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Russlands Angst vor der Islamierung

Im Nordkaukasus haben sich militante Islamisten festgesetzt - ein noch beherrschbares militärisches Problem für Russland. Doch der arabische Aufruhr könnte sich bis an die Grenzen Russlands fortsetzen - und unbeherrschbar werden.

Von Robert Baag | 08.02.2011
    Beklemmung ob der Sorglosigkeit, vielleicht dennoch gepaart mit einem Quäntchen widerwilliger Bewunderung vermittelt der russische Fernsehreporter, der im ägyptischen Badeort Scharm-el-Sheikh auf ausgelassen an der Pool-Bar zechende Landsleute trifft, während auf dem Tahrir-Platz in Kairo gerade Blut fließt. In einer Ecke der Hotellobby zeigt ein Nachrichten-Kanal, wie zwischen Mubarak-Gegnern und seinen angeblichen Anhängern Steine hin- und herfliegen. Doch unbeeindruckt rufen die Touristen in Badehosen und Bikinis fröhlich in die Kamera, aus welchen Städten sie schon vor Tagen vor dem eisigen russischen Winter geflohen sind.

    Aus Nizhnyj-Novgorod kommen sie, aus Kazan', aus Kaliningrad, aus Ufa. - "Bevor wir hierher geflogen sind", meint dann einer von ihnen, "wovor haben sie uns nicht alles gewarnt: Vor Haifischen im Roten Meer, dann vor der Vogelgrippe, und dann erzählten sie was von 'Krieg'...Und??! Wir sind doch hier?! Wir machen Urlaub!"

    Knapp 30.000 russische Touristen sollen sich noch an diesem Wochenende an den ägyptischen Stränden aufgehalten haben, entschlossen, ihre Ferien nicht abzubrechen. Dies berichtete die staatliche Tourismus-Agentur in Moskau. Man wolle allerdings versuchen, sie in den kommenden Tagen alle zurückzubringen. Schon kurz nach Ausbruch der Unruhen hatte sich die russische Regierung Zurückhaltung auferlegt, eine parteiliche Festlegung pro oder kontra Mubarak sorgfältig vermieden. Und an dieser Linie hält sie weiterhin fest - Außenminister Sergej Lawrow:

    "Ägypten ist unser strategischer Partner und ein Schlüsselland im Nahen Osten! Deswegen ist es uns nicht gleichgültig, was dort passiert. Wir sind an einem stabilen, blühenden, demokratischen Ägypten interessiert, das seine aktuellen sozialen und politischen Probleme so schnell wie möglich friedlich reguliert. - Wie das konkret gehandhabt werden kann, müssen die ägyptischen Politiker, muss das ägyptische Volk selbst entscheiden. Wir halten es nicht für nützlich, ihnen von außen irgendwelche Rezepte aufzudrängen, irgendwelche Ultimaten auszusprechen. Untereinander einigen müssen sich die politischen Kräfte in Ägypten selbst."

    Die sich seit Januar ausbreitenden Proteste in verschiedenen arabischen Staaten beschäftigen auch die ausführlich berichtenden Medien Russlands. Immerhin: Ägypten war in den 60er-Jahren unter Mubaraks Vor-Vorgänger Gamal abd el Nasser einer der wichtigsten Verbündeten der damaligen Sowjetunion im Nahen Osten. Altgediente Orient-Experten mit Geheimdienst-Hintergrund, wie etwa den früheren russischen Ministerpräsidenten Jewgenij Primakow, hat die jüngste Entwicklung im Nahen Osten offenbar nicht sonderlich überrascht. Im russischen Fernsehen gab er sich überzeugt:

    "Die Islamisierung dort schreitet voran - auch in ihren extremistischen Formen. Klar. Dabei übersehen wir aber oft, dass es dort auch zu einer sozialen Explosion kommt. So wie in Ägypten - und nicht nur dort. Dasselbe entwickelt sich im Jemen. In Tunesien war das schon so. Die Hauptgründe? Die Unzufriedenheit der Menschen mit ihrer Armut. Und die wildwuchernde Korruption ..."

    Angesichts der schwelenden Probleme Russlands mit militanten Islamisten im Nordkaukasus warnt der angesehene Publizist Melor Sturua vor den Folgen, käme es mittel- bis langfristig zu einer fundamentalistisch-islamischen Umorientierung der arabischen Welt:

    "Für Russland wäre solch eine Entwicklung unbedingt gefährlich. Bei uns in Russland leben über 20 Millionen Muslime. Bei ihnen dürfte sich eine Art 'Stolz' auf die arabischen Glaubensbrüder und deren Erfolg ausbilden. Und was das für einen Einfluss auf die Köpfe so mancher unserer jungen Muslime haben kann, ist ungewiss. In deren Gehirnen könnte sich etwas zusammenbrauen ..."

    "In Namangan, in Usbekistan, habe ich mit Fundamentalisten, mit Wahabiten, gesprochen”, nennt Georgij Mirskij, Zentralasien-Spezialist der russischen Akademie der Wissenschaften, ein aus seiner Sicht weiteres, ebenso gefährliches Risiko für Russland, sollte sich der islamische Fundamentalismus über den Nahen Osten noch weiter auszubreiten beginnen.

    "Diese Leute haben mir ganz klar gesagt: 'Wir werden erst aus Usbekistan eine islamische Republik machen, dann kommt Kasachstan an die Reihe. Und dann, Herr Professor, schauen Sie mal auf die Landkarte: Von dort aus können sie den Muslimen in den russischen Teilrepubliken Tatarstan und Baschkortastan doch buchstäblich schon die Hand reichen ..."


    Ägyptisches Regime spielt auf Zeit - Proteste in Kairo gehen weiter