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Ruth Jung: Attac - Sand im Getriebe

Die Globalisierung, jenes schillernde Phänomen, unter dem viele schlicht nur eine Ausweitung des Kapitalismus sehen, andere eine Verflechtung der Weltwirtschaft, hat ihre eigenen Gesetze. Die richten sich nicht immer nach den Bedürfnissen der Menschen, weshalb es nicht wenig Menschen gibt, die gegen die Globalisierung auf die Barrikaden gehen oder sich wenigstens gegen sie organisieren. Eine Plattform für diese Organisation bietet Attac, jene französisch-stämmige Vereinigung, von der immer die Rede ist, wenn die Vertreter von Welthandel und Weltfinanzen sich treffen. Ruth Jung hat die Organisation analysiert und unter den Titel gestellt Attac - Sand im Getriebe.

Kathleen Becker |
    Wer den Namen Attac hört, denkt sicherlich zunächst einmal an Attacke, an Angriff. Bei ihrer Gründung 1998 in Frankreich stand Attac allerdings zunächst einmal für ‚Associacion pour la taxation de transactions financières à l’aide des citoyennes et citoyens’, ein Zusammenschluss also für die Besteuerung von Finanzspekulationen zur Hilfe der Bürger. Eines der wichtigsten Ziele von Attac - diesem von Bauern, Arbeitslosen und Intellektuellen gegründeten Netzwerk der Globalisierungskritiker - war die Einführung einer solchen Steuer. Mittlerweile ist die sogenannte Turbin-Tax aus Gewinnen aus Finanzspekulationen tatsächlich im Prinzip vom französischen Parlament verabschiedet worden. Allerdings warten die Franzosen noch darauf, dass die anderen europäischen Länder mitziehen.

    In ihrer pragmatischen Konkretheit und tatsächlich politischen Durchsetzbarkeit ist die Turbin-Tax eine typische Forderung von Attac. Dieser Bewegung geht es um eine Globa- lisierung von unten, gegen neoliberale Ideologie und darum, zu zeigen, dass eine andere Welt, eine andere Politik möglich ist.

    Dabei ist die Vorstellung der Staatsbürgerlichkeit (...) sehr wichtig schreibt Ruth Jung in Attac - Sand im Getriebe. Für die Historikerin und Romanistin ist die Tatsache, dass die Attac-Bewegung von Frankreich ausging, kein Zufall. Mit stark verwurzelten republikanischen Idealen einer aktiven ‚Citoyenté’ und einem traditionellen Anti-Amerikanismus ist Frankreich auch die Heimat Jose Bouvets. Der streitbare Bauer brachte mit der Demontage eines McDonalds-Rohbaus und seiner Bauerngewerkschaft ‚Confèdration Peysanne’ den Stein ins Rollen. Den zentralen emanzipatorischen und partizipatorischen Anspruch von Attac beschreibt Ruth Jung so:

    Education Populaire: Volksbildung, Volkserziehung - Begriffe, die im Deutschen ziemlich angestaubt wirken, den Geruch von gebohnerten Fluren und langweiligen Lehr- stunden in öden Sälen in Erinnerung rufen. Mit diesen Begriffen verbindet Attac Frank- reich einen äußerst lebendigen politischen Lernprozess. Der Begriff ‚Mouvement d’Education Populaire (...) l’Action’, dessen angemessene Übersetzung einige Schwierigkeiten bereitet, verweist auch auf den unlösbaren Zusammenhang von Theorie und Praxis, von Denken und Tun, von Wissen und dem Wissen entsprechenden Handeln. Eine Bewegung vom Begreifen zum Eingreifen. Die Bedeutung dieses Spannungsverhältnisses zwischen Wissen und Tun kommt im ersten und wichtigsten Artikel der 17 Artikel umfassenden Attac-Statuten zum Ausdruck. Es ist die immer wieder zitierte Formel, die das Hauptziel von Attac benennt: Informationen erarbeiten (...) und weiter- verbreiten, ebenso wie Aktionen jeder Art voranbringen, die dazu geeignet sind, dass die Citoyen die Macht wieder zurückerobern können, die die Finanzwelt in allen Bereichen des politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Lebens in der gesamten Welt ausübt.

    Ruth Jung stellt Attac in den historischen Zusammenhang und liest die Statuten der Bewegung als eine Art Aktualisierung des kommunistischen Manifests, der - Zitat - frühen Globalisierungskritiker Marx und Engels. An Jungs geistesgeschichtlicher Einordnung von Attac schließen sich drei Reden an, die im letzten Jahr in der berühmten Pariser Veranstaltung (...) gehalten wurden. Der portugiesische Literaturnobelpreisträger Jose Saramago hält ein eindringliches poetisches Plädoyer für die Glocken der Gerechtigkeit im Globalisierungsprozess. Ignacio Ramone, Herausgeber der angesehenen Monatszeitung ‚Le monde diplomatique’ und Vordenker der Bewegung, untermauert ihre Forderungen nach einer Zähmung dieser - Zitat - zweiten kapitalistischen Revolution mit Zahlen und Fakten zur ungerechten Verteilung von Ressourcen und Chancen. Und Attac-Präsident Bernard Cassen beschwört eine Bildungsoffensive der - Zitat - ökonomischen Alphabetisierung:

    Der Aufbau eines Netzwerkes von Attac-Strukturen auf internationaler Ebene ist der Kern unserer Strategie. Viele dieser Attac-Bündnisse spielen dieselbe Rolle wie Attac Frankreich. Sie sind Anziehungspunkte für kämpferische pluralistische Energien, und sie lassen sich von niemandem einseitig vereinnahmen. Bei all diesen Bündnissen lassen sich zwei übereinstimmende wesentliche Merkmale ausmachen: das spontan an- genommene Profil einer Bewegung für Volksbildung, die auf das Handeln zielt, und die Fähigkeit, Frauen und Männer anzusprechen, die sich nicht unbedingt in einer Partei und auch nicht in einer Gewerkschaft wiederfinden könnten. Im Kampf gegen die neo- liberale Mobilmachung und in der Ausarbeitung alternativer Entwürfe dagegen bezieht Attac auf diese Weise Kräfte ein, die bislang keinen für ihr Denken und Handeln geeigneten Rahmen gefunden hatten.

    Ein gesellschaftliches Gegenmodell entwirft Attac ganz bewusst nicht, um die Breite ihrer Unterstützerbasis zu gewährleisten. Auch ein Personenkult wird vermieden. Nach eigenen Angaben hat Attac mittlerweile 90.000 Mitglieder in 50 Ländern. Aktuelle Themen sind Proteste gegen einen Krieg mit Irak und gegen eine Privatisierung von Bildung und Kultur. An Ruth Jungs Band kann man kritisieren, dass sich aus der Aneinanderreihung der Texte störende Wiederholungen ergeben, wenn es um den Weltsozialgipfel im bra- silianischen Porto Alegre geht zum Beispiel oder um ein zentrales Zitat aus einem Sonett von Baudelaire. Davon abgesehen ist Attac - Sand im Getriebe ein wichtiger Text zu einer wichtigen Bewegung und eine empfehlenswerte Einführung für Leser, die sich schnell über sie informieren wollen.