Donnerstag, 25. April 2024

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Russland
"Das waren keine freien Wahlen"

Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, hält es für erwiesen, dass bei der Wahl in Russland Druck auf die Wähler ausgeübt worden ist. So habe man zum Beispiel notiert, wer zur Wahl gehe und wer nicht, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen, sagte er im Dlf.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Silvia Engels | 19.03.2018
    Moskau nach der Wahl: Präsident Wladimir Putin
    Wladimir Putin spricht in Moskau zu seinen Anhängern (imago stock&people)
    Silvia Engels: Die Wiederwahl Wladimir Putins als russischer Präsident galt von vornherein als ungefährdet. So ist es gekommen.
    Am Telefon ist nun Norbert Röttgen von der CDU. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Herr Röttgen.
    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Überrascht Sie irgendetwas am Wahlausgang in Russland?
    "Der Wahlprozess selber ist immer manipuliert"
    Röttgen: Nein. – Nein. – Es ist mit 77 Prozent; ich hätte mit etwas weniger gerechnet. Aber das zeigt auch das Bedürfnis, dass man ein richtig tolles Wahlergebnis präsentieren will.
    Engels: Die Wahlbeteiligung wird jetzt nach jüngsten Zahlen mit 67 Prozent als relativ hoch doch gesehen. Das sind zwar nicht die 70 Prozent Wahlbeteiligung, die sich der Kreml gewünscht hat, aber immerhin. Muss man in Deutschland nicht auch akzeptieren, dass Putin nun einmal nach wie vor sehr beliebt ist und Rückhalt hat in Russland?
    Röttgen: Das ist er. Putin ist beliebt. Er hat Rückhalt. Und trotzdem waren das natürlich keine freien Wahlen. Schon die Kandidaturen waren nicht frei. Der Verlauf war nicht frei. Und die Wahlbeteiligung und die Unterschiede in der Zahl der Wahlbeteiligung und des Wahlergebnisses zeigen, dass auch die Wahlergebnisse jetzt nicht völlig frei erfunden sind wie in anderen nichtdemokratischen Staaten. Die Nichtbeteiligung an der Wahl war ja in früheren Wahlen immer die Möglichkeit, Protest und Unzufriedenheit auszudrücken. Auch da ist bei diesem Wahlverfahren und mit diesem Wahlkampf gezielt gearbeitet worden. Es sind Veranstaltungen durchgeführt worden am Wahltag. Es ist Druck ausgeübt worden. Es wurde aufgeschrieben, wer geht wählen und nicht, und darum ist die Zahl etwas erhöht worden, um auch diese Möglichkeit von Oppositionsausdruck zu unterbinden.
    Engels: Die auf Wahlbeobachtung spezialisierte russische Nichtregierungsorganisation Golos hat 3000 Verstöße bei der Wahl bislang gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen oder auch die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wie gewichten Sie das?
    Röttgen: Das ist eine wertvolle Tätigkeit, dass man für die Behauptung, diese Wahlen sind nicht frei, auch auf solche tatsächlichen Beobachtungen am Wahltag sich beziehen kann. Der Wahlprozess selber ist immer manipuliert, in unterschiedlicher Weise, an unterschiedlichen Orten, aber auch der ganze innenpolitische Situation, die zum Wahlkampf führt, ist natürlich nicht frei. Es gibt ja zwei große oder es gab zwei große Gegner, Boris Nemzow und Nawalny. Nemzow ist ermordet worden, Nawalny wurde gehindert daran zu kandidieren, immer wieder ins Gefängnis geworfen. Das zeigt schon am meisten über die Grundbedingungen dieses Wahlkampfes.
    Engels: Dann schauen wir dennoch nach vorne, denn klar ist: Alle Staaten müssen jetzt wieder mit Wladimir Putin umgehen. Zuletzt war ja Russland gegenüber dem Westen eher aggressiv aufgetreten, zum Beispiel mit der Ankündigung neuer Rüstungsprogramme. Erwarten Sie die Beibehaltung dieses Kurses, oder Liberalisierung jetzt, nachdem Putin wieder seiner Macht sicherer sein kann?
    Röttgen: Es gibt kein Anzeichen dafür, dass Putin seine Politik verändert, seine Politik, Russland als ein, die internationalen Normen und das internationale System bewusst verletzendes autoritäres Gegenmodell zu den westlichen Demokratien zu etablieren und den Anspruch weiterhin zu verfolgen, systematisch jenseits der eigenen Grenzen Macht auszuüben – sei es in Europa in der Ukraine, oder auch in Syrien im Mittleren Osten. Das ist ja gerade die Quelle seiner Popularität und Beliebtheit. Er hat die psychische Verfassung des Landes gedreht von Erniedrigung und Verfall hin zu Stolz: Wir sind wieder wer. Der russische nationale und auch nationalistische Stolz ist wieder da. Das ist seine eigentliche Machtquelle und gleichzeitig seine Falle, aus der er auch nicht herauskommt. Er hat keine alternative Option, an der Macht zu bleiben, als diese aggressive Politik, die die Quelle seiner Popularität und damit seiner Macht ist.
    "Festigkeit und Wachsamkeit, das ist das, was wir gegenüber Russland brauchen"
    Engels: Empfehlen Sie daraus abgeleitet der Bundesregierung und vielleicht der NATO insgesamt, darauf auch mit Härte zu reagieren?
    Röttgen: Härte ist vielleicht sogar das falsche. Ich würde Festigkeit sagen. Festigkeit und Wachsamkeit, das ist das, was wir gegenüber Russland brauchen, und auch Geduld. Denn Putin setzt durchaus auf Zeit. Er weiß ganz genau, das ist nicht nachhaltig, das kann nicht ewig sein. Aber er denkt sich, das kann noch ein paar Jahre sein. Er ruiniert ja die Wirtschaft des Landes. Er bietet keine Perspektive auch den jüngeren Menschen im Land. Aber für ein paar Jahre kann er das noch machen und der Zeitfaktor ist ganz entscheidend. Jede Form von Nachgiebigkeit, wir lassen Dir für diesen Ansatz der Normverletzung, der Aggressivität, dafür gibt es irgendeine Rendite, das wäre das falscheste. Das wäre sein Erfolg, das würde ihn ermuntern. Darum Festigkeit, Wachsamkeit, und diesen Ansatz dürfen wir nicht dulden, weil ansonsten die Weltgemeinschaft eine neue Spaltung erlebt.
    Engels: Belastet werden die westlichen Beziehungen zu Russland ja derzeit durch den Giftanschlag auf den ehemaligen russischen Agenten Skripal und seine Tochter in Großbritannien. Wird dieser Fall auf Dauer das Klima zu Russland belasten?
    Röttgen: Ja, es bleibt ein dauerhaftes Thema. Man muss das Gesamtbild sehen. Das ist ja eine Maßnahme neben der Bombardierung jetzt von Ost-Ghouta in Syrien - das sind Kriegsverbrechen, die dort stattfinden – und all den anderen Dingen. Das ist der Kampf gegen interne Oppositionelle. Nach meiner Einschätzung die plausibelste These ist, dass bewusst der russische Fingerabdruck an dieser Tat hinterlassen worden ist, um eine Warnung und Mitteilung an alle diejenigen, die vielleicht etwas wissen, abzugeben, nämlich es trifft euch und es trifft auch eure Familien. Das ist dann wieder eine neue zusätzliche Dimension – nicht ganz neu. Es gibt ja eine Serie von solchen Taten. Aber das ist ein Teil der bewussten Norm- und auch Zivilisationsverletzung, die im Bild bleibt, die man nicht vergessen kann und auch besonders brutal ist.
    Engels: Das heißt, Sie machen den Kreml auch direkt verantwortlich?
    Röttgen: Ganz sicher für eines, nämlich dafür, dass das Nervengift, das zum Einsatz gekommen ist, aus russischer Entwicklung und Produktion stammt und höchst komplex und kompliziert ist. Das steht fest, ist auch unbestritten. Und schon weil das feststeht, muss, wäre und ist Russland verpflichtet zu kooperieren und auch an der Aufklärung sich zu beteiligen, anstatt jede Form der Aufforderung dazu höhnisch zurückzuweisen. Ja, ich glaube, wenn Russland einen Oppositionellen, einen ehemaligen Doppelagenten zum Schweigen bringen will, ohne dass man das auf Russland zurückführen kann, dann ist Russland und der russische Geheimdienst absolut in der Lage dazu. Wenn die Tatspuren geradezu am Tatort liegen, dann wollte man eine Nachricht geben. Das ist die plausibelste These.
    "Ich bin dafür, dass wir realistisch sind und nicht schönreden"
    Engels: Wolfgang Kubicki von der FDP hat die jüngste gemeinsame Erklärung von Großbritannien, Frankreich, den USA und Deutschland dazu, die ja Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit und ähnlicher Argumentation wie Ihrer die Schuld am Giftanschlag zuweist, im Deutschlandfunk-Interview gestern als voreilig bezeichnet und einen Fehler genannt. Er sieht die Beweislage als zu dünn an. Bewegt man sich da zu schnell auf die Eskalation hin?
    Röttgen: Nein. Die Eskalation ist ja die Tat und das Tatmittel, wie eben gesagt, ist eine Ableitung aus einer russischen Chemiewaffe – völlig unbestritten. Und dass das Russland zu Kooperation und Aufklärungsbemühungen verpflichtet, ist völlig klar. Wenn hier an dieser Stelle, wenn eine solche Tat passiert, dann ein Verbündeter unseres Landes sich nicht auf seine Freunde und Partner verlassen kann, dann wäre Deutschland, die USA, Frankreich und die Staatengemeinschaft unzuverlässig gewesen. Das ist der Rat, den Kubicki gibt, den Freund hängen zu lassen in einer wirklich ernsten Situation.
    Engels: Frühere Krisen mit Russland, zum Beispiel rund um die Krim-Annexion, haben aber gezeigt, dass der Westen irgendwann auch wieder mit Russland reden muss, auch wenn die Krim weiterhin besetzt ist. Muss man irgendwann von der Palme wieder herunter, oder vielleicht den Weg gehen, jetzt tatsächlich die EU wieder zu gemeinsamen Sanktionen zu bringen?
    Röttgen: Die Gespräche sind praktisch nie eingestellt worden. Dafür plädiere ich auch nicht. Ich glaube auch nicht, dass wir auf die Palme hochgeklettert sind, wenn man fest und eindeutig reagiert. Ich bin sehr fürs Sprechen, aber ich bin für eine klare Sprache. Ich bin dafür, dass wir realistisch sind und nicht schönreden und so tun, als wäre es eine realitätsbezogene Politik, wenn das eine Land die Normen, und zwar die Kernnormen des internationalen Zusammenlebens und des friedlichen Zusammenlebens verletzt, dass wir dann, der Westen, die Europäer, auf diesen Staat zugehen müssten und Konzessionen machen müssten. Das ist völlig falsch und widerspricht übrigens jeder geschichtlichen Erfahrung und in der letzten geschichtlichen Erfahrung auch der mit Putin.
    "Ich rate vor allen Dingen zu Solidarität der Europäer"
    Engels: Heute beraten die EU-Außenminister in Brüssel. Ein Thema wird auch das Umgehen mit Russland sein. Raten Sie zu neuen Sanktionen gegen Moskau?
    Röttgen: Ich rate vor allen Dingen zu Solidarität der Europäer, des Westens, das ist unsere eigentliche Stärke, die die Mitteilung beinhaltet, wir akzeptieren das nicht. Für diese Politik der Aggressivität wird es keine außenpolitische Rendite geben, keine Anerkennung, sondern das Gegenteil. Die Nichtanerkennungspolitik ist das, was wir konsequent machen müssen. Ich würde jetzt nicht das Wort Sanktionen verwenden, aber dass Großbritannien in seiner Entscheidung für ernste Konsequenzen Solidarität erfährt, dafür bin ich ganz unbedingt.
    Engels: Bilaterale Schritte hat London ja schon auf den Weg gebracht durch die Ausweisung von Diplomaten. Was sollte die EU Ihrer Ansicht nach auch an konkreten Signalen setzen?
    Röttgen: Meiner Einschätzung nach sollte an einem Punkt wirklich jetzt angesetzt werden, auch um der eigenen Glaubwürdigkeit willen. Der Einsatz dieses Nervengiftes ist ja nicht ganz klar zuzuordnen, also schon russisch, aber ist es jetzt der Staat, ist es der Sicherheitsapparat, oder ist es aus dem Teil der organisierten Kriminalität. Diese Bereiche fließen ja im gegenwärtigen russischen Machtsystem Putin ineinander. Die Grenzen sind nicht mehr klar zu trennen. Und eine Konsequenz dieses zusammenfließenden Bereiches ist, dass dort viel schmutziges Geld verdient wird, was in prächtigen Gebäuden in Europa, vor allen Dingen in London, aber auch in anderen Kapital-Metropolen Europas Anlage findet, Anlagemöglichkeiten und die Möglichkeit, dass schmutziges Geld gewaschen wird. Diese Offenheit gegenüber schmutzigem Geld und Geldwäsche in Europa, diese Politik muss geändert werden im eigenen Interesse, aber auch als eine Konsequenz aus dem Vorfall Skripal, indem wir sagen, die wirtschaftlichen Geschäfte, die ihr macht mit dieser Art von Geschäften, bei denen werden wir nicht mehr mitspielen. Das, glaube ich, wäre eine wirkliche ernste Konsequenz, die auch die betreffenden Personen treffen würde.
    Engels: Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages und Mitglied der CDU. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Röttgen: Ich danke Ihnen, Frau Engels.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.