Vanillekipferl? Ein süßlicher Geruch von Kokosmakronen? Nein, bei der ungarisch-rumänischen Familie Csegedi riecht es in der Adventszeit nicht nach Weihnachtsplätzchen. In der Küche sieht es stattdessen aus wie in einer Metzgerei, denn vor dem Fest wird das Hausschwein geschlachtet. Der 70-jährige Pista Csegedi schwört auf die jahrhundertealte rumänische Tradition, die auch die Haushaltskasse entlastet.
"Ich habe mit meiner Frau gerade mal knapp 300 Euro Rente im Monat. Wir könnten es uns gar nicht leisten, ständig Fleisch im Supermarkt zu kaufen. Also schlachten wir selbst. Bei Geldknappheit muss man sich eben etwas einfallen lassen, um zu überleben."
Ein Jahr lang hat Csegedi im Hof seines Einfamilienhauses in der siebenbürgischen Kleinstadt Reghin das Schwein gemästet - mit selbst angebauten Gemüse und Essenresten. In Westeuropa würde sein Haushalt ein Öko-Gütesiegel erhalten für die konsequente Recyclingkultur. In Rumänien wird aus der Not heraus alles weiterverwertet. 150 Kilogramm hat das Schwein am Morgen auf die Waage gebracht. Tanten, Onkel, Kinder, Enkel sind aus dem ganzen Land angereist, um mit anzupacken. Schlachten ist harte Arbeit und Familienhappening zugleich. Sohn Zoly knabbert als Snack zwischendurch schon mal eine frische Schweineschwarte:
"Wir verarbeiten hier einen starken Cholesterin-Cocktail. Uns ist schon klar, dass solch ein Weihnachtsmahl nicht das gesündeste ist. Auch die Ärzte sagen immer, wir sollten uns mehr mit unserer Ernährung auseinandersetzen. Ein Vorbild sind sie aber nicht. Denn was machen sie vor Weihnachten? Sie schlachten selbst."
In vielen Haushalten wird noch selbst geschlachtet
Ob auf dem Land oder in der Stadt, auf dem eigenen Hof oder im Plattenbauviertel: Wer in Rumänien etwas auf sich hält, schlachtet zu Weihnachten ein Schwein. Rund zwei Millionen Tiere werden jedes Jahr vor den Festtagen getötet - mit einem Messer und ohne Betäubung. Brüssel verlangt seit sieben Jahren, dass die Tiere zuvor eingeschläfert werden müssen. Die rumänischen Behörden sind mit der Umstellung jedoch heillos überfordert.
Auch Tierarzt Ioan Bacarau vom Veterinäramt in Reghin zuckt die Schultern. Er überprüft in diesen Tagen im Akkord die geschlachteten Tiere auf mögliche Krankheiten.
"Wir müssten in unserer Direktion mit einem Betäubungsapparat ausgestattet sein, doch ist der zu teuer. Unsere Gesetzgebung sieht auch vor, dass ein ausgebildeter Fleischer von Haus zu Haus zieht, um die Tiere einzuschläfern. Aber ich sagen Ihnen, der würde beim besten Willen nicht hinterherkommen, so viele Hausschlachtungen gibt es noch bei uns."
Die Zahlen sind überwältigend: Fast in jedem dritten rumänischen Haushalt wird noch selbst geschlachtet. Die Tendenz jedoch: rückläufig. Jedes Jahr verzichten Tausende Rumänen auf den Brauch - nicht, weil es Druck aus Brüssel gibt, sondern von den Nachbarn. Die wollen städtisches Flair statt herben Stallgeruch in ihren Wohnvierteln. Auch die Kleinstadt Reghin reagierte: Die Schweinezucht in der Innenstadt ist dort jetzt verboten. Die junge Generation der Csegedis kann das nur zu gut verstehen:
"Im Zentrum spielt sich doch das gesamte öffentliche Leben ab. Dort gibt es Banken, Läden, die Polizei, das Bürgermeisteramt. Da passt es einfach nicht mehr, dass sich die Familien dort Schweine halten, die mächtig stinken. Wir wollen ja auch in einer zivilisierten Welt leben."
Vater Pista hat im wahrsten Sinne des Wortes Schwein gehabt, dass er abseits des Zentrums wohnt.
"Solange wir noch können, schlachten wir hier. Wenn es nicht mehr geht, werden wir es aufgeben."
Aus dem Schwein sind Speck, Wurst und Schnitzel geworden. Hundert Prozent Biofleisch. All das kommt zum Fest auf den Tisch. Ob Sohn Zoly die Tradition fortsetzen wird? Der 39-Jährige hat sich ein eigenes Haus in einer Nachbarstadt gebaut. Ein Schwein kommt ihm nicht auf den Hof. Er wird den Weihnachtsschmaus, wenn die Eltern nicht mehr schlachten, von der Fleischtheke im Supermarkt holen.