Schaufeln vom Morgen bis zum Abend: Bis zur Erschöpfung haben sie an den Ufern der Elbe Sandsäcke zur Verteidigung der Deiche befüllt: Feuerwehrleute, Bundeswehrsoldaten und freiwillige Helfer zu Tausenden.
"Wir sind alle hier – und helfen. Wir machen alle nur Sandsäcke."
"Sandsäcke zumachen, Sandsäcke schaufeln, Sandsäcke aufhalten."
Stefan Seidel, Geschäftsführer der Seidel GmbH, sitzt an diesem Sommermorgen Ende Juni am Schreibtisch. Der Unternehmer aus Braunschweig, Jahrgang 1952, ist kräftig gebaut. Ein rundes Gesicht mit Stoppelbart. Schwarze Designerbrille. Er wirft einen müden Blick auf die stillschweigenden Telefone.
"Die letzten Tage habe ich keine Nachrichten mehr sehen können. Es war ein Begriff, der immer wieder von morgens bis abends erwähnt wurde: "Sandsäcke, Sandsäcke, Sandsäcke!" Mir kam es selbst aus den Ohren raus, weil ich hörte es ja tagsüber, nachts, von vielen Anrufern: "Wir brauchen Sandsäcke!" Irgendwann war es dann mal gut - und ich habe mich eigentlich schon abgeschottet gegen diese Sandsäcke."
Wie ein General hat Seidel über viele Wochen seine Truppen bewegt.
Er handelt mit einem in Krisenzeiten knappen Gut: 30 mal 60 Zentimeter misst der Verkaufs-Klassiker, ein weiß gefärbter Sandsack aus Polypropylen-Bändchengewebe. Es gibt auch eine Version in Schwarz, sagt Seidel. Die sei noch stärker, noch länger haltbar, lasse sich auch befüllt einlagern. Nach eigenen Angaben war der Marktführer aus Norddeutschland das weltweit erste Unternehmen, das seinen Kunden bereits fertig abgefüllte Sandsäcke für den Hochwasserschutz anbot. Bis zu 1.000 Liter und mehr fassende Bigbags gehören ebenfalls zum Sortiment. Und weil viele Abnehmer im Deichbau darauf schwören, werden auch die guten alten Jutesäcke vorgehalten. Sie gelten ihren Liebhabern als rutschfest, man kann sie gut verbauen, sie verrotten von selbst. Doch Stefan Seidel warnt vor den Belastungen durch die im Produkt gebundenen Pestizide und auch vor dem Mäusefraß. Er ist kein Freund des vermeintlichen Naturprodukts.
"Ich habe in einer Jute-Spinnerei gelernt. Ich weiß, wovon ich rede. Es ist ein fruchtbares Zeug, diese Jute! Wenn man die angefasst hat: Die Hände stinken stundenlang. Die kann man sich waschen, wie man will. Ich bin in dem Fall für Plastik statt Jute!"
In Deutschland werden seit vielen Jahren schon aus Kostengründen keine Sandsäcke mehr gefertigt, bemerkt Seidel wie beiläufig. Er bezieht die Handelsware stattdessen aus Italien, aus der Türkei und vor allem aus Fernost. In der so genannten "Friedenszeit" hält der Familienbetrieb in seinen Lagerhallen eine strategische Reserve von zwei bis drei Millionen Sandsäcken bereit. Diese war jedoch schnell aufgebraucht, als Anfang Juni aus Süddeutschland die ersten Notrufe eingingen. Seidel musste selbst von Kollegen aus dem europäischen Ausland zukaufen. Einen Lastwagen nach dem anderen haben die Braunschweiger zuerst in die bayerischen Hochwassergebiete und dann – der Flutwelle folgend – nach Thüringen, Sachsen-Anhalt und weiter die Elbe hinauf bis Schleswig-Holstein gesandt. 10 bis 15 Cent kostet bei ihnen gewöhnlich ein Kunstoffsack. Nicht eingerechnet sind Steuer und Versandkosten. Drei bis vier Millionen Säcke dürften am Ende geliefert worden sein, schätzt Seidel in einer vorläufigen Bilanz. Über Umsatz und Gewinn spricht der Geschäftsführer nicht so gern.
"Der Preis ist sicherlich hochgegangen. Bei uns sehr moderat. Weil wir keinen Wucher betreiben. Wir haben lediglich Sondertransportkosten, Sonderbeschaffungsmehrkosten, die wir durch nachgekaufte Säcke auffangen mussten, natürlich weiter gegeben. Das hat sich aber im Rahmen gehalten. Es ist nicht so wie bei Wettbewerbern, die dann statt - sage ich mal - 30 Cent für den Sack einen Euro oder 1 Euro 20 verlangt haben."
Die Sandsäcke verkauft Seidel das ganze Jahr über. Zur Kundschaft zählen Feuerwehren, Landkreise. Aber auch Firmen im Baubereich und im Baugewerbe haben steten Bedarf an befüllten und unbefüllten Sandsäcken.
"Zur Absicherung, dass eben die Baugruben nicht vollaufen mit Wasser. Auch im Rohrleitungsbau werden die eingesetzt. Im Deponiebau, zum Fixieren von Folien."
Wie schon in den Gründerjahren liefert das Familienunternehmen Sacknähzwirne und Sacknähmaschinen. Die Sandsäcke waren ursprünglich nur ein willkommenes Zusatzgeschäft. Auch größere und kleinere Füllanlagen gehören heute zum Sortiment. Und Teebeutelfäden auf Rollen, die von spezialisierten Abpackfirmen geordert werden.
"Mein Vater und Großvater haben direkt bei Kriegsende die Firma hier in Braunschweig gegründet. Sind leider beide sehr früh verstorben. Sodass ich seit vielen Jahren jetzt schon selbständig bin. Und eben versucht habe, das vernünftig weiter zu entwickeln, was Vater und Großvater aufgebaut haben."
Stefan Seidel macht sich Gedanken, wie er seine gähnend leeren Lager mit Sandsäcken zu zumutbaren Preisen wieder aufstocken kann. Er liest die Meldungen des Deutschen Wetterdienstes, studiert Tabellen mit Pegelständen, interpretiert Satellitenbilder, deutet Wetterlagen. Der Unternehmer rechnet künftig mit häufigeren Hochwassern. Das Flussbett sei vielerorts durch massive Deichbauten nach dem Jahrhunderthochwasser von 2002 viel zu schmal geworden.
Wenn die Not am Mann ist, packt Seidel selbst mit an. Er erinnert sich an einen Einsatz in Magdeburg. Die tatkräftige Unterstützung, die bedrängte Flutopfer von ihren Nachbarn und namenlosen Helfern erfuhren, hat den dreifachen Familienvater schwer beeindruckt.
"Wir sind da mit LKW angekommen. Die haben gesehen, da sind Sandsäcke darauf. Da kamen wildfremde Leute angerannt. Wir haben in unsrem Leben noch nie so schell LKW entladen können, durch die Hilfe dieser vielen ungefragten Freiwilligen."
"Wir sind alle hier – und helfen. Wir machen alle nur Sandsäcke."
"Sandsäcke zumachen, Sandsäcke schaufeln, Sandsäcke aufhalten."
Stefan Seidel, Geschäftsführer der Seidel GmbH, sitzt an diesem Sommermorgen Ende Juni am Schreibtisch. Der Unternehmer aus Braunschweig, Jahrgang 1952, ist kräftig gebaut. Ein rundes Gesicht mit Stoppelbart. Schwarze Designerbrille. Er wirft einen müden Blick auf die stillschweigenden Telefone.
"Die letzten Tage habe ich keine Nachrichten mehr sehen können. Es war ein Begriff, der immer wieder von morgens bis abends erwähnt wurde: "Sandsäcke, Sandsäcke, Sandsäcke!" Mir kam es selbst aus den Ohren raus, weil ich hörte es ja tagsüber, nachts, von vielen Anrufern: "Wir brauchen Sandsäcke!" Irgendwann war es dann mal gut - und ich habe mich eigentlich schon abgeschottet gegen diese Sandsäcke."
Wie ein General hat Seidel über viele Wochen seine Truppen bewegt.
Er handelt mit einem in Krisenzeiten knappen Gut: 30 mal 60 Zentimeter misst der Verkaufs-Klassiker, ein weiß gefärbter Sandsack aus Polypropylen-Bändchengewebe. Es gibt auch eine Version in Schwarz, sagt Seidel. Die sei noch stärker, noch länger haltbar, lasse sich auch befüllt einlagern. Nach eigenen Angaben war der Marktführer aus Norddeutschland das weltweit erste Unternehmen, das seinen Kunden bereits fertig abgefüllte Sandsäcke für den Hochwasserschutz anbot. Bis zu 1.000 Liter und mehr fassende Bigbags gehören ebenfalls zum Sortiment. Und weil viele Abnehmer im Deichbau darauf schwören, werden auch die guten alten Jutesäcke vorgehalten. Sie gelten ihren Liebhabern als rutschfest, man kann sie gut verbauen, sie verrotten von selbst. Doch Stefan Seidel warnt vor den Belastungen durch die im Produkt gebundenen Pestizide und auch vor dem Mäusefraß. Er ist kein Freund des vermeintlichen Naturprodukts.
"Ich habe in einer Jute-Spinnerei gelernt. Ich weiß, wovon ich rede. Es ist ein fruchtbares Zeug, diese Jute! Wenn man die angefasst hat: Die Hände stinken stundenlang. Die kann man sich waschen, wie man will. Ich bin in dem Fall für Plastik statt Jute!"
In Deutschland werden seit vielen Jahren schon aus Kostengründen keine Sandsäcke mehr gefertigt, bemerkt Seidel wie beiläufig. Er bezieht die Handelsware stattdessen aus Italien, aus der Türkei und vor allem aus Fernost. In der so genannten "Friedenszeit" hält der Familienbetrieb in seinen Lagerhallen eine strategische Reserve von zwei bis drei Millionen Sandsäcken bereit. Diese war jedoch schnell aufgebraucht, als Anfang Juni aus Süddeutschland die ersten Notrufe eingingen. Seidel musste selbst von Kollegen aus dem europäischen Ausland zukaufen. Einen Lastwagen nach dem anderen haben die Braunschweiger zuerst in die bayerischen Hochwassergebiete und dann – der Flutwelle folgend – nach Thüringen, Sachsen-Anhalt und weiter die Elbe hinauf bis Schleswig-Holstein gesandt. 10 bis 15 Cent kostet bei ihnen gewöhnlich ein Kunstoffsack. Nicht eingerechnet sind Steuer und Versandkosten. Drei bis vier Millionen Säcke dürften am Ende geliefert worden sein, schätzt Seidel in einer vorläufigen Bilanz. Über Umsatz und Gewinn spricht der Geschäftsführer nicht so gern.
"Der Preis ist sicherlich hochgegangen. Bei uns sehr moderat. Weil wir keinen Wucher betreiben. Wir haben lediglich Sondertransportkosten, Sonderbeschaffungsmehrkosten, die wir durch nachgekaufte Säcke auffangen mussten, natürlich weiter gegeben. Das hat sich aber im Rahmen gehalten. Es ist nicht so wie bei Wettbewerbern, die dann statt - sage ich mal - 30 Cent für den Sack einen Euro oder 1 Euro 20 verlangt haben."
Die Sandsäcke verkauft Seidel das ganze Jahr über. Zur Kundschaft zählen Feuerwehren, Landkreise. Aber auch Firmen im Baubereich und im Baugewerbe haben steten Bedarf an befüllten und unbefüllten Sandsäcken.
"Zur Absicherung, dass eben die Baugruben nicht vollaufen mit Wasser. Auch im Rohrleitungsbau werden die eingesetzt. Im Deponiebau, zum Fixieren von Folien."
Wie schon in den Gründerjahren liefert das Familienunternehmen Sacknähzwirne und Sacknähmaschinen. Die Sandsäcke waren ursprünglich nur ein willkommenes Zusatzgeschäft. Auch größere und kleinere Füllanlagen gehören heute zum Sortiment. Und Teebeutelfäden auf Rollen, die von spezialisierten Abpackfirmen geordert werden.
"Mein Vater und Großvater haben direkt bei Kriegsende die Firma hier in Braunschweig gegründet. Sind leider beide sehr früh verstorben. Sodass ich seit vielen Jahren jetzt schon selbständig bin. Und eben versucht habe, das vernünftig weiter zu entwickeln, was Vater und Großvater aufgebaut haben."
Stefan Seidel macht sich Gedanken, wie er seine gähnend leeren Lager mit Sandsäcken zu zumutbaren Preisen wieder aufstocken kann. Er liest die Meldungen des Deutschen Wetterdienstes, studiert Tabellen mit Pegelständen, interpretiert Satellitenbilder, deutet Wetterlagen. Der Unternehmer rechnet künftig mit häufigeren Hochwassern. Das Flussbett sei vielerorts durch massive Deichbauten nach dem Jahrhunderthochwasser von 2002 viel zu schmal geworden.
Wenn die Not am Mann ist, packt Seidel selbst mit an. Er erinnert sich an einen Einsatz in Magdeburg. Die tatkräftige Unterstützung, die bedrängte Flutopfer von ihren Nachbarn und namenlosen Helfern erfuhren, hat den dreifachen Familienvater schwer beeindruckt.
"Wir sind da mit LKW angekommen. Die haben gesehen, da sind Sandsäcke darauf. Da kamen wildfremde Leute angerannt. Wir haben in unsrem Leben noch nie so schell LKW entladen können, durch die Hilfe dieser vielen ungefragten Freiwilligen."