutieren lässt.

    Wilhelmer: Virtuos komponiert sagen Sie. Es ist ja auch eine sehr virtuose Oper für Sänger. Wie ist denn die sängerische Seite in Wien gewesen?

    Reininghaus: Genia Kühmeier als die kleine Schwester der Arabella macht diese Metamorphose zum Knaben und dann im entscheidenden Augenblick zurück zu einer leidenschaftlichen Frau so ganz hervorragend mit Stimm und Körpereinsatz, dass man nur sagen kann: Sie ist nicht nur eine sehr, sehr gute Pamina in Salzburg, sondern sie ist eben auch wirklich eine der kommenden sehr, sehr leistungsfähigen Sopranistinnen. Adrianne Pieczonkas gibt dieser Titelfigur der Arabella doch zu sehr die ordinäre Färbung. Es gibt dieses Moment in der Partie, aber das ist zu stark. Das Männertrio - Wolfgang Bankl als der joviale Spielervater, Michael Schade als glanzvoll werdender Jägeroffizier Matteo und insbesondere auch Thomas Hampson als distinguiert-souveräner Mandryka ergeben ein Herren-Trio von Weltklasse. Auch das gibt es vielleicht in dieser Form im Moment nur in Wien.

    Wilhelmer: Sven-Eric Bechtolf und Franz Welser-Möst sollen in Wien ja auch demnächst den "Ring" in die Wege bringen, das ist ja auch eine Mammutaufgabe im Vergleich zur "Arabella". Glauben Sie, dass sich die beiden für den Job empfohlen haben?

    Reininghaus: Musikalisch Welser-Möst auf jeden Fall. Ich denke, so treffsicher wie er bei Strauss ist, wird er es auch bei Wagner sein. Bei Bechtolf glaube, dass es einem gewissen konservativen Geschmack in Wien dann recht gemacht wird, aber im Sinn einer weitergehenden Wagnerinterpretation erwarten wir das Gegenteil.

    Wilhelmer: Sie haben es ja vorhin schon angedeutet, dass sich Franz Welser-Möst eventuell für ganz hohe Aufgaben in der österreichischen Hauptstadt qualifiziert hat. Nun lebt ja die Oper, seit sie es gibt, auch viel von Gerüchten und neuerdings ist ja zu hören, dass sich Franz Welser-Möst eventuell Hoffnungen auf die Nachfolge von Seiji Ozawa als Staatsopern-Chefdirigent machen kann. Ist das Humbug oder ist da doch etwas dran?

    Reininghaus: Diese Hoffnung ist berechtigt und er wurde mit Ovationen empfangen und mit Ovationen verabschiedet und ich glaube, die Wiener haben Ihren künftigen Musikchef oder vielleicht überhaupt den künftigen Chef übers Ganze begrüßt und gefeiert.