Wirtschaft
Sachverständigenrat fordert Bundesregierung zu Kurswechsel auf

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - auch "Wirtschaftsweise" genannt - hat die Bundesregierung in seinem aktuellen Jahresgutachten zu einem Kurswechsel aufgefordert. Die Konjunktur komme auch im kommenden Jahr nicht richtig in Schwung. Deshalb brauche es gezielte und verbindliche Investitionen.

    Prof. Dr. Monika Schnitzer, Friedrich Merz und Mitglieder des Sachverständigenrates stehen dicht nebeneinander bei der Übergabe des Jahresgutachtens 2025/2026.
    Übergabe des Jahresgutachtens 2025/2026 des Sachverständigenrates an Bundeskanzler Merz im Bundeskanzleramt (picture alliance/PIC ONE/Ben Kriemann)
    Bestehende Chancen dürften nicht verspielt werden, mahnten der Sachverständigenrat. Zukunftsorientierte Ausgaben würden von der Politik zu wenig priorisiert und fielen in Deutschland seit Jahren gering aus, heißt es im Gutachten, das in Berlin vorgestellt wurde. Diese Versäumnisse zeigten sich insbesondere bei den Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und Schulbildung.

    Kritik an Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität

    Die Vorsitzende des Sachverständigenrates, Schnitzer, sagte im Deutschlandfunk, man sei erstaunt, dass für manche Dinge Geld in die Hand genommen würde, die nicht das Wachstum förderten. Als Beispiele nannte sie Änderungen bei der Pendlerpauschale oder der Mütterrente. Der Sachverständigenrat geht davon aus, dass die derzeit geplanten Ausgaben des schuldenfinanzierten Sondervermögens für Infrastruktur und Klimaneutralität nur eine geringe positive Wirkung auf das Bruttoinlandsprodukt haben. Ein großer Teil werde für Umschichtungen im Haushalt und zur Finanzierung konsumtiver Ausgaben genutzt. Nach Angaben der Wirtschaftsweisen Grimm brauche es deshalb ein zweites Reformpaket, in dem diese "Wahlgeschenke" zurückgenommen würden.

    Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer

    Die Wirtschaftsweisen sprechen sich - mit Ausnahme von Grimm - für eine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer aus, mit dem Ziel einer gleichmäßigeren Besteuerung aller Vermögensarten. Aktuell werden bei Erbschaft und Schenkung vor allem Betriebsvermögen steuerlich stark begünstigt. Damit will der Staat vermeiden, dass Betriebe aufgegeben werden müssen, weil die neuen Besitzer die Erbschaftssteuer aus dem Privatvermögen nicht zahlen können. Nach Angaben des Wirtschaftsweisen Truger würden so aber ausgerechnet sehr hohe Erbschaften und Schenkungen häufig vergleichsweise gering besteuert. 
    Ähnliche Vorschläge zur Reform der Erbschaftsteuer haben SPD, Grüne und Linke bereits vorgelegt - die Union ist dagegen der Meinung, dass ein solches Verfahren Unternehmen nicht ausreichend schützt.

    Aufschwung im kommenden Jahr gering

    Die Wirtschaftsweisen erwarten auch im kommenden Jahr keinen spürbaren Aufschwung in Deutschland. Der Sachverständigenrat korrigierte seine Erwartungen für 2026 leicht nach unten und rechnet nun mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,9 Prozent. Im Frühjahr hatten die Ökonomen für 2026 ein Plus von 1,0 Prozent erwartet. Die Bundesregierung rechnet mit einem Wachstum von 1,3 Prozent. 
    Bundeskanzler Merz sagte bei der Vorstellung des Jahresberichts, dass er mit vielen Aussagen des Gutachtens übereinstimme. Deutschland müsse preislich wieder wettbewerbsfähiger werden, weshalb man möglichst noch in diesem Jahr eine Einigung mit der EU über die Senkung der Stromkosten für Unternehmen erreichen wolle.
    Das Jahresgutachten entfachte erneute Kritik am Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität. Die Grünen-Abgeordnete Piechotta sagte, die Zweckentfremdung der Gelder müsse gestoppt werden. Sie forderte die Parlamentarier von SPD und Union auf, ein Machtwort zu sprechen. Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Wissler, bezeichnete das Gutachten als "Klatsche" für die Bundesregierung. Die AfD-Vorsitzende Weidel sprach von einer "schallenden Ohrfeige". Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Zorn, erklärte hingegen, viele vergäßen, dass das Geld aus dem Sondervermögen noch nicht geflossen sei. Erst dann werde es den Aufschwung weiter stärken.
    Diese Nachricht wurde am 12.11.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.