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Russland: Nach dem Mord an Anna Politkowskaja

Wenn es nach der russischen Journalistin Olga Kitowa geht, dann hat mit dem Mord an Anna Politkowskaja ein neues Kapitel in der Geschichte der russischen Medien begonnen:

Von Gesine Dornblüth | 08.01.2007
    "Das neue Kapitel wird noch trauriger als die vorherigen. Ich erwarte nichts Gutes, weder für mich noch für meine Kollegen. Guter und ehrlicher Journalismus recherchiert und verbreitet Nachrichten. Alles andere heißt, Märchen zu erzählen. Für guten, ehrlichen Journalismus wird es jetzt immer schwieriger werden."

    Olga Kitowa arbeitet für die Novaja Gazeta, die Zeitung, für die auch Anna Politkowskaja geschrieben hat. Sie berichtet über Machenschaften des Gouverneurs in ihrer Heimatstadt Belgorod und wurde deshalb schon bedroht und gerichtlich verurteilt. Der Mord an ihrer Kollegin habe sie und viele andere tief bewegt, sagt Kitowa. Eine Debatte über die Notwendigkeit von Qualitätsjournalismus habe er unter russischen Journalisten aber nicht angestoßen.

    "Ich weiß nichts von solchen Diskussionen. Alles ist auch so allen klar: Da ist jemand umgekommen, der ehrlich seine Arbeit getan hat. Wer mit Politkowskaja nicht einverstanden war, hätte mit ihr streiten oder eine Gegendarstellung fordern können. Aber in unserem Land scheinen zivilisierte Formen der Auseinandersetzung nicht mehr zu existieren. Wer etwas schreibt, das einem anderen nicht gefällt, wird einfach umgebracht."

    Präsident Putin hat nach dem Mord an Politkowskaja Aufklärung versprochen. Nach Erkenntnissen der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" ermitteln derzeit etwa 200 Experten in dem Fall. Geschäftsführerin Elke Schäfter:

    "Wir hoffen sehr, dass es zu einer Aufklärung dieser Straftat kommt, wir können uns vorstellen, dass man die Mörder fasst, aber eben nicht die Hintergründe richtig erläutert, und auch die Hintermänner, die Auftraggeber, im Prinzip außen vor lässt."

    Es ist nicht nur Gewalt gegen russische Journalisten, die "Reporter ohne Grenzen" Sorgen bereitet. Dazu kommt eine zunehmende Staatsnähe der Medien. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Erdgasmonopolist Gasprom. Das mehrheitlich in Staatsbesitz befindliche Unternehmen stieg kürzlich als Hauptsponsor beim Fußballclub Schalke 04 ein. Darüber hinaus gehören ihm über sein Tochterunternehmen, die Gasprom-Media, die Fernsehsender NTW, TNT und NTW-plus sowie etwa zwanzig Zeitschriften und Zeitungen, darunter die große Tageszeitung "Izvestija". Im November erwarb Gasprom-Media dazu noch die auflagenstarke "Komsomolskaja Pravda". Elke Schäfter von "Reporter ohne Grenzen":

    "Im Falle von Gasprom ist es deshalb mit Sorge zu betrachten, weil Gasprom ein staatsnahes Unternehmen ist, weil bisher die staatsnahen Unternehmen und auch der Staat selber, die Regierung selber, die Sender, die sie selber besitzt, nicht dafür gesorgt hat, dass dort unabhängiger Journalismus betrieben wird, sondern staatsfreundlicher Journalismus."

    So nahm NTW nach der Übernahme durch Gasprom eine politische Satiresendung aus dem Programm. Auch der neue Chefredakteur der Izvestija trimmte das Blatt auf Kreml-Linie. Im Gegensatz zum Altbundeskanzler und Putin-Freund Schröder, der mittlerweile als Berater für Gasprom tätig ist, hat Bundeskanzlerin Merkel das Thema Pressefreiheit mehrfach gegenüber dem russischen Präsidenten angesprochen. Auch Außenminister Steinmeier forderte bei seinem Besuch in Moskau im Dezember eine schnelle Aufklärung des Mordes an der Journalistin Politkowskaja. Elke Schäfter:

    "Wir müssen jetzt sehen, ob da auch Taten folgen, und ob der Druck, den die Regierungen machen, dann tatsächlich auch etwas im Land bewirkt. Schauen wir uns die Medienschelte an, die Putin betrieben hat, die auch ab und an der russische Botschafter betreibt, auch betreibt gegen ausländische Korrespondentinnen und Korrespondenten, so sehen wir hier noch keine Trendwende."

    Kritik an seiner Medienpolitik prallt am Kremlchef ab. Dem Vorwurf staatlicher Einflussnahme entgegneter er anlässlich einer Tagung der Weltzeitungsassoziation in Moskau, es gäbe 53.000 Periodika und mehr als 3.000 Rundfunk- und Fernsehanstalten im Lande. Die könne er gar nicht kontrollieren. Die meisten Publikationen befassen sich aber gar nicht mit Politik. Und die anderen werden zunehmend von einflussreichen Geschäftsleuten aufgekauft, die meist loyal zum Kreml stehen. Wie etwa die traditionsreiche Wochenzeitung "Moskowskije Nowosti". Deren neuer Eigentümer Arkadi Gaidamak kündigte nach dem Erwerb der Zeitung im Sommer 2005 sogar öffentlich an, "Moskowskije Nowosti" würde zu einem Pro-Regierungsblatt werden. Zeitungen sollten sich nicht gegen die Mächtigen wenden. Journalisten, die genau dies dennoch wagen, werden in Russland mit Beleidigungsklagen überzogen. Oft kommt es zu hohen Geldstrafen, die die Zeitungen in ihrer Existenz bedrohen - gerade in den Regionen. So auch im Fall von Olga Kitowa. Die Zeitung "Moskovskij Komsomolez", in der sie über die Machenschaften ihres Gouverneurs berichtete, musste bereits umgerechnet 30.000 Euro zahlen, weil sich der Politiker durch einen Artikel verunglimpft fühlte. Olga Kitowa:

    "Ich habe Angst. Schon seit langem. Mehr Angst kann man nicht haben. Denn ich bin ein Mensch. Menschen wollen nicht nur leben, sondern auch auf ehrliche Art und Weise ihren Lebensunterhalt verdienen. Mein Beruf ist Journalismus, ich möchte ein ehrlicher Journalist sein. Und leben. Bisher ging beides. Ob es so weiter geht - wer soll das wissen?"