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Russland vor der Duma-Wahl

Vier Tage vor der Duma-Wahl möchten 70 Prozent der russischen Bevölkerung lieber Wladimir Putin als irgendjemand anderen im nächsten März in den Kreml einziehen sehen. Doch Putin ist bereits einmal wieder gewählt worden und könnte nach geltenden Regeln nicht mehr für das Amt des Präsidenten kandidieren. Putin hat aber auch zu erkennen gegeben, dass er auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen werde - etwa als erster Mann der Kreml-Partei "Einiges Russland". Korrespondent Robert Baag mit einem politischen Stimmungsbericht aus Russland.

28.11.2007
    "Nur der Sieg zählt!", ruft Wladimir Putin in das weite Rund der Sportarena im Moskauer Luzhniki-Stadion, und für die jungen Leute zu seinen Füßen gibt es jetzt kein Halten mehr: "Verj v sebja, verj v Rassiju! - Glaub an dich! Glaub an Russland", skandieren sie. Sie sind wirklich begeistert. Dort oben steht ihr Idol, steht der Präsident ihres Landes. - "Za Putina" - "Für Putin" - so haben sie ihre Bewegung genannt, die sie lieber als "Forum" bezeichnen sehen möchten.

    Pavel Astachov heißt der alerte Enddreißiger mit den kurz geschorenen Schläfen, der diese erste große öffentliche Veranstaltung organisiert hat. Um die Dumawahlen am kommenden Sonntag geht es vordergründig, in Wirklichkeit aber geht es um etwas ganz anderes. Und Rechtsanwalt Astachov gibt den Seinen die Richtung vor:

    "Heute und am 2. Dezember werde ich Präsident Putin unterstützen! Die Zeit ist da, sich um unser Land zu kümmern. Und gerade wir können das tun. Dieser Mensch hat uns alle seine Verdienste zur Abstimmung vorgelegt, seine ganze Reputation und Autorität, all das was er in acht Jahren vermocht hat zu tun. - Er hat gesagt: "Ja, ich vertraue euch, selbst eine Wahl zu treffen!" - Und wir? Wir können diese Frage lösen! Wir müssen nur kommen und zwei Worte sagen: "Wir ver - trau - en!"- Vertrauen wir!"

    Die Antwort aus tausenden Kehlen - unüberhörbar. Ein Referendum also in Wirklichkeit. Seit langem im Kreml vorbereitet und orchestriert scheint sich alles auf diese Frage zuzuspitzen. Wie lässt es sich anstellen, dass Präsident Putin weiter das Land führt? Ein nationaler "lider" soll er sein, ist von den "Za-Putinisten" zu hören, aber auch von Künstlern, Wissenschaftlern und natürlich von der so genannten Putin-Partei "Einiges Russland", für die Putin bei den kommenden Wahlen als Spitzenkandidat antritt.

    Fast ein wenig verschämt heißt es: "lider", wählt man trotz der angespannten Beziehungen zu Großbritannien und den USA das englische Wort für den Begriff "Führer", vermeidet den ur-russischen Begriff "Vozhd". Denn der, so sicherlich die Überlegung der so genannten Polit-Technologen, war vor über 50 Jahren bekanntlich dem Sowjetdiktator Stalin vorbehalten.

    Überlegungen, die Putins jugendlichen Anhängern eher fremd sein dürften, so wie etwa Robert Schpegel, einem unbefangen karriereorientierten Aktivisten der Bewegung "Naschi", einer Art Putin-Jugend-Organisation:

    "Das Wichtigste: Wir haben heute die Möglichkeit uns weiter zu entwickeln. Deshalb müssen wir den jetzigen Kurs bewahren, müssen den Präsidenten unterstützen, damit er sich auf seine Wähler, sein Volk stützen kann. Und überhaupt - er ist eben ein toller Typ!"

    Das finden übrigens auch Angehörige der älteren Generation, wie zum Beispiel Michail Kalaschnikov, ein über 80-jähriger Veteran, der Erfinder des gleichnamigen berühmt-berüchtigten Sturmgewehrs AK-47, "Avtomat Kalaschnikov". Per Fernseh-Monitor zugeschaltet aus dem fernen Izhevsk ermuntert er mit leicht brüchiger Stimme das junge Publikum im Luzhniki-Stadion:

    "Für mich ist sehr wichtig, dass sich eine Kraft im Land gezeigt hat, die fähig ist, unser Recht darauf zu verteidigen, Sieger sein zu können. Und das seid ihr! Deswegen unterstütze ich euch. Nur zusammen können wir siegen. Zusammen mit Russland. Zusammen mit Putin!"

    Der dem System Putin kritisch eingestellte Moskauer Politologe Leonid Radzichovskij ist sich aber völlig sicher:

    "Diese Leute, die da schreien: "Za Putina - Für Putin', von denen meinen 999 von 1000 es ehrlich! Niemand musste denen eine einzige Kopeke bezahlen. Dieses Massenphänomen ist organisiert, künstlich geschaffen - und dass es eine Art Massenpsychose ist, daran besteht nicht der geringste Zweifel!"

    Sogar die Rock-Gruppe "Ljube" bekennt sich jetzt offen in ihrer Liebe zum Präsidenten und gibt sich ihrem personengebundenen Patriotismus hin, auch wenn der ein bisschen arg militaristisch daher kommt:

    "Auf dem historischen Schlachtfeld von Tschistoje Polje, "so ihr Text, "steht heute unser Raketenwerfer vom System Grad - dahinter aber stehen Putin und Stalingrad!"
    Der ehemalige Schachmeister Garry Kasparow steht in Moskau vor Gericht.
    Oppositionspolitiker, die anderer Meinung sind - wie etwa der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow - wurden am Wochenende kurzerhand festgenommen. (AP)