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Russland streitet über die Wiedereinführung der Todesstrafe

1999 verhängte der damalige Präsident Boris Jelzin ein Moratorium zur Todesstrafe. Jetzt versuchen Abgeordnete der Duma, die Wiedereinführung der Todesstrafe zu erreichen. Das Verfassungsgericht in St. Petersburg wird darüber heute befinden.

Von Robert Baag |
    Für den Moskauer Publizisten Leonid Radzichovskij steht außer Zweifel, wie die Mehrheit seiner Landsleute denkt, fragte man sie, ob die Todesstrafe in Russland wieder verhängt und vollzogen werden sollte:

    "Alle Umfragen sagen, dass das Volk nach Blut giert, auf die Rückkehr der Todesstrafe wartet. Die einen sagen, es seien 70 Prozent, andere nennen 60 Prozent. Na, jedenfalls eine ganz überwiegende Mehrheit. - Aber ich denke: Unser Land ist in dieser Hinsicht gar nicht so originell! In den meisten jener Staaten, wo es die Todesstrafe nicht mehr gibt, hat man dies entgegen den Volkswünschen entschieden. Und zwar nicht so sehr, weil all die Menschen vielleicht glauben, dass sie der Verbrechensvorbeugung dient, sondern weil sie Rache wollen: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Tod für Tod."

    Diese Haltung spiegelt sich auch in der Duma wider, dem russischen Parlament. Dort ist die Zahl jener gar nicht so gering, die das 1999 vom damaligen Präsidenten Boris Jelzin verhängte Moratorium zur Todesstrafe in Russland wieder aufheben wollen. Damals hatte Jelzin per Ukaz alle Todesurteile in Haftstrafen umwandeln lassen. - Ljubov Sliska, immerhin stellvertretende Duma-Sprecherin und Mitglied der sogenannten Putin-Partei "Jedinnaja Rossija" - "Geeintes Russland" meinte noch vor wenigen Tagen:

    "Das, was wir in all den Jahren bekommen haben, seit die Todesstrafe bei uns nicht mehr angewandt wird, kann wohl - was die Kriminalität betrifft - schwerlich als ein 'normales Resultat' bezeichnet werden. Deswegen: Für schwere Verbrechen, die an Kindern, an Alten verübt werden, für schwere Wirtschaftsverbrechen muss es die Todesstrafe geben! Ich begrüße daher den Antrag des Obersten Gerichts an das Verfassungsgericht, von dem ich hoffe, dass es die richtige Entscheidung treffen wird!"

    Überraschend schnell, gerade einmal anderthalb Wochen nach dieser Eingabe der Obersten Richter an ihre Kollegen vom Verfassungsgericht in St. Petersburg, wollen diese heute darüber befinden, ob ab dem 1. Januar 2010 in Russland wieder die Todesstrafe gelten soll. Formaler Auslöser der Anfrage: Ab dem ersten Januar wird es in allen Regionen Russlands wieder Geschworenengerichte geben. Auch Tschetschenien als bislang letzte Teilrepublik verfügt dann über solch eine Institution. Und damit entfällt demnächst der wesentliche formale Grund für das Moratorium. Über die Zukunft der Todesstrafe muss erneut entschieden werden. - Allerdings ist sich Leonid Radzichovskij sicher:

    "Die Todesstrafe wird hundertprozentig niemand wieder einführen und zwar wegen des Europarats."

    Damit ruft er in Erinnerung, dass Russland seit Januar 1996 Mitglied in diesem europäischen Gremium ist und auch das entsprechende sechste Protokoll der Europäischen Menschrechtskonvention über die Abschaffung der Todesstrafe unterschrieben hat. Wahr ist aber auch: Ratifiziert hat die Duma das erforderliche nationale Gesetz bis heute nicht.

    Vladimir Putin hat sich über die Jahre öffentlich unterschiedlich geäußert - mal als Befürworter, mal als Gegner der Todesstrafe. Spekuliert wird derzeit in Moskau, ob und wie sich Dmitrij Medvedev, amtierender Präsident und gelernter Jurist, zur Todesstrafe verhalten wird. Die meisten glauben, er werde sich demnächst dagegen aussprechen - während seiner Jahresbotschaft an beide Häuser des Parlaments. Andere indes wollen nicht ausschließen, dass er Ausnahmen befürworten könnte - etwa bei Gewaltverbrechen gegen Kinder. - Doch Vladimir Tumanov, ehemaliger russischer Verfassungsrichter, warnt an dieser Stelle:

    "Wer 'A' sagt, muss auch 'B' sagen. Das heißt: Er muss den Jelzin-Ukaz über das Moratorium aufheben. Aber, wissen Sie, wer nimmt solch eine Verantwortung auf sich?! - Das ist eine schwere Last! An seinen Platz in der Geschichte sollte jeder denken."