"Ich, Joseph Robinette Biden, Jr. schwöre feierlich", so klang es 2009, als Joe Biden Vizepräsident wurde. Und so ähnlich wird es auch heute wieder klingen, wenn der zweite Katholik in der Geschichte der USA – nach John F. Kennedy – als Präsident vereidigt wird.
"So wahr mir Gott helfe", diese Worte hat seit mehr als 200 Jahren fast jeder Präsident gesprochen, auch wenn sie nicht Teil des offiziellen Textes sind. Joe Biden will seinen Eid auf eine Familien-Bibel von 1893 leisten. Die Verfassung verlangt kein spezielles Buch für den Schwur, aber fast alle Präsidenten haben sich für eine Bibel entschieden. Casey Brinck ist politischer Direktor der Secular Coalition for America – einer Lobbygruppe, die sich für die Trennung von Religionsgemeinschaften und Staat einsetzt.
Casey Brinck: "Wir würden uns freuen, wenn unsere gewählten Volksvertreter auf die Verfassung schwören würden und nicht auf die Bibel. Natürlich ist es ihre freie Wahl. Aber wir sagen: Die Regierungsarbeit sollte frei sein von religiösen Ritualen. Eigentlich sollte jederzeit eine klare Trennung von Politik und Religion aufrechterhalten werden."
"Seinen persönlichen Glauben ausdrücken"
Doch bei der Amtseinführung haben Geistliche von jeher eine besondere Rolle gespielt. Die sogenannte "Invocation" wird heute der Jesuiten-Priester Leo O'Donovan übernehmen: Er betet während der Zeremonie auf den Stufen des Kapitols für Joe Biden. Der emeritierte Präsident der Georgetown University ist ein enger Freund der Familie und hatte schon die Beerdigung von Bidens Sohn Beau im Jahr 2015 geleitet. Außerdem wird der schwarze Pastor Silvester Beaman von der Bethel African Methodist Episcopal Church aus Bidens Heimatstaat Delaware einen Segen für den neuen Präsidenten sprechen.
Diese religiösen Elemente findet Sarah Levin nicht per se falsch. Sie ist Projektleiterin bei den Secular Democrats of America, einer weiteren Gruppe, die für mehr säkulare Stimmen in der amerikanischen Politik wirbt. Sie gehört also derselben Partei an wie Joe Biden.
Sarah Levin: "Wenn die Worte ‚so wahr mir Gott helfe‘ einem Präsidenten helfen, sich seinem Eid stärker verpflichtet zu fühlen, soll er die - von mir aus - sagen. Ich verstehe ja, dass viele der Kirchenvertreter, die zur Amtseinführung kommen, langjährige Verbündete und Freunde der Biden-Familie sind. Ich finde es auch gut, wenn der neue Präsident Raum bekommt, seinen persönlichen Glauben auszudrücken. Ich würde mir nur wünschen, dass nicht-religiöse Menschen auch anerkannt werden. Präsident Obama hat hier Geschichte geschrieben, als er in seiner Ansprache bei der Amtseinführung explizit Nicht-Gläubige erwähnt hat."
"Für christliche Nationalisten ist Religion der Freifahrtschein"
Auch wenn es die US-Verfassung der Regierung im ersten Zusatzartikel verbietet, eine Staatsreligion zu errichten oder eine bestimmte Religion zu begünstigen, sichert sie dennoch Religionsfreiheit zu. Keine Religion darf behindert werden. Und so sind die USA traditionell ein sehr religiöses Land und der Glaube hat immer auch im politischen Raum eine wichtige Rolle gespielt. Atheistische und humanistische Organisationen beklagen das schon lange.
Casey Brinck: "Religion hat einen starken Einfluss in den kleinen Gemeinden überall im Land, und deswegen kommen Politiker mit diesen religiösen Ansichten nach Washington und die beeinflussen dann die Gesetze, die sie machen. Vor allem in den letzten vier Jahren hat es so viele politische Entscheidungen gegeben, deren Grundlage nicht nur Religion, sondern speziell weißer christlicher Nationalismus waren. Und die müssen wir wieder rückgängig machen."
Inhaltlich geht es dabei um Fragen wie ganz allgemein das Verbot von Diskriminierung aus religiösen Gründen, aber auch konkret um die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren, die Kinder adoptieren wollen, oder die Rechte von Arbeitnehmern.
"Konfessionslose extrem unterrepräsentiert"
Sarah Levin: "Für christliche Nationalisten ist Religion der Freifahrtschein, um sich nicht an Anti-Diskriminierungs-Gesetze halten zu müssen. Wenn ich zum Beispiel nicht möchte, dass die Krankenversicherung meiner Angestellten Verhütungsmittel oder Abtreibung bezahlt, dann kann ich einfach sagen, dass ich das aus religiösen Gründen nicht will. Oder ich kann Angestellte entlassen, weil sie etwa lesbisch oder schwul sind oder alleinerziehend."
Vor allem in den vergangenen vier Trump-Jahren habe diese Aushöhlung des Säkularismus massiv zugenommen, beklagen Levin und Brinck. Beide sind optimistisch, dass die neue Biden-Harris-Regierung die Interessen nicht-religiöser Amerikaner versteht, dass sie zumindest nicht aktiv die Trump-Politik fortführt. Und doch: Auch in der Post-Trump-Ära gilt: Konfessionslose seien in politischen Positionen wie etwa im Kongress – oder im Präsidentenamt – noch immer extrem unterrepräsentiert.
Casey Brinck: "Wir haben mittlerweile 26 % Konfessionslose in den USA und diese Gruppe wächst schneller als alle anderen religiösen Gruppen. Ich bin sicher: In den kommenden 50 Jahren werden wir einen nicht-gläubigen Präsidenten bekommen. Und das wird ein großartiger Tag."