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Russland und der Zorn über die Raketenabwehr

Die geplante Raketenabwehr der USA und NATO ist ein Dauerstreitthema für die Russen. Politiker und Militärs verlangen, in die Planungen gleichberechtigt miteinbezogen zu werden. Alles nur Rhetorik, oder eine ernst gemeinte Drohung?

Von Gesine Dornblüth | 08.05.2012
    Seit Tagen probt das Militär in Moskau die traditionelle Siegesparade. Der Rote Platz ist weitläufig abgesperrt. 14.000 Soldaten warten an diesem Abend in Reih und Glied auf das Kommando, um dann im Gleichschritt vor der Ehrentribüne über das Pflaster zu marschieren.

    Der Sprecher verliest die Namen der Regimenter und Bataillone und deren Auszeichnungen im Großen Vaterländischen Krieg, wie der Zweite Weltkrieg in Russland heißt. Dann fahren Panzer und Raketenwerfer auf. Das Pflaster bebt. Zur Krönung fahren Schlepper Atomraketen über den Roten Platz.

    Es ist ein alljährliches Ritual, seit 67 Jahren. Aber der Charakter der Parade verändert sich, sagt der Militärexperte Alexander Golz.

    "Anstelle einer Siegesfeier geht es immer mehr darum, Waffen zu präsentieren. Da geht es nicht mehr um das Pathos der Kriegserinnerungen, sondern um militärische Sprengkraft. Das ist aber absurd, weil Experten seit Langem wissen, dass die Technik, die in immer größeren Mengen über den Roten Platz gefahren wird, veraltet ist."

    Der Kreml, namentlich der frisch ins Präsidentenamt zurückgekehrte Wladimir Putin, präsentiert Russland seit einigen Jahren gern als starkes Land, besonders auch militärisch. Putin hatte bei seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor fünf Jahren den Anfang gemacht. Damals war er auch Präsident. Er kritisierte die NATO-Osterweiterung scharf und warnte das Bündnis vor ungezügelter Militäranwendung. Und schon damals kritisierte Putin die Pläne der Amerikaner, in Europa ein Raketenabwehrsystem zu errichten. Russland betrachtet den Raketenabwehrschirm als einen Angriff auf seine Sicherheit. Der Konflikt hat sich in den letzten Jahren zugespitzt.

    Ende letzten Jahres warnte der damalige Präsident Dmitrij Medwedew, Russland erwäge, Iskander-Raketen im Kaliningrader Gebiet zu stationieren, falls die NATO Russlands Interessen bei ihren Plänen für den Raketenschirm ignorieren sollte. Letzte Woche legte die militärische Führung nach. Der Generalstabschef Nikolaj Makarow warnte gar mit einem Präventivschlag, sollten die Amerikaner das Projekt wie geplant umsetzen. Das klingt bedrohlich, doch der Politologe Nikolaj Petrov beruhigt:

    "Man darf da nicht nur auf die Worte achten, sondern muss auch die Taten berücksichtigen. Trotz der harten, antiwestlichen Rhetorik, die Putin im Wahlkampf benutzt hat und die er auch jetzt noch benutzt, hat der Kreml eine ganze Reihe konstruktiver Schritte unternommen, unter anderem bei der Zusammenarbeit mit der NATO."

    Russland verhandelt derzeit mit den USA über einen Umschlagplatz für den Abzug der NATO aus Afghanistan. Im Gespräch ist der Flughafen des südrussischen Uljanowsk. Die Zusammenarbeit mit der NATO ist bei der Opposition umstritten. Wladimir Putin verteidigt das Projekt derzeit bei jeder Gelegenheit gegen die Kritik im eigenen Land – und lobt dabei stets die gute Arbeit der NATO in Afghanistan.

    In Sachen Raketenabwehr dürfte die russische Position jedoch hart bleiben. Sergej Lawrow, langjähriger Außenminister Russlands, sagte gestern, er wisse nicht, worauf der Westen setze; Russland jedenfalls setze darauf, dass seine Sorgen gehört würden und dass das Problem gemeinsam und kollegial im Weltsicherheitsrat gelöst werde.