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Russland und der Europarat
"Wie gehen wir mit Staaten um, die sich nicht mehr an die Spielregeln halten?"

Wegen des Ukrainekonfliktes und der Krim-Annexion hat der Europarat Sanktionen gegen Russland verhängt. Nun könnte Moskau die Organisation verlassen. Der Europarat sucht deswegen nach dem richtigen Umgang mit Problemstaaten, sagte der Pressesprecher des Europarates, Daniel Höltgen, im Dlf.

Daniel Höltgen im Gespräch mit Alexander Moritz | 15.05.2019
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates, aufgenommen am 22.04.2013 in Straßburg,
Die Außenminister der Europarats-Staaten beraten Mitte Mai in Helsinki über einen möglichen Ausschluss Russlands (dpa / Rainer Jensen)
Alexander Moritz: Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit – dafür steht der Europarat – und der dazugehörige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. 47 Staaten gehören der Organisation inzwischen an – neben den westlichen Demokratien der Europäischen Union auch autoritäre Staaten wie die Türkei, Aserbaidschan und Russland. Der Europarat gilt daher als wichtige Dialogplattform zwischen Ost und West. Doch die Organisation steckt in der wohl schwersten Krise ihres Bestehens: Wegen des russischen Vorgehens in der Ostukraine und der Annexion der Krim hat die parlamentarische Versammlung des Europarats Sanktionen gegen Russland verhängt. Russland hat daraufhin seine Abgeordneten abgezogen – und seit zwei Jahren zahlt das Land auch keine Mitgliedsbeiträge mehr. Deswegen droht Russland nun der Ausschluss. Wie die Zusammenarbeit doch noch zu retten ist, darüber wollen die Außenminister des Europarats Ende der Woche bei einem Treffen in Helsinki beraten. Am Telefon ist Daniel Höltgen, Sprecher des Europarates. Guten Morgen nach Straßburg.
Daniel Höltgen: Guten Morgen aus Straßburg!
Moritz : Wie wahrscheinlich ist es denn, dass Russland den Europarat tatsächlich verlässt?
Höltgen: Nun, wie Sie in dem Anspann gesprochen haben und was Sie uns geschildert haben, ist absolut richtig. Es gab Sanktionen, man hat der russischen Delegation in der parlamentarischen Versammlung das Wahlrecht entzogen, 2014, nach der illegalen Annexion der Krim. 2015 hat man das wiederholt, und seit 2016 sind die russischen Delegierten nicht mehr erschienen. Und dann kam auch noch dazu, dass 2017 die Russische Föderation entschieden hat, keine Beiträge mehr zu zahlen. Das Komplizierte an dem Verfahren ist, dass die Parlamentarier auch unsere wichtigsten Stellvertreter wählen, nämlich die Richter am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof und auch den Generalsekretär – ein neuer wird jetzt am 26. Juni gewählt –, und auch die Menschenrechtskommissarin wurde bisher nicht mit den Stimmen aus Russland gewählt. Damit könnte der Europarat für Russland an Legitimität verlieren, und Russland hat auch selbst damit gedroht, den Europarat zu verlassen, wenn es hier keine Lösung gibt. Und daher ist dieses Treffen am 17. Mai, also am Freitag, in Helsinki so wichtig. Außenminister Maas nimmt daran teil, auch der Außenminister aus Russland nimmt teil, um eben eine Lösung zu finden aus diesem institutionellen Konflikt.
"Es geht um die 144 Millionen russischer Bürger"
Moritz : Wie könnte denn eine solche mögliche Lösung, ein Kompromiss mit Russland aussehen, zeichnet sich da jetzt schon etwas ab im Vorfeld?
Höltgen: Ja, bereits im April hat die Parlamentarische Versammlung selbst einen Bericht angenommen, nachdem in Zukunft eben ein gemeinsames Verfahren entwickelt werden muss, also nicht nur die Parlamentarische Versammlung, sondern auch das Ministerkomitee, die 47 Mitgliedsstaaten beteiligt sein müssen, um eben ein Land zu sanktionieren nach einem sehr präzisen Prozess, schrittweise mit einem Monitoringverfahren, das dann letztlich zu einem Ausschluss führen könnte. Aber wichtig ist eben, diesen Prozess auf eine rechtlich sichere Grundlage zu stellen, und dazu scheint es eine Mehrheit zu geben. Im Übrigen wollen die großen Mitgliedsstaaten Deutschland und Frankreich – Präsident Macron hat das letzte Woche auch noch mal wiederholt – einen Verbleib Russlands im Europarat. Es geht um die 144 Millionen europäischen Bürger und Bürgerinnen in Russland, also die russischen Bürger, die die Möglichkeit haben, an den Gerichtshof zu gehen, es geht um die Menschenrechtskonvention. Es geht darum, Russland noch in einem Verbund zu halten und nicht Russland zu isolieren beziehungsweise zu erlauben, dass sich Russland isoliert.
Ein Entgegenkommen an Russland?
Moritz : Das ist also eine Art Entgegenkommen auch vonseiten der westlichen Staaten, denn Russland hat ja genau das gefordert, dass sie das Stimmrecht zurückbekommen und dass es ihnen auch in Zukunft nicht mehr so einfach von der Parlamentarischen Versammlung entzogen werden kann. Bekommt der Europarat dadurch nicht eine Art Glaubwürdigkeitsproblem, wenn man die Annexion der Krim jetzt doch einfach so hinnimmt und die Sanktionen wieder zurückzieht?
Höltgen: Nein, im Gegenteil, es geht ja bei der EU genauso wie beim Europarat um eine neue Situation: Wie gehen wir mit Staaten um, die sich nicht mehr an die Spielregeln halten? In der EU hat man das Artikel-7-Verfahren und man wendet es ja bereits gegen Polen an, und bei uns haben wir im Statut, in der Satzung auch eine klare Regelung, nach Artikel 8 und 9 kann man ein Land ausschließen, und zwar müssen das die Mitgliedsstaaten beschließen. Nach Artikel 8 und 9 können Sie das mit Zweidrittelmehrheit beschließen. Es ist also fast leichter, bei uns ein Land auszuschließen als bei der EU. Nur müssen das eben beide Flügel der Organisation – die parlamentarische Seite und die Mitgliedsstaaten – gemeinsam beschließen. Und ich glaube, dadurch wird der Europarat noch glaubwürdiger, wenn man jetzt ein neues Verfahren beschließt und wenn man zunächst einmal wieder den russischen Delegierten erlaubt, an der Wahl des Generalsekretärs teilzunehmen. Sonst wäre Russland isoliert, und die Gefahr besteht tatsächlich, dass Russland dann seinen eigenen Weg geht, ohne jede Einbindung in die europäische Gemeinschaft, in die europäische Wertgemeinschaft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.