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Saddams Tode im Bild

Soldaten foltern Gefangene in Abu Ghraib, dem Reporter Daniel Pearl wird die Kehle durchgeschnitten - wir haben uns schon ein bisschen dran gewöhnt, dass Grausamkeiten gefilmt und übers Internet rasend schnell verbreitet werden. Die Hoheit über die Bilder gibt es nicht mehr. Jüngstes Beispiel: Von Saddam Husseins Exekution gibt es einen offiziellen Mitschnitt, der aber Details ausspart. Diesem Film folgte fast auf dem Fuße eine Handy- oder Digitalkamera-Aufnahme der gesamten Hinrichtung.

Von Arno Orzessek |
    Wenn es eine Bildsprache der Vernichtung gibt, zeichnet den Tod Saddams eine verblüffende, sogar unheimliche Konsequenz aus. Und das hat mit der Vorstellung von den "zwei Körpern des Königs" - wir können auch sagen des Herrschers - zu tun, wie sie der Historiker Ernst Kantorowicz beschrieben hat.

    Kantorowicz unterschied mit Blick auf das Mittelalter den sterblichen Leib-und-Blut-Körper des Königs von der mythischen, überzeitlichen Natur des Königtums.

    Saddam hat sich wie beinahe alle neuzeitlichen Diktatoren auf beiden Ebenen inszeniert und er ist - vor laufenden Kameras, vor einem Weltpublikum - auch auf beiden Ebenen vernichtet worden.

    Seine mythische Herrschaft erledigte sich, als die riesige Statue im Zentrum Bagdads gestürzt wurde - wozu im April 2003 die Mithilfe eines amerikanischen Panzers und größerer Volksmassen nötig war.

    Nach der Gefangennahme des zottelig gewordenen Ausreißers leuchteten US-Militärs in einem genialen PR-Stück seine unappetitliche Mundhöhle aus, angeblich im Rahmen einer zahnmedizinischen Untersuchung.

    Es wurde buchstäblich Licht in den Körper des finsteren Schurken eingeführt. Saddam war durchsichtig geworden, wehrlos, eine moribunde Hülle - erniedrigt und reif für das Gericht.

    Die irakischen Gesetze sehen im gegebenen Fall die Todesstrafe vor, aber durchaus keine Hinrichtung live, die dann zeitversetzt in alle Welt übertragen wird.

    Und doch ist es so gekommen. Mit dem Handy-Film, der den zweiten und letzten Tod Saddams für immer in die digitalen Archive einschleust, ist die visuelle Argumentation vollständig geworden.

    Saddam, dann doch mit endzeitlichem Blick, am roten Geländer zur Hinrichtung aufsteigend.

    Saddam mit dem Strick um den Hals.

    Saddam verspottet, Saddam schimpfend. Saddam - exitus.

    Es ist nicht nötig, die Handy-Geschichte in ein mysteriöses Licht zu rücken. Im Krieg der Bilder finden die Bilder oft - man möchte sagen: fast immer - ihren Weg.

    "Das Fernsehen ist Bestandteil des Attentats", bemerkte Paul Virilio nach den Attentaten vom 11. September. Und diese Attentate waren es bekanntlich, die die US-Regierung dazu trieben, den Kampf gegen den Terror im Kampf gegen die Achse des Bösen zu konkretisieren und den Irak anzugreifen.

    Es wird nie zu klären sein, ob ohne die Evidenz des live übertragenen Grauens größere Besonnenheit an den verschiedenen Fronten möglich gewesen wäre.

    Dass die Internet-Bilder von Saddams legaler Hinrichtung so scharf verurteilt werden, wirft indessen Fragen auf, die sich an die Moral der Zuschauer wenden.

    Ist es denn frevelhafter, den Mörder Saddam im Moment seiner Hinrichtung zu beobachten, als jene Bedauerlichen, die am 11. September von den Twin Towers sprangen und noch in jedem Feuilleton ein Foto über die ganze Seite erhielten? - davon abgesehen, dass das Fernsehen tagelang kaum etwas anderes gezeigt hat als das grauenhafte Sterben Unschuldiger?

    Gibt es moralischen und unmoralischen Voyeurismus? Gibt es irgendein Tabu, dass erst mit den Bildern von Saddams Hinrichtung gebrochen wäre?

    Eine große deutsche Tageszeitung veröffentlichte heute die Meinung, dass der Hinrichtungsfilm aus Bagdad wie auch Berichte über die misslungene Hinrichtung in Florida stichhaltige Argumente gegen die Todesstrafe lieferten. Und damit sich jeder ein Bild machen kann, wird sogleich die volle Internet-Adresse von YouTube angegeben, wo der Film gratis vorrätig ist.

    Der eigentliche Gewinner im Krieg der Bilder scheint immer der Voyeurismus zu sein.