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Salafisten und "Scharia-Polizei"
"Keine Paralleljustiz akzeptieren"

Für den Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, steht der Rechtsstaat in Teilen der muslimischen Bevölkerung vor "erheblichen Autoritätsproblemen". Angesichts des Auftretens einer "Scharia-Polizei" und sogenannter Ehrengerichte brauche es eine besser ausgestattete Justiz. "Die Haushaltspolitiker bestimmen unsere Sicherheitspolitik", sagte Wendt im DLF.

Rainer Wendt im Gespräch mit Friedbert Meurer | 09.09.2014
    Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft
    Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. (Picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Im Falle der in Wuppertal aufgetretenen "Scharia-Polizei" habe der nordrhein-westfälische Innenminister Jäger "schnell und konsequent gehandelt", sagte Wendt. Indes brauche es eine starke Justiz mit mehr Richtern und Staatsanwälten, um das Vertrauen der muslimischen Gemeinde in den Rechtsstaat zu stärken. Mit Blick auf die "Scharia-Polizei", aber auch auf das Phänomen muslimischer Friedensrichter, warnte Wendt vor der Gefahr einer "Paralleljustiz".
    Ausdrücklich begrüßte der Gewerkschaftschef die Aufnahme von mehr Muslimen in den Polizeidienst. "Da halte ich sehr viel von", sagte Wendt. Allerdings müssten die Zugangsvoraussetzungen hoch bleiben. "Da reicht es nicht, ein guter Sportler zu sein", so Wendt. Hierbei gehe etwa Rheinland-Pfalz mit gutem Beispiel voran. Dort könnten Polizeianwärter auf speziellen Fachoberschulen parallel zu ihrer Ausbildung die Hochschulreife erwerben. Zudem bekräftigte Wendt seine Forderung, bereits die Teilnahme an Terrorcamps müsse strafbar sein. Dabei gelte es indes, die Grenzen der Verfassung zu achten.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Die Aktion in Wuppertal mit den Scharia-Polizei-Westen war ein medialer Knalleffekt. Die Salafisten werden wohl zufrieden sein. Aber extreme Salafisten können auch anders als Polizei spielen. Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf müssen sich seit gestern vier mutmaßliche Terroristen aus der Salafisten-Szene verantworten. Sie sollen versucht haben, den Vorsitzenden der rechtsextremen Partei "Pro NRW" zu ermorden, und einer der vier Angeklagten soll auch am fehlgeschlagenen Kofferbomben-Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof beteiligt gewesen sein. Das war vor zwei Jahren.
    Rainer Wendt ist der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft. Guten Morgen, Herr Wendt.
    Rainer Wendt: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Diese Sache mit den Scharia-Polizei-Westen, was glauben Sie geht deutschen Polizisten durch den Kopf, wenn sie diese Bilder sehen?
    Wendt: Ja das ist schon ein einschneidendes Erlebnis, dass jetzt auf einmal hier selbsternannte Polizisten auftreten und sozusagen in einer Parallelwelt eigene Gesetze durchsetzen wollen. Ich finde, der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger hat nicht nur sehr schnell, sondern auch sehr konsequent reagiert. Das war genau richtig, sich auch hier eine eigene Position zu eigen zu machen und zu sagen, so etwas dulden wir nicht, da wird ganz frühzeitig eingeschritten und diese Westen auch sofort sichergestellt, damit dieses Unrecht nicht andauern kann.
    Meurer: Denken deutsche Polizisten bei diesen Bildern daran, dass sie in bestimmten Stadtteilen nicht mehr als Autorität wahrgenommen werden?
    Wendt: Es gibt keine No-Go-Areas in Deutschland, aber es gibt schon erhebliche Autoritätsprobleme gegenüber bestimmten Bevölkerungs- und Religionsgruppen, die die deutschen Gesetze nicht akzeptieren. Das erleben wir ja auch im Bereich der Justiz. Es gibt Friedensrichter, die – das ist legal – den einen oder anderen zwischenmenschlichen Konflikt regeln, aber die auch im Bereich der Strafverfolgung, der Strafbarkeit eigene Normen setzen wollen. Auch da muss die Politik reagieren mit einem starken Rechtsstaat, mit einer gut ausgestatteten Justiz, aber dann auch entsprechendes dagegensetzen.
    Meurer: Die Scharia-Justiz, liest man ja, dass da sich Familienrichter häufig um Erbschaftssachen, Familienrechtsangelegenheiten, Scheidungen kümmern. Welche Hinweise haben Sie, dass es um Straftaten geht?
    Wendt: Da gibt es viele Hinweise drauf. Ich erinnere an das eine oder andere Tötungsdelikt, wo es tatsächlich darum ging, strafbare Handlungen zu begehen als Folge von "richterlichen Entscheidungen". Alles das, ob es um Ehescheidungen geht, ob es um Wiedergutmachung nach Straftaten geht, das darf vor diesen sogenannten Ehrengerichten überhaupt gar nicht geregelt werden. Das gehört vor die deutsche Gerichtsbarkeit. Aber auch das muss man ganz deutlich sagen: Wir müssen natürlich gegenüber diesem Teil der muslimischen Gemeinde auch ein Angebot machen, dass dieser Rechtsstaat in der Lage ist, ihre Konflikte zu regeln, und dieses Angebot scheint mir doch, angesichts von mehr als 2000 fehlenden Staatsanwälten und Richtern, einigermaßen eingeschränkt. Um dieses Vertrauen muss man werben, aber man kann eben nur werben, wenn man sagt, wir haben hier einen gut funktionierenden Rechtsstaat mit einer gut ausgestatteten Justiz. Leider ist das nicht der Fall.
    Ein Mann blickt auf einen Computer-Bildschirm, auf dem selbsternannte "Scharia-Polizisten" zu sehen sind.
    Die selbsternannte "Scharia-Polizei" in Wuppertal sorgt für Aufregung. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Scharia-Justiz: "viele frauenverachtende Vorschriften"
    Meurer: Es gab ja mal den Vorschlag des rheinland-pfälzischen Justizministers Hartloff, der gesagt hat, die Scharia-Justiz kann durchaus eine Hilfe sein, wenn man das beschränken würde auf Familienrechtssachen. Was wäre daran so schlimm?
    Wendt: Das ist genauso schlimm. Wir haben einen deutschen Rechtsstaat und auch Familienrechtssachen funktionieren nach den Spielregeln unseres Rechtsstaates und nicht nach irgendwelchen archaischen religiösen Vorschriften. Da sind im Übrigen viele frauenverachtende Vorschriften dabei. Frauen spielen gerade bei dieser Gerichtsbarkeit eine ganz besondere Rolle. Frauen werden nämlich überhaupt nicht als gleichberechtigt dort wahrgenommen und sind in der Regel die Verlierer. Eine solche Form von Gerichtsbarkeit kann man auf gar keinen Fall akzeptieren. Man darf eigentlich überhaupt keine Paralleljustiz in Deutschland akzeptieren. Was man akzeptieren kann ist das Bemühen, zwischenmenschliche Konflikte untereinander zu regeln, dort wo sie eben nicht die Grenzen der deutschen Gerichtsbarkeit erreichen.
    Meurer: Was halten Sie, Herr Wendt, von einem anderen Vorschlag, nämlich dass mehr Muslime in die deutsche Polizei gehen und da aufgenommen werden?
    Wendt: Da halte ich sehr viel von. Wir werben ja nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in allen anderen Ländern, auch bei der Bundespolizei sehr gezielt um Personen mit Zuwanderungsgeschichte – übrigens nicht nur um Muslime, sondern auch mit anderer Zuwanderungsgeschichte. Allerdings müssen wir natürlich darauf bestehen, dass die Voraussetzungen, die Zugangsvoraussetzungen für die Polizei hoch bleiben, denn wir wollen ja gute Polizistinnen und Polizisten haben. Das heißt, auch wer eine Zuwanderungsgeschichte hat, ist natürlich hoch willkommen in der Polizei. Er muss aber die Voraussetzungen erfüllen, um Polizist zu werden, und die sind vielfältig. Da reicht es nicht, ein guter Sportler zu sein.
    "Mehr Anstrengungen um sich um sich diesem Teil zu öffnen"
    Meurer: Fünf Prozent aller Deutschen sind Muslime. Haben Sie eine Zahl, wie viele Prozent der Polizisten Muslime sind?
    Wendt: Die sind leider geringer, weil es häufig so ist, dass Personen mit Zuwanderungsgeschichte die Bildungsvoraussetzungen nicht erfüllen, um in die Polizei einzutreten. In vier Bundesländern in Deutschland braucht man zum Beispiel Fachhochschulreife oder Abitur, und da sind Menschen mit Zuwanderungsgeschichte häufig unterrepräsentiert, und das macht es so schwierig. Deshalb hat zum Beispiel Rheinland-Pfalz mit einer besonderen Einrichtung der Fachoberschule dafür gesorgt, dass man schon frühzeitiger in die Polizei eintreten kann und dann erst die Fachhochschulreife erwirbt. Das ist ein guter Ansatz, auch um sich diesem Teil der deutschen Gesellschaft zu öffnen.
    Meurer: 0,1 Prozent aller Muslime in Deutschland sind Salafisten. Die haben da jetzt ordentlich auf den Putz gehauen in Wuppertal. Übertreiben wir die Gefahr, oder, wenn wir den Prozess in Düsseldorf nehmen, müssen wir feststellen, Salafisten sind brand gefährlich?
    Wendt: Es gibt brandgefährliche Salafisten. Zu sagen, alle Salafisten seien brand gefährlich, ist sicherlich falsch. Man spricht von etwa fünf bis 6000 Salafisten. Das sind ja Muslime in einer besonders konservativen Ausrichtung. Etwa zehn Prozent davon sind gewaltbereit. Das haben wir auch schon erlebt, nicht nur das, was jetzt in Düsseldorf verhandelt wird, sondern auch bei gewalttätigen Auseinandersetzungen in Solingen, in Bonn. Polizisten sind dabei schwer verletzt worden. Der Anschlag in Frankfurt auf dem Flughafen 2011 geht auf das Konto eines Salafisten. Das ist eine sehr große Gefahr, dass diese radikalen Täter sich im Internet und anderswo radikalisieren und dann Anschläge verüben. Deshalb muss man das genau im Blick haben.
    Leider ist es so – auch das muss man sagen -, was jetzt Politiker sagen, die nach schärferen Gesetzen rufen, das muss man auch mit der gebotenen Vorsicht zur Kenntnis nehmen, denn es sind ja nicht die Innen- und Rechtspolitiker in Deutschland, die die innere Sicherheit gewährleisten oder die die innere Sicherheit gestalten, sondern es sind die Haushaltspolitiker. Wir haben gute Gesetze, wir haben clevere Kriminalisten und gute Polizistinnen und Polizisten, aber die Haushaltspolitiker bestimmen, wie gut die Polizei und die Justiz arbeiten
    können.
    "Justiz ist hoffnungslos überlastet"
    Meurer: Die Frage ist nur, ob die Justiz bei allem Respekt wirklich so clever ist. Warum fällt das so schwer, Salafisten-Hassprediger wie Pierre Vogel oder Sven Lau dranzukriegen?
    Wendt: Wir sind ein offenes Land, ein weltoffenes Land, und man muss ihnen schon konkret Straftaten nachweisen. Aber selbst wenn man ihnen die Straftaten nachweisen kann – unsere Staatsanwälte sind hoffnungslos überlastet. Bis es dann zu einem Strafverfahren kommt und zu Beweiserhebungen kommen kann, vergehen oft Monate und Jahre. In dieser Zeit können diese Leute ihr Unwesen treiben. Jetzt wieder sind mehrere Personen festgenommen worden auf einem Flughafen, drei Personen, denen die Vorbereitung einer Straftat vorgeworfen wird. Wir brauchen gute und ausreichende Zahl von Staatsanwälten, einen starken Rechtsstaat, und wenn dann die Straftaten nachgewiesen werden, dann muss die Justiz natürlich auch mit harten Strafen und mit allen Möglichkeiten des Ausländerrechts dafür sorgen, dass das hier auf deutschem Boden nicht stattfindet.
    "Ausbildung in einem Terror-Camp muss an sich schon strafbar sein"
    Meurer: Das ist ja der Punkt. Entschuldigung, wenn ich da ganz kurz noch mal einhake. Man muss nachweisen, dass die Betreffenden einen Anschlag planen. Da können die noch so lange in Terror-Camps gewesen sein, das reicht nicht für eine Verurteilung.
    Wendt: Das haben wir als Polizeigewerkschaft schon immer für falsch gehalten. Die erste Große Koalition hatte ja in der ursprünglichen Planung vorgesehen, dass allein schon die Teilnahme an einer Terror-Ausbildung in einem solchen Camp unter Strafe gestellt wird. Leider ist dann die SPD davon abgegangen und hat gesagt, nein, man muss ins Gesetz reinschreiben, dass auch die Vorbereitung eines Anschlages sehr konkret sein muss. Das ist natürlich ausgesprochen schwierig nachzuweisen und vor allen Dingen dann auch schon sehr weit, denn wenn man einen Terroranschlag vorbereitet, ist man längst auch schon im Versuchsstadium. Das heißt, die Ausbildung in einem Terror-Camp muss an sich schon strafbar sein. Das wäre eine vernünftige gesetzliche Regelung. Dabei muss man die Grenzen der Verfassung beachten.
    Das Verfassungsgericht hat hier enge Grenzen gesetzt. Aber das ist möglich und deshalb sollte die Politik hier noch mal einen neuen Anlauf machen. Wolfgang Bosbach und andere Sicherheitspolitiker liegen da genau richtig. Da sollte man noch mal rangehen, um das zu konkretisieren, denn wer sich in einem Terror-Camp zum Terroristen ausbilden lässt, genau das muss schon unter Strafe gestellt werden, auch ohne dass man diesen schwierigen Nachweis führt.
    Meurer: Was tun gegen die Gefahr durch extreme Salafisten und gewaltbereite Salafisten? Darüber habe ich gesprochen mit Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft. Herr Wendt, danke! Auf Wiederhören.
    Wendt: Gerne. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.